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Ex-UN-Diplomat über Assange„Dass unsere Rechtsstaaten so versagen, ist erschütternd“

Lesezeit 13 Minuten
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Nils Melzer, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Folter (Archivbild)

Berlin/London – Als UN-Sonderberichterstatter für Folter hat Nils Melzer sich fünfeinhalb Jahre mit dem Fall Julian Assange befasst. Seine Vorwürfe der Folter gegen den Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks befeuerten eine internationale Debatte zum Thema Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Melzer hat sein Mandat nicht verlängert, er arbeitet seit dem 1. Mai als Direktor für Völkerrecht des Internationalen Roten Kreuzes. Seine Bilanz zum Fall Assange fällt ernüchternd aus.

Herr Melzer, Sie waren fünfeinhalb Jahre UN-Sonderberichterstatter für Folter. Bekannt geworden sind Sie durch den Fall von Julian Assange – Sie haben Schweden, den USA und Großbritannien vorgeworfen, das Gesetz zu beugen. Assange sei im Gefängnis psychischer Folter ausgesetzt. Wie sieht Ihre Bilanz Ihres Mandats aus?

Melzer: Meine Interventionen haben leider nicht viel bewirkt – obwohl ich mein volles Gewicht in die Waagschale geworfen habe. Ich habe mich nach anfänglichem Zögern dazu entschieden, öffentlich anzuprangern, wie Assange von den verantwortlichen Staaten dämonisiert und misshandelt wird und habe das akribisch recherchiert und nachgewiesen. Seine Behandlung hat sich dadurch leider nicht verändert, aber die öffentliche Wahrnehmung dieses Falles wurde sicher positiv beeinflusst. Und es kann gut sein, dass meine Schlussfolgerungen vom Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg beachtet werden, falls sein Fall dort landet. Innerhalb der politischen und juristischen Strukturen der Staaten haben meine deutlichen Worte eher zu einer Abwehrreaktion geführt. Hätte ich es aber diskret gemacht, dann wäre es wirkungslos verhallt.

Warum trafen sie überall auf Abwehr?

Den involvierten Staaten geht es politisch um zu viel, um zu Kompromissen bereit zu sein. Die Reaktionen auf die Folterwürfe waren ein Indikator dafür, wie wichtig es den Staaten ist, an Assange ein abschreckendes Exempel für andere Journalisten zu statuieren. Es geht ja nicht darum, dass er 2012 einmal ein paar britische Kautionsauflagen verletzt hat, weswegen er 2019 angeblich ins Gefängnis kam. Jeder weiß, dass das Unsinn ist. Die Regierungen wollen um jeden Preis verhindern, dass ihnen die Kontrolle über die Geheimhaltung ihrer Machenschaften entgleitet. Ohne drastische Abschreckung hätte Wikileaks heute im Internetzeitalter bald viele Nachahmer.

Die Beschäftigung mit dem Fall hat Ihnen stark zugesetzt. Fühlten Sie sich auch persönlich gefährdet?

Ich denke nicht, dass ich physisch in Gefahr war – auch wenn man das nie mit Sicherheit sagen kann. Wenn man sieht, wie wichtig den USA, Schweden und Großbritannien der Fall ist, war ich zweifellos sehr irritierend. Politisch und diplomatisch war meine UN-Karriere aber wohl beendet, sobald ich mit meinen Vorwürfen zur Misshandlung Assanges an die Öffentlichkeit gegangen bin.

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Nils Melzer bei einer Pressekonferenz in Genf im November 2017

Hätte ich mich nach dem Ende meiner Amtsdauer um einen höheren Posten bei der UN beworben, hätten die Briten und die Amerikaner im Selektionsverfahren wohl kaum zugestimmt. Das war mir bewusst: Deshalb habe ich meinen Schritt an die Öffentlichkeit in meinem Buch auch als Überschreitung des Rubikons beschrieben. Ich habe die Regierungen demokratischer Staaten damit konfrontiert, dass sie Recht und Gesetz missachten, um ihre machtpolitischen Interessen durchzusetzen. Das ist nicht karriereförderlich, wie man mir in Diplomatenkreisen klar zu verstehen gegeben hat. Ich bekam in der Folge auch von den traditionellen Unterstützerstaaten meines Amtes plötzlich keine Forschungsgelder mehr – westliche Demokratien, die sonst Millionen für Folterprävention ausgeben, hatten plötzlich keine 5000 Euro mehr für eine Studie.

