Berlin/Köln – Der frühere Profiboxer Wladimir Klitschko geht mit einem von deutschen Prominenten verfassten Offenen Brief gegen Waffenlieferungen an die Ukraine hart ins Gericht. „Blinder Pazifismus ist genauso gefährlich wie glückselige Kriegstreiberei“, schreibt der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. „Das absolut Gute ist nicht der Frieden, sondern die Freiheit und die Gerechtigkeit. Und um sie zu verteidigen, muss man kämpfen.“
Die Ukraine sehe sich einem Völkermord konfrontiert, erklärt Klitschko. „Man kann leider sicher sein, dass es in den noch besetzten Gebieten viel mehr Butscha gibt - ganz zu schweigen von Mariupol – und dass das Ausmaß des Grauens immens ist. All diese Verbrechen zusammengenommen haben einen Namen: Völkermord“, schrieb Klitschko.
Viel Unterstützung und viel Kritik für Offenen Brief
Die Feministin Alice Schwarzer und andere Prominente wie der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar hatten in dem am Freitag veröffentlichten Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appelliert, weder direkt noch indirekt schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, um dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kein Motiv für eine Ausweitung des Krieges auf die Nato-Staaten zu geben. Sie forderten Anstrengungen für einen raschen Waffenstillstand und einen „Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können“. Der Brief fand digital zehntausende Unterstützer, traf aber auch auf heftige Kritik.
Klitschko schreibt in dem am Dienstag online veröffentlichten Beitrag: „Unseren Widerstand als Kriegstreiberei zu beschreiben und als eine Provokation Putins darzustellen, ist völliger Unsinn.“ Für Putin sei schon die Existenz der Ukraine eine Provokation. „Also nein, wir werden unsere Identität nicht aufgeben, um den mörderischen Wahnsinn und die überholten Träume eines Diktators zu besänftigen. Und schon gar nicht, um einigen 'Intellektuellen' zu gefallen, die den Sinn für die Realität und die Vernunft verloren zu haben scheinen.“ Die Ukraine habe den Krieg nicht erklärt, führt Klitschko aus, und kündigt an: „Wir werden uns wehren, bis der Aggressor nach Hause geht.“
„Mit Kannibalen kann man nicht an den Verhandlungstisch gehen“
Verhandlungen seien derzeit „unmöglich“, erklärt Klitschko zudem. „Die Russen sind lediglich bereit, nur über die Art und Weise zu diskutieren, wie sie die Ukraine unterwerfen und aufteilen werden. Also nein, mit Kannibalen kann man nicht an den Verhandlungstisch gehen.“ Die Ukraine brauche weder „abstrakte Moralpredigten“ noch „feige Briefe, die den Opfern Schuldgefühle einreden“. Die Ukraine wolle Frieden, doch die einzige Möglichkeit, den Krieg zu beenden, bestehe darin „Putins Russland zu zeigen, dass die ganze Welt diese Aggression ablehnt und die Einnahmequellen, die diesen blutigen Krieg finanzieren, versiegen zu lassen.“
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Bereits am Montag hatten Ukrainer und Ukrainerinnen in Deutschland mit einem Beitrag im „Tagesspiegel“ auf den Offenen Brief reagiert. „Wir, Ukrainer*innen und Europäer*innen, sind über Ihren Brief an Herrn Bundeskanzler Olaf Scholz zutiefst erschüttert und entsetzt. Nicht nur angesichts der dokumentierten Kriegsverbrechen, sondern auch in Bezug auf das erklärte Ziel des Krieges - die Vernichtung alles Ukrainischen - dokumentiert der Brief die gleiche Verachtung“, heiß es im „Tagesspiegel“. „Die Aufforderung zum Kompromiss kommt einer Aberkennung des Existenzrechts der Ukraine als unabhängiges, selbstbestimmtes Land gleich.“
Yogeshwar verteidigt Unterschrift
Die Urheberin des Offenen Briefs, Alice Schwarzer, hatte ihr Schreiben in den letzten Tagen in mehreren Interviews vehement verteidigt. Auch Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar rechtfertigte seine Unterschrift unter dem Brief. „Wir Deutsche und Europäer zahlen einen hohen Preis, indem wir unsere Wirtschaft abwürgen“, sagte Yogeshwar. „Es muss Russland und der Ukraine das Gefühl vermittelt werden, dass beide Player als Sieger aus dem Krieg hervorgehen.“ Es gehe in dem Brief nicht darum, „die Ukraine alleine zu lassen oder dass sie sich ergeben soll“, führte Yogeshwar aus. „Es geht in dem Brief um eine Eskalationsstufe, bei der durch schwere Waffen etwas passieren könnte, was wir alle nicht wollen.“ (mit dpa)