Das Veröffentlichen einer Luftwaffen-Telefonkonferenz gehört zu Russlands hybrider Kriegsführung. Deutsche Medienaktivisten helfen dem Kreml.
Kreml-Spin zum Luftwaffen-LeakDas sind Putins Propagandahelfer in Deutschland
Als der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff am Montagmorgen zu einem Termin im russischen Außenministerium eintrifft, wartet Dominik Reichert bereits vor dem Gebäude. „Warum greifen Sie deutsche Ziele an?“, fragt der deutsche Mitarbeiter des Kremlsenders RT vor laufenden Kameras. Als Lambsdorff das Ministerium wieder verlässt, schafft Reichert es dann aber doch, seine einstudierte Frage noch einmal richtig zu stellen: „Herr Botschafter, warum planen Sie Angriffe auf russische Ziele?“
Seit dem vergangenen Freitag ist das die große Erzählung der russischen Regierung, der von ihr kontrollierten Medien und ihr treu ergebener Propagandisten: Deutschland plane militärische Angriffe auf Russland. Das gehe aus dem abgehörten Mitschnitt einer Telefonkonferenz deutscher Luftwaffenoffiziere hervor.
Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz spricht über mögliche Taurus-Lieferung
Mit der Realität hat das allerdings nichts zu tun. Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz und seine Mitarbeiter tauschen sich in dem Gespräch über die Modalitäten möglicher Taurus-Lieferungen an die Ukraine aus. Es geht darum, wie stark die Bundeswehr in die Planung und Zielführung möglicher Einsätze der Marschflugkörper durch das ukrainische Militär eingebunden sein müsste. In dem Zusammenhang ist auch von russischen Munitionsdepots und der Kertsch-Brücke zwischen der besetzten Krim und dem russischen Festland als möglichen Zielen des ukrainischen Militärs die Rede.
Dass die Ukraine Taurus unter anderem dafür nutzen könnte, war schon zuvor kein Geheimnis. Tatsächlich ist eine Erkenntnis der offenbar von einem russischen Geheimdienst abgehörten Konferenz, dass ein Taurus-Einsatz durch die Ukraine auch ohne eine deutsche Beteiligung an der konkreten Missionsplanung möglich wäre.
Putins Chefpropagandistin Margarita Simonjan
Dass die russischen Staatsmedien der Nachricht einen anderen Spin verpassen werden, machte die oberste Propagandistin des Landes, Margarita Simonjan, jedoch schon am Freitagmorgen deutlich. Die Chefredakteurin des Kremlsenders RT veröffentlichte gegen 7 Uhr deutscher Zeit den ersten Hinweis auf die abgehörte Telefonkonferenz in ihrem Telegramkanal.
Ihre „Kameraden in Uniform“ hätten ihr etwas Spannendes erzählt, schrieb Simonjan. In der Aufnahme diskutierten hochrangige Offiziere der Bundeswehr, wie sie die Krim-Brücke bombardieren werden, behauptete sie.
Am Freitagmittag veröffentlichte Simonjan dann ein ins Russische übersetztes angebliches Transkript der abgehörten Telefonkonferenz. Auch der deutschsprachige Ableger des Staatssenders RT „berichtet“ den ganzen Freitag über in seinem Liveprogramm und mit einer Vielzahl von Onlineartikeln.
RT und Sputnik sind trotz Sanktionen aktiv
Schon seit März 2022 sind RT und Sputnik, die beiden großen staatlichen Auslandsmedien der Russischen Föderation, von der EU mit Sanktionen belegt. Es gilt ein Sendeverbot, Internetprovider müssen den Zugriff auf die Websites blockieren. Soziale Netzwerke wie X (vormals Twitter), Facebook oder Youtube müssen die Konten der sanktionierten Staatsmedien für den Zugriff aus der EU sperren.
Die Wirksamkeit dieser Sanktionen war jedoch von Anfang an begrenzt: So lässt sich die Website des deutschsprachigen RT-Ablegers „RT DE“ weiterhin über Ausweich-Internetadressen aufrufen. Kurz nach dem Beginn der EU-Sanktionen haben die russischen Staatsmedien außerdem damit begonnen, neue Kanäle unter falscher Flagge aufzubauen. Sie werden zwar offenbar von RT DE betrieben und verbreiten kremlnahe Erzählungen. Den Lesern und Zuschauerinnen wird die Verbindung zum russischen Staatsmedienapparat jedoch verschwiegen.
