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Kommentar

Klimaaktivisten als „kriminelle Vereinigung“?
Das Vorgehen gegen die Letzte Generation ist richtig

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
Protest-Welle fürs Klima: Eine Demonstration von Mitgliedern der „Letzten Generation“ in Berlin Ende Mai.

Protest-Welle fürs Klima: Eine Demonstration von Mitgliedern der „Letzten Generation“ in Berlin Ende Mai.

Mit „kriminellen Vereinigung“ wurden früher Schwerverbrecher beschrieben, aber die juristische Bewertung hat sich geändert.

Unter einer „kriminellen Vereinigung“ stellt man sich in der Regel einen Zusammenschluss von Menschen vor, die aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen schwerste Verbrechen begehen. Zu denken ist an die italienische Mafia oder an die linksextremistische „Rote Armee Fraktion“ (RAF) der 1970er Jahre, auch Baader-Meinhof-Gruppe genannt. Damit verglichen, mag man den Gedanken an demonstrierende Klimaaktivisten als Teil einer kriminellen Vereinigung für abwegig halten. Doch diese Einschätzung ist juristisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Juristische Bewertung der „kriminellen Vereinigung“ hat sich verändert

2017 hat der Gesetzgeber die rechtlichen Anforderungen an die Einstufung einer Gruppierung oder Organisation als kriminelle Vereinigung gesenkt und den maßgeblichen Paragrafen 129 des Strafgesetzbuchs (StGB) neu gefasst. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, „wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“.

Michael Bertrams

Michael Bertrams

Michael Bertrams war Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. Er schreibt über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen....

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Die von Mord und Totschlag geprägten „terroristischen Vereinigungen“ hatte der Gesetzgeber bereits 1976 in einen eigenen Paragrafen 129a StGB ausgegliedert. Hier ist eine Freiheitsstraße von bis zu zehn Jahren vorgesehen.

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Zu den im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedrohten Straftaten gehören unter anderem Nötigungen, gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr und gemeinschädliche Sachbeschädigungen. Dabei handelt es sich um eben jene Straftaten, die von den Mitgliedern der Letzten Generation mit ihren Klebe-Blockaden und ihrem Beschmieren von Kunstwerken und Gebäuden regelmäßig begangen werden. Auf eine besondere Schwere dieser Straftaten kommt es im Rahmen von Paragraf 129 nicht mehr an, da sich die Schwere bereits aus der Verweisung auf eine Höchststrafe von mindestens zwei Jahren ergibt.

Letzte Generation: Gerichte urteilen bundesweit aufgrund der Strafnormen

Inzwischen haben bundesweit zahlreiche Gerichte Klimaaktivisten der Letzten Generation auf der Grundlage der genannten Strafnormen verurteilt. Daraus allein folgt allerdings noch nicht, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuchs handelt. Dessen Vorschrift, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit eine „Vorverlagerung von Strafbarkeit“ beinhaltet, setzt nämlich voraus, dass der „Zweck“ der Vereinigung oder deren „Tätigkeit“ auf das Begehen entsprechender Straftaten gerichtet ist.

Daran bestehen im Fall der Letzten Generation insofern Zweifel, als das von ihr verfolgte – politische – Ziel nicht auf die Straftaten gerichtet ist, sondern darauf, die Bundesregierung zu weiteren Klimaschutzmaßnahmen zu bewegen. Die Aktionen der Klimaaktivisten sind deshalb lediglich Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.

Dabei handelt es sich jedoch nicht um friedliche Mittel, sondern um sehr bewusst eingesetzte strafbare Aktionen, die öffentlichkeitswirksam den Druck auf die Politik erhöhen sollen. Die Aktivisten entfalten deshalb stets auch und zugleich eine „Tätigkeit“ im Sinne von Paragraf 129 StGB, die auf das Begehen von Straftaten gerichtet und mit einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbunden ist. Entgegen der Auffassung der Letzten Generation findet diese Tätigkeit weder im sogenannten Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts noch im politischen Anliegen der Letzten Generation selbst eine Rechtfertigung.

Es spricht alles dafür, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt

Die Karlsruher Forderung, im Interesse der Generationengerechtigkeit die Treibhausgase zu reduzieren, richtet sich an den Gesetzgeber und legitimiert die Klimaaktivisten nicht, Straftaten zu Lasten Dritter zu begehen. Das gilt auch für das von den Aktivisten mit hohem moralischem Anspruch verfolgte politische Fernziel „Klimaschutz“. Das Strafrecht privilegiert weder moralisch noch politisch motivierte Straftaten. Solche Motive können ihren Niederschlag allenfalls später in der Strafzumessung finden. Gegen eine Einstufung der Letzten Generation als kriminelle Vereinigung könnte sprechen, dass es sich bei den von ihr begangenen Straftaten nur um einen „Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung“ handelt.

Dies würde dann – dem Wortlaut von Paragraf 129 StGB weiter folgend – die Anwendung der Strafnorm insgesamt ausschließen. Von einer „untergeordneten Bedeutung“ kann jedoch schon deshalb keine Rede sein, weil die Aktivisten ihre Straftaten bewusst und zielgerichtet begehen, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Es spricht deshalb alles dafür, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt. Diese Bewertung nur auf eine Gruppe besonders aktiver Mitglieder „an vorderster Front“ innerhalb der Letzten Generation zu beschränken, halte ich für verfehlt. Jedes Mitglied unterstützt allein durch seine Zugehörigkeit die von der Gruppe verübten Straftaten und identifiziert sich mit diesen.

Jedes Mitglied der Letzten Generation ist deshalb als Teil einer kriminellen Vereinigung zu betrachten. Vor diesem Hintergrund ist das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft München gegen die Letzte Generation nicht zu beanstanden. Bei den Durchsuchungen und Beschlagnahmen handelt es sich um die üblichen Maßnahmen, die bei einem Anfangsverdacht in der Strafprozessordnung vorgesehen sind. Den Fehler, eben nicht von einem „Anfangsverdacht“, sondern bereits definitiv von einer kriminellen Vereinigung gesprochen zu haben, hat die Staatsanwaltschaft inzwischen eingeräumt.