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Als Brückenbauer ist Papst Benedikt XVI. gescheitert

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Der damalige Papst Benedikt XVI. grüßt eine jubelnde Menge, die sich vor dem Balkonfenster der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo am Stadtrand von Rom versammelt hat, bevor er einige Stunden später offiziell sein Pontifikat beendet.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist am 31.12.2022 im Alter von 95 Jahren im Vatikan gestorben. (Archivbild)

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist tot. Seine achtjährige Amtszeit hätte das Potenzial zu etwas Großem gehabt. Aber Benedikt XVI. scheiterte.

Brückenbauen. Folgt man einem aus antiker Zeit überlieferten Ehrentitel des Bischofs von Rom, ist das eine wesentliche Funktion des Papsttums.

Gemessen an diesem Anspruch, muss das Pontifikat Benedikts XVI. als gescheitert gelten. Es ist dem deutschen Papst weder in seiner fast achtjährigen Amtszeit noch danach als „Papa emeritus“ gelungen, sich in einen fruchtbaren Austausch mit der zeitgenössischen Gesellschaft zu begeben und seine Kirche mit der Welt von heute in Verbindung zu bringen.

Als Papst wollte Benedikt XVI. die katholische Kirche vor der Moderne bewahren

Aber genau genommen war das auch gar nicht das Ziel des Kardinals Joseph Ratzinger, der 2005 zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewählt wurde. Als Papst wollte Benedikt XVI. vielmehr – um im Bild zu bleiben – die Zugbrücke hochziehen und den Wassergraben vertiefen, um die katholische Kirche als feste Burg nur ja vor all den verderblichen Einflüssen der Moderne zu bewahren.

Dafür war Ratzinger, der gestrenge Glaubenswächter Papst Johannes Pauls II., von maßgeblichen Teilen des Kardinalskollegiums gewählt worden. Und diesem Auftrag hat sich Benedikt XVI. bis zuletzt verpflichtet gefühlt.

Als Erfüllung seiner Mission hätte er es betrachtet, wenn es ihm gelungen wäre, die traditionalistische Piusbruderschaft zurück in die Gemeinschaft mit der römischen Kirche zu holen, aus der sich die fundamentalistische Splittergruppe nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) verabschiedet hatte. Doch dieser Erfolg blieb ihm versagt. Den reaktionären Reformverweigerern ist selbst der Benedikt-Katholizismus zu liberal.

Joseph Ratzingers Pontifikat hätte das Potenzial zu etwas Großem gehabt

Es ist die Tragik Joseph Ratzingers, dass sein Pontifikat das Potenzial zu etwas Großem gehabt hätte. Anders als Johannes Paul II. erkannte er die für die Kirche und ihre Glaubwürdigkeit existenzielle Bedrohung durch den Missbrauchsskandal. Aber er zog die falschen Konsequenzen.

Ideologisch vergraben in das Erbe des Augustinismus mit seiner Skepsis, ja Aversion gegen die menschliche Autonomie und zutiefst traumatisiert durch seine persönlichen Erfahrungen der Studentenrevolte in den 1960er Jahren, machte er bis zuletzt die „böse Welt“ mit ihrer Unmoral für den Missbrauch verantwortlich. Mängel in Verfassung und Lehre der Kirche kamen ihm dabei ebenso wenig in den Sinn wie das systemische Versagen der kirchlichen Hierarchie.

Rücktritt war das Eingeständnis, an den widerständigen Strukturen im Vatikan gescheitert zu sein

Dabei hätte gerade Benedikt XVI. allen Anlass für diesen so naheliegenden wie notwendigen Perspektivwechsel gehabt. Sein spektakulärer Rücktritt 2013 war unfreiwillig auch und vor allem das Eingeständnis, an den widerständigen Strukturen im Vatikan gescheitert zu sein.

Der erste Amtsverzicht eines Papstes nach mehr als 700 Jahren hätte ein umfassendes Nachdenken über die Zukunftsfähigkeit einer Kirchenverfassung in Gang setzen können und müssen, die – sich - anders als von den römischen Chefideologen propagiert – in wesentlichen Teilen mitnichten einer göttlichen Stiftung verdankt, sondern kirchenpolitischen Vorstellungen und absolutistischen Machtansprüchen des 19. Jahrhunderts.

Joseph Ratzingers Rolle als „emeritierter Papst“

Doch der Paukenschlag des Rücktritts verhallte folgenlos. Im Gegenteil: Als „emeritierter Papst“ ließ sich Joseph Ratzinger immer wieder von interessierten Kräften gegen seinen Nachfolger Franziskus und dessen Versuche in Stellung bringen, dem Papstamt andere Facetten abzugewinnen und damit auch lebensfeindliche Verkrustungen der Kirche aufzulösen.

Was hätte Franziskus‘ Bild einer „verbeulten Kirche“ nicht auch für die Würdigung Benedikts XVI. und seines Vermächtnisses austragen können! Eines Lebens mit unbestreitbaren Höhen; mit bleibenden Verdiensten um die Erneuerung der katholischen Theologie in der Mitte des 20. Jahrhunderts; mit redlichem Bemühen um „das Heilige“, das in der Kirche als der Gemeinschaft der Glaubenden bewahrt und tradiert wird.

Aber eben auch eines Lebens persönlicher Untiefen und des Versagens im Amt. Wohl unter dem Einfluss falscher Berater – Menschenkenntnis gehörte nie zu seinen Stärken – entschied sich der ehemalige Papst dazu, diesen Teil des Bilds auszublenden und auf dem unbefleckten Weiß der päpstlichen Soutane zu beharren. Dass er darüber dann auch ein letztes Mal die Dramatik des Missbrauchsskandals und die Folgen für die Opfer aus dem Auge verlor, gehört auf bedrückende Weise zur Bilanz eines Lebens für die Kirche, dem die Welt abhanden kam.