Im Dezember 2022 deckte das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) die Hintergründe mehrerer solcher neuen Medienkanäle auf. Einer der Kanäle unter dem Titel „Roter Oktober“ wurde daraufhin eingestellt. Für diesen Kanal arbeitete nach RND-Recherchen auch Dominik Reichert, damals wie heute Mitarbeiter bei RT DE.
Gleicher Inhalt, nur das RT-Logo wird ersetzt
Nicht nur Videos solcher verdeckt betriebenen Kanäle sind weiterhin auch auf großen Plattformen wie Youtube verfügbar. Auch Sendungen, Interviews und Nachrichtenbeiträge von RT DE werden auf eigenen Kanälen verbreitet. Der Inhalt bleibt gleich, lediglich das RT-Logo wird ersetzt.
Seit Kurzem überträgt RT DE sein Liveprogramm auch wieder auf der eigenen Website. Das hatte der Sender 2022 eingestellt, weil ihm von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg die Ausstrahlung eines linearen Fernsehprogramms ohne Rundfunklizenz untersagt wurde.
Damals war allerdings auch noch ein deutsches Tochterunternehmen des russischen Staatsmedienapparats für den Sendebetrieb verantwortlich. In Reaktion auf das deutsche Ausstrahlungsverbot und die EU-Sanktionen hat sich RT mittlerweile offiziell aus Deutschland zurückgezogen: Der Betrieb wurde von Berlin nach Moskau verlagert, die deutsche RT DE Productions GmbH bereits im Februar 2023 liquidiert.
Der kremlfreundliche Spin zur abgehörten Telefonkonferenz wird seit Freitag auch in weiteren Telegram-Kanälen verbreitet, bei denen es zumindest Hinweise auf Verbindungen zu den russischen Staatsmedien gibt.
Spenden gegen den deutschen „Angriffskrieg“
Und auch in den Kanälen kremltreuer deutscher Medienaktivisten spielt die abgehörte Konferenz seit Freitag eine große Rolle. Der nach Russland ausgewanderten Putin-Propagandistin Alina Lipp folgen auf Telegram mehr als 185.000 Menschen.
Am Freitagnachmittag, noch bevor der Audiomitschnitt veröffentlicht wurde, behauptete Lipp dort, einer der Offiziere habe „eine für den 21. Februar geplante Reise in die Ukraine zur Koordinierung von Schlägen gegen russische Ziele“ erwähnt. Eine solche Passage kommt in dem Mitschnitt allerdings gar nicht vor. Lipp bezieht sich offenbar auf eine falsche Übersetzung in dem von Simonjan veröffentlichten „Transkript“ des Mitschnitts.
Ein weiterer aus Deutschland ausgewanderter kremlnaher Medienaktivist ist Thomas Röper. Er betreibt die Website „Anti-Spiegel“ und produziert seit dem vergangenen Jahr gemeinsam mit Dominik Reichert ein gleichnamiges Fernsehformat für RT DE. Auch Röper berichtete am Freitag bereits frühzeitig über die abgehörte Telefonkonferenz und verbreitete den dazugehörigen prorussischen Spin. Einer dieser Beiträge erschien zusätzlich auf der Website des rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten „Compact“-Magazins.
Jürgen Elsässer will Strafanzeige gegen Boris Pistorius gestellt haben
Dessen Chefredakteur Jürgen Elsässer erklärte am Montag gar, das Magazin habe Strafanzeige gegen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und die abgehörten Generäle wegen „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ erstattet. Auch eine Petition dazu hat „Compact“ gestartet.
Seine Leserinnen und Leser ruft Elsässer nun zu Spenden „für unsere Rechtshilfefonds zur Finanzierung des Verfahrens“ auf. Verlinkt sind dazu jedoch lediglich Möglichkeiten, das kommerziell betriebene rechtsextreme Magazin ganz allgemein mit Geld zu unterstützen.