Ihre Kritik an westlichen Staaten stand öffentlich immer stark im Fokus. Das hat Ihnen dann ebenfalls harsche Kritik eingebracht.

Die hartnäckige Unwilligkeit westlicher Demokratien, im eigenen Garten für Ordnung zu sorgen, war die größte Enttäuschung meiner Amtszeit. Wenn ich Länder wie Syrien, Iran und Saudi-Arabien mit Westeuropa vergleiche, dann sind wir natürlich auf ganz anderen Ebenen, was die Einhaltung der Menschenrechte betrifft: Hier gibt es im Grunde einen Rechtsstaat, der in alltäglichen Fällen meist tadellos funktioniert. Aber wenn es einmal um politisch heikle Interessen geht, dann kann man sich auch bei uns nicht auf den Rechtsstaat verlassen.

Die Regierungen beantworten meine Interventionen dann zwar freundlich, aber mit Ausflüchten. Im Assange Fall hieß es stets, der Fall werde ja bereits von der Justiz beurteilt, da könne sich die Regierung leider nicht einmischen, und schon gar nicht in einem anderen Land. Wenn ich aber ja gerade wegen schwerster Justizwillkür interveniere, dann ist das Argument rechtsstaatlicher Gewaltenteilung natürlich reine Augenwischerei, um nicht eingreifen zu müssen.

Wie verhalten sich die Regierungen denn, wenn Sie in anderen Fällen intervenieren?

Von den über 1000 Interventionen meiner Amtszeit als UN-Sonderberichterstatter wurden rund 90 Prozent nicht zufriedenstellend beantwortet. Bestenfalls bedanken sich die Staaten und drücken ihre Unterstützung für mein Mandat aus – im Endeffekt bleibt ihr Verhalten aber unverändert. Das ist auch so, wenn ich Polizeigewalt in den USA, den Niederlanden oder in Deutschland anprangere und um Stellungnahmen zu Einzelfällen bitte. Das Problem wird nicht ernsthaft angeschaut. Ich erhalte zwar langatmige Ausführungen, etwa zum nationalen Polizeirecht in Deutschland.

Das ist zwar alles wunderbar durchreguliert, aber in Wirklichkeit wurden in den letzten zwei Jahren praktisch keine Polizisten strafrechtlich oder disziplinarisch sanktioniert. Dass es in einer politisch angespannten Zeit mit sehr häufiger Gewaltanwendung gegen unbewilligte Protestaktionen in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern zu weniger als fünf Disziplinarstrafen kommt, ist einfach nicht realistisch. Beim Gewalteinsatz macht auch die beste Polizei Fehler, die straf- und disziplinarrechtlich sanktioniert und mit Schadenersatz und Genugtuung wiedergutgemacht werden müssen.

Während aber die Demonstranten oft bereits 48 Stunden nach der Verhaftung abgeurteilt waren, ziehen sich die Verfahren gegen Polizeibeamte selbst bei eindeutigen Videobeweisen regelmäßig über viele Monate hin und werden schließlich in den allermeisten Fällen eingestellt. Eine rechtsstaatlich glaubwürdige Durchsetzung des Misshandlungsverbotes sieht anders aus.

Ist Ihr Vertrauen in westliche Demokratien als komplett kaputt?

