Staatssekretär Graichen muss nun doch gehen. Der Schaden für Habeck, die Grünen und die Sache des Klimaschutzes ist bereits immens.
Kommentar zu GraichenRobert Habeck zieht endlich die Reißleine
Der Abgang von Staatssekretär Patrick Graichen ist überfällig. Der Klimaexperte, auf den Wirtschaftsminister Robert Habeck fachlich so große Stücke hält, hat mehr als einen Fehler begangen, der die Glaubwürdigkeit seines Hauses schwer erschüttert. Als sich sein Trauzeuge auf den Chefposten der Energieagentur Dena bewarb, versäumte es Graichen sein Verhältnis zu dem Bewerber transparent zu machen und sich aus dem Auswahlgremium zurückzuziehen. Zudem hat er ein 600.000 Euro teures Projekt gebilligt, an dem seine Schwester indirekt beteiligt war.
Wenn in solchen Fällen bei einem Spitzenbeamten nicht alle Alarmglocken schrillen, ist das auch in normalen Zeiten ein Rücktrittsgrund. Aktuell kommt erschwerend hinzu, dass in Sachen Energieversorgung und Energiewende die Zeiten nicht normal sind. Das Habeck-Ministerium steht seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und die daraus folgende Energiekrise unter Druck wie kein anderes Ressort der Bundesregierung. Hinzu kommen die ehrgeizigen Pläne des Ministers, trotz der schwierigen Lage, die CO2-Emissionen planmäßig zu reduzieren und die Atomkraftwerke abzuschalten.
Der Abgang Graichens ist unvermeidbar
Das Gesetz zum Heizungstausch hätte auch ohne Inflation viele Bürgerinnen und Bürger sowie Wohnungsgesellschaften vor enorme Schwierigkeiten gestellt. Jahrelang wurde den Leuten erzählt, dass Gas die Brückentechnologie für das Heizen sei. Dann sollen Gas- und Ölheizungen binnen Jahresfrist nicht mehr neu eingebaut werden dürfen. Dass eine solche Entscheidung auf heftigen Widerstand stößt, ist selbstverständlich. Wer sie trotzdem durchziehen möchte, darf keine weiteren Angriffsflächen bieten. Doch mit seinen Verstößen gegen Compliance-Regeln hat Graichen eben dies getan. Sein Abgang ist formal geboten und politisch absolut unvermeidbar.
Besser wäre es gewesen, Minister Habeck hätte die Reißleine früher gezogen. Nun ist der Schaden maximal - für Habeck als Vizekanzler, für die Grünen als Partei und für Sache des Klimaschutzes. Habecks Krisenmanagement war miserabel und der Minister ist noch nicht aus dem Schneider: Offen bleibt die Frage, warum er so lange gewartet hat, bis er Konsequenzen zieht.
Mit dem Gesetz zum Heizungstausch wollte Graichen die Koalitionspartner überrumpeln. Jetzt muss das Vorhaben entschärft werden, damit es überhaupt eine politische Mehrheit findet. In der Sache aber wäre es fahrlässig zu meinen, dass nun diejenigen obsiegt hätten, die für ein „Weiter-so“ beim Verbrauch fossiler Energien sind.
Habeck hat das Ruder zu hart herumgerissen
Die Energiewende ist unausweichlich und es ist auch unausweichlich, dass wohlhabende Industrienationen wie Deutschland im Klimaschutz global zum Vorreiter werden. Ohne ein hartes Umsteuern wird das nicht funktionieren. Dass der Druck zum Handeln heute so groß ist, hat auch mit der Bequemlichkeit der Vorgängerregierungen zu tun. Dennoch hat Habeck hat das Ruder zu schnell und zu hart herumgerissen - in einer Zeit, in der eine durch die Kriegsfolgen verunsicherte und ökonomisch teils geschwächte Gesellschaft sich weniger robust für eine solch umwälzende Veränderung zeigt. Hier wäre in der Kommunikation aber auch in der Ausführung des Gesetzes viel mehr Fingerspitzengefühl notwendig gewesen.
Es hilft auch nichts über teils unfaire und kampagnenartige Kritik aus Opposition und Öffentlichkeit zu klagen: Im Wirtschaftsministerium müssen sie nun die Scherben zusammenfegen und in Sachen Klimaschutz einen Neustart hinlegen. Als Lehre aus dem Fall Graichen reicht es nicht allein, künftig beamtenrechtlich sauber zu agieren. Habeck und seine Führungskräfte müssen sich mehr bewusst machen, welche Konflikte und Nöte ihre Gesetzgebung auslöst und diese von vornherein abmildern. Der Staatssekretär, bei dem sich der Unmut über die Klimapolitik entladen hat, ist nun weg. Nun steht Habeck alleine auf der Lichtung.