Vor Gericht haben die Parteien am Donnerstag vor allem über ein einziges Wort und dessen Bedeutung gestritten. Im Dezember soll es ein Urteil geben.
Oberlandesgericht KölnKardinal Woelki steht vor Sieg in Rechtsstreit mit der „Bild“-Zeitung
In den Rechtsstreitigkeiten über Berichte zu Kardinal Rainer Woelkis Umgang mit Missbrauchsvorwürfen steht der Erzbischof vor einem weiteren Sieg. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln ließ in der Berufungsverhandlung über einen Artikel der „Bild“-Zeitung aus dem Juli 2022 erkennen, dass das vom Landgericht Köln erlassene Verbot einzelner Aussagen über Woelkis Verhalten im Fall des früheren „Sternsinger“-Präsidenten Winfried Pilz (1940 bis 2019) bestehen bleibt.
Letztlich geht es um einen einzigen Satz, wenn nicht ein einziges Wort: Hatte Woelki ein „Motiv“ dafür, die bereits 2014 von seinem Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner, verhängten Sanktionen gegen Pilz nicht an das Bistum Dresden-Meißen zu melden, wo der Geistliche seine letzten Lebensjahre verbrachte?
Berichte zu Kardinal Rainer Woelki: Diskussionen über das Wort „Motiv“
Klar ist, dass schon Meisner seine Informationspflicht verletzt und Woelki die erforderliche Meldung erst 2022 nachgeholt hatte. Die „Bild“ befragte dazu den Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Dieser führte unter anderem aus, der bundesweit bekannte Pilz – unter anderem Komponist des populären modernen Kirchenlieds „Laudato si“ – habe bei Woelki „unter Denkmalschutz gestanden“. Die „Bild“ versah dies mit dem Satz: „Auch beim Motiv legt sich der Kirchenrechtler fest.“
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Mit höchster sprachlicher und juristischer Finesse stritten die Prozessparteien darüber, was hier mit dem Wort Motiv gemeint und wie seine Verwendung zu bewerten sei. Die Vertreter der „Bild“ wollten es als zulässige Meinungsäußerung verstanden wissen. Dagegen machte Woelkis Anwalt Carsten Brennecke aus der Kölner Kanzlei Höcker geltend, der Kardinal habe vor 2022 keine Kenntnis davon gehabt, dass die Meldepflicht nicht erfüllt war. Dementsprechend sei es falsch und ehrenrührig, von einem „Motiv“ zu sprechen.
Brigitte Richter: „Wenn ich von etwas keine Ahnung habe, kann ich dazu auch nichts entscheiden“
Das sah auch der 15. Zivilsenat unter Vorsitz von Brigitte Richter so: „Wenn ich von etwas keine Ahnung habe, kann ich dazu auch nichts entscheiden.“ Was in der „Bild“ über Woelkis Verhalten zu lesen war, sei – in schönstem Juristendeutsch - „eine Tatsachenbehauptung in Form einer unabweislichen Eindruckserweckung“. Von der Richterin übersetzt: Der durchschnittliche Leser müsse die Rede von einem Motiv so verstehen, dass Woelki von der versäumten Meldepflicht gewusst und sich mit Absicht gegen eine Weitergabe der Informationen entschieden habe. Dafür jedoch, so das Gericht, habe die Zeitung keinerlei Belege liefern können.
Dass es nach den Worten der „Bild“-Vertreter „ein ganzes Füllhorn“ von Hinweisen auf Woelkis Mangel an Aufklärungswillen gibt, beeindruckte das Gericht nicht. Mehrfach beharrte Richter darauf, dass es im konkreten Verfahren allein um die versäumte Meldung ans Bistum Dresden-Meißen und Woelkis Kenntnis hiervon ging. Umgekehrt unterstrich die Vorsitzende, dass damit weder die Frage nach Woelkis Verantwortung im Missbrauchsskandal noch die Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit erledigt sind.
Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen Kardinal Woelki
Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt derzeit gegen den Kardinal wegen des Verdachts, zu seinem Wissensstand im Fall Pilz sowie im Fall eines 2017 beförderten Priesters einen Meineid geschworen und falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben zu haben. Hier steht unter anderem die Erklärung der Bistumsmitarbeiterin Hildegard Dahm im Raum, dass sie bereits 2015 eine „Täterliste“ für den Kardinal angefertigt hatte. Auf ihr stand auch der Name Pilz. Woelki schwor vor Gericht, er sei im Juni 2022 erstmals mit dem Fall Pilz „befasst“ worden.
Behördensprecher Jürgen Bremer sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, es sei unklar, ob die vor fast zwei Jahren begonnenen Ermittlungen noch 2024 abgeschlossen werden könnten. Aus der Beschlagnahmung von Woelkis Handy und Computer habe sich eine sehr große Menge von Daten ergeben, um deren Bewertung sich der Leitende Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn persönlich kümmert. Dabei könne ihn keine Künstliche Intelligenz unterstützen. Bremer wollte überdies nicht ausschließen, dass im Zuge der Ermittlungen erneut Zeugen vernommen würden.
„Bild“ will sich nicht auf Vermittlungsvorschlag des Gerichts einlassen
Für das OLG und den Streit zwischen Woelki und der „Bild“ spielt die Arbeit der Strafverfolger erklärtermaßen keine Rolle. Der Pressesenat sah keinen gebotenen Anlass, die Ermittlungsakten beizuziehen. Es sei nicht das Ziel des Verfahrens, die „Bild“ mit weitergehenden Informationen zu versorgen oder Recherche-Lücken in ihrem Bericht nachträglich mit Substanz zu füllen.
Auf den Vermittlungsvorschlag des Gerichts, den online erschienenen Bericht in der strittigen Passage abzuändern, wollte sich die „Bild“ nicht einlassen. Es gehe hier um grundsätzliche Erwägungen zur freien Berichterstattung und ihrer versuchten Beschränkung durch „überzogene Wortklaubereien“. Am 5. Dezember will das Gericht das Urteil verkünden.
Aktenzeichen 15 U215/23