Nein. Aber die Selbstwahrnehmung der westlichen Demokratien ist nicht realistisch. Sie haben sich so daran gewöhnt, dass sie die „good guys“ sind, dass sie für die eigenen Unzulänglichkeiten blind geworden sind. Sie sind stolz auf ihre vorbildlichen Gesetze und Institutionen und wollen nicht wahrhaben, dass diese in Wirklichkeit eben oft nicht einwandfrei funktionieren.

Wenn man diese Staaten mit klaren Beweisen für Misshandlung und Justizwillkür konfrontiert, dann mauern sie, anstatt zu sagen: Das müssen wir ernsthaft untersuchen und die notwendigen Maßnahmen treffen. Es ist ein bisschen wie bei einem Fußballteam: Die eigenen Spieler foulen nie, der Schiedsrichter ist ungerecht und es sind immer die anderen schuld.

In Kriegszeiten tritt das Gut-Böse-Schema noch stärker hervor, geheime Informationen haben einen noch höheren Stellenwert – könnte der Krieg in der Ukraine einen Einfluss auf den Fall Assange haben?

Momentan ist weltpolitisch alles stark polarisiert. Dass der Krieg den Assange-Fall in der öffentlichen Wahrnehmung überschattet, ist in einer solchen Krisensituation verständlich. Das Gruppendenken „Wir gegen die anderen“ tritt stark zu Tage. Gerade die heutige Situation, in der es auf allen Seiten schwierig ist, Propaganda von Tatsachen zu unterscheiden, wäre aber auch eine Gelegenheit, die gesellschaftliche Bedeutung von Pressefreiheit, Transparenz und politischer Verantwortlichkeit in Erinnerung zu rufen, Werte also, welche durch die Kriminalisierung von Assange ganz fundamental bedroht werden.

Sie sind stark dafür kritisiert worden, dass Sie dem russischen Staatsfernsehen Interviews gegeben haben – einem Propagandasender. Warum haben Sie das gemacht?

Einerseits bin ich Sonderberichterstatter der Weltorganisation UNO, und nicht des Westens. Ich kann mich bei meiner Arbeit daher nicht nur auf etablierte westliche Medien beschränken, sondern muss dafür offen sein, Medienplattformen aus aller Welt Interviews zu geben, auch wenn diese nicht immer über alle Zweifel erhaben sind. Andererseits gibt es auch bei westlichen Medien blinde Flecken, wo gesellschaftspolitisch wichtige Themen totgeschwiegen oder völlig selektiv und verzerrt dargestellt werden – dazu gehört auch der Fall Assange. Als UN-Sonderberichterstatter erachtete ich es als meine Pflicht, die mir zu Verfügung stehenden Kanäle zu nutzen, um die volle Dimension dieses Justizskandals an die Öffentlichkeit zu bringen. Für Propaganda habe ich mich jedoch nie instrumentalisieren lassen, und zwar auf keiner Seite des politischen Grabens.

Sie schreiben in Ihrem Buch von „Mainstreammedien“, ein Begriff, der negativ konnotiert ist und von Rechtspopulisten gebraucht wird. Damit macht man sich nicht unbedingt Freunde…

Für Rechtspopulismus habe ich überhaupt keine Sympathie. Aber meine Aufgabe als UN-Sonderberichterstatter ist nicht, mir Freunde zu machen, sondern Staaten mit Hinweisen für Verletzungen des Folterverbotes zu konfrontieren und auch zu zeigen, wie die vorherrschende Medienberichterstattung in gewissen Fällen zu Missbräuchen beigetragen hat. Das sind natürlich umbequeme Wahrheiten, die am Selbstbild kratzen und nicht immer auf Wohlwollen stoßen.

Dennoch hat mich erstaunt, dass sich ein so etabliertes Medium wie die „Süddeutsche Zeitung“ dafür hergibt, einen ganzseitigen Diffamierungsartikel gegen mich zu schreiben, weil ich einem russischen Sender Interviews gegeben habe und ein – wohlgemerkt authentisches - Foltervideo retweetet habe. Aufgrund von ausführlichen Hintergrundgesprächen wussten die Journalisten ganz genau, dass ich kein „Putin-Freund“, „Rechtsextremer“ oder „Querdenker“ bin. Trotzdem haben sie mich böswillig in diese Ecke gedrängt und mir danach sogar kurzerhand die Ausübung meines Gegendarstellungsrechts verweigert.

