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Läuft? Nein!Warum Deutschland dringend mehr Quoten braucht

Lesezeit 4 Minuten
Kebekus Comedypreis

Carolin Kebekus ist eine prominente Verfechterin von Quoten für Frauen.

  1. Auf freiwilliger Basis ist es nicht gelungen, die Etablierten zu gerechterer Verteilung oder gar zum Verzicht auf Macht zu bewegen.
  2. Da hilft nur eins. Ein Kommentar von Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor.

Deutschland braucht keine Quoten. Weder für Frauen noch für Migranten. Auch nicht für Menschen mit Behinderungen oder andere Gruppen. Denn Markt und Gesellschaft regeln, wie jeder sehen kann, die angemessene Partizipation aller Bevölkerungsteile ganz von selbst. Halt! Ironie aus! Von wegen! Nichts regelt sich von selbst.

Deutschland braucht Quoten. Wäre dem nicht so, würden wir nicht seit Jahren darüber streiten. Freiwillige Appelle sind verhallt. Die Etablierten schaffen es nicht, am Tisch der Macht zusammenzurücken oder gar Plätze freizumachen. Und wie das jüngste Votum des Bundesverfassungsgerichts gegen eine Pflicht zur Geschlechterparität auf den Wahllisten der Parteien zeigt, haben die Besitzstandswahrer reichlich Rückhalt.

Wir leben nicht mehr in einer mittelalterlichen Feudalordnung, sondern in einer auf demokratischen, rechtsstaatlichen Grundlagen aufgebauten Gesellschaft. Es gibt Integrationsgesetze, Anti-Bias-Strategien, „Flexi-Quoten“ und mehr. Trotzdem kommen sie gegen Voreingenommenheit und überkommene Privilegien nicht an. Also her mit verbindlichen Quoten!

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„Es sollte aber doch nach der Qualität gehen“, wenden die Gegner ein. Unbedingt sollte es das! Aber ginge es wirklich danach, wären die Bosse nicht überall männlich, und die Männer hätten auch nicht im Schnitt deutlich mehr Geld im Portemonnaie. Mädchen sind bekanntlich in der Schule und der Ausbildung oft besser. Dafür klettern die Jungs dann später im Job die Karriereleiter hoch.

Ein anderes Beispiel für Defizite beim nicht-quotierten Interessenausgleich: In Berlin haben 35 Prozent der Bevölkerung laut Statistik einen „Migrationshintergrund“. In der Verwaltung wird ihr Anteil nur auf zwölf Prozent geschätzt. Dabei hat Berlin schon seit 2010 ein Integrationsgesetz. Nun will Senatorin Elke Breitenbach (Die Linke) die bundesweit erste Quote auf den Weg bringen. Gut so! Wenn sich alles ohne Zwang regeln ließe; wenn Ressentiments, Sozialkapital oder Homosozialität kaum von Bedeutung wären, dann bräuchte es auch keine Gesetze etwa zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Doch in Vorurteilen liegt ein Stück realer Ungleichbehandlung begründet – neben anderen Faktoren wie sozioökonomischer Benachteiligung.

Es sind nicht automatisch diejenigen schlauer und qualifizierter, die zur Gruppe der am wenigsten Diskriminierten gehören. Es kommen nicht die Besten automatisch nach oben, sondern allenfalls die Besten – oder die Geschicktesten – aus den etablierten Netzwerken. Führungskräfte fördern Bewerber, deren gesellschaftlicher Hintergrund ihrem eigenen ähnelt. Diese „homosoziale Kooptation“ ist eine feste Größe, die seit jeher den Aufstieg Außenstehender verhindert.

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Eine solche Konstante kann nur gesetzlich gebrochen werden. Die Zeit der netten Worte und freundlichen Bitten ist jedenfalls vorbei. Denn sie hat nichts anderes gebracht, als den Status quo zu konservieren. Dass der größte Widerstand gegen Quoten heute ausgerechnet aus dem Establishment kommt, ist da nur konsequent. Macht zu teilen, ist den Mächtigen noch nie leichtgefallen.

Quoten, zugegeben, sind nicht optimal. Aber sie stellen nicht zwangsläufig einen Makel dar. Es heißt immer, dass niemand als Quotenfrau oder -migrant gesehen werden wolle. Das stimmt zwar, aber letztlich wirft nicht die Quote einen Schatten auf diejenigen, die von ihr profitieren, sondern auf die Privilegierten, deren schlechtes Verhalten Quoten überhaupt erst nötig macht.

Andere Argumente gegen Quoten können ebenso wenig überzeugen. So wird oft eingewandt, sie erschwerten die Auswahl bei der Besetzung von Posten. Na, hoffentlich tun sie das! Nur so müssen sich Firmen und Organisationen auf der Suche nach Personal und bei der Förderung von Mitarbeitenden ins Zeug legen. Und was ist mit der These, dass viele Frauen oder Angehörige diverser Gruppen mit ihrer Situation im Beruf und im gesellschaftlichen Leben zufrieden seien und nichts daran ändern wollten? Das stimmt. Aber auch nicht jeder Mann will Chef sein. Woraus mitnichten folgt, dass deshalb auch anderen Männern der Weg nach oben erschwert oder versperrt würde. Wenn also auch nur eine einzige Frau Karriere machen will, dürfen ihr nicht zusätzliche Hürden in den Weg gestellt werden, nur weil sie eine Frau ist.

Wieder andere Kritiker fragen scheinbar besorgt: „Was, wenn am Ende jedes Grüppchen seine Quote will?“ Auch da gilt es, genau hinzusehen: Wenn tatsächlich eine Gruppe – zum Beispiel wegen körperlicher Merkmale – deutlich benachteiligt wird, dann haben die Angehörigen dieser Gruppe Anspruch auf Abhilfe. So will es das Prinzip der Gleichbehandlung, zu dessen Gewährleistung Artikel 3 des Grundgesetzes den Staat verpflichtet.

Positiv betrachtet, machen Quoten die Berufswelt familienfreundlicher und die Betriebe erfolgreicher. Wenn Firmen gezwungen werden, mehr Frauen einzustellen, trägt das zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Eine Diversitätsquote würde zu mehr Vielfalt in den Belegschaften führen. Vielfalt stärkt Kreativität, und Kreativität ist ein Erfolgsgeheimnis. Gewiss könnte die Gesellschaft die gleichberechtigte Teilhabe auch ohne Quotenregelungen erreichen. Sie tut es aber nicht. Heute so wenig wie in der Vergangenheit. Deshalb muss es jetzt die Politik regeln. Das ist eine Frage der berühmten sozialen Gerechtigkeit, die angeblich doch alle fördern wollen.

Lamya Kaddor gründete 2010 den Liberal-Islamischen Bund. Die Islamwissenschaftlerin schreibt unter anderem über Interkulturalität und Integration.