Das war sowohl journalistisch unseriös als auch persönlich verletzend.

Was hat Sie an der Berichterstattung über den Assange Fall besonders gestört?

Dass der öffentliche Fokus immer wieder auf Dingen lag, die letztlich Nebenschauplätze waren: Etwa die ganzen Diffamierungen von Assange aufgrund seiner angeblich mangelnden Hygiene oder der Vorwurf des Narzissmus. Dass Assanges teilweise irritierendes Verhalten auch mit seinem mehrfach diagnostizieren Asperger Syndrom zusammenhängen könnte, einer leichten Form des Autismus, die seine Interaktion mit anderen Menschen stark beeinflusst und leicht zu Fehlinterpretationen führen kann, wurde bisher kaum thematisiert.

Auch die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange wurden von den schwedischen Behörden in Wirklichkeit nie ernsthaft verfolgt, sondern wurden aggressiv dazu missbraucht, um von seinen brisanten Veröffentlichungen abzulenken. Dass Schweden das Verfahren auf Druck der Briten in geradezu grotesker Weise verschleppte und erst nach fast zehn Jahren aus Beweismangel einstellte, wurde dann kaum noch wahrgenommen.

Hingegen wurden die durch Wikileaks bewiesenen Verbrechen, wie etwa das berüchtigte Massaker „Collateral Murder“, nicht verfolgt – obwohl es sich dabei eindeutig um Mord und ein Kriegsverbrechen handelt. Meine Arbeitsmethoden dürfen sehr wohl in Frage gestellt werden, und in gewissen Fällen habe ich vielleicht auch Fehler gemacht. Genauso darf man auch Assanges Persönlichkeit hinterfragen. Aber wenn sich der Fokus der Medien auf solche Nebenschauplätze beschränkt und kein Druck auf die Regierungen gemacht wird wegen der systematischen Straflosigkeit von Folterern und Kriegsverbrechern, dann stimmt doch etwas nicht, dann versagen sie in ihrer Aufgabe als die „vierte Macht“ im Staat.

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Nils Melzer war UN-Sonderberichterstatter über Folter, er hat sein Mandat nicht verlängert.

Wenn man mit Menschen spricht, die sich für Assange engagieren, merkt man eine große Getriebenheit – und Ohnmacht. Weil sie nichts ausrichten können. Und für die Pressefreiheit sehr viel auf dem Spiel steht.

Der Öffentlichkeit muss bewusst sein, dass Veröffentlichungen von Kriegsverbrechen und Korruption in ihrem Interesse sind: Das muss natürlich gewissenhaft geschehen, es darf niemand ungerechtfertigt gefährdet werden – man darf gewisse Arten von Leaks also durchaus strafbar machen. Aber ebenso dürfen solche Einschränkungen nicht zur Aushebelung des Rechtsstaates und zu de facto Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen führen. Das gefährdet die Integrität unserer rechtsstaatlichen Institutionen. Dieser Gedanke war für mich zentral.

Wenn die britische, die amerikanische und die schwedische Justiz so offensichtlich Gesetze missachten können, was heißt das dann für unsere eigenen Rechte als Bürger*innen? Was bedeutet es, wenn Journalist*innen plötzlich Angst haben müssen, Beweise für staatliche Verbrechen zu veröffentlichen? Man spricht im Zusammenhang mit dem Fall Assange inzwischen zwar mehr über Pressefreiheit, aber immer noch nicht darüber, warum Pressefreiheit für eine freie und demokratische Gesellschaft überlebenswichtig ist, und warum sich der gesamte Justizapparat Großbritanniens seit mehr als zehn Jahren außerstande zeigt, die politische Verfolgung und systematische Zerstörung dieses Mannes zu verhindern.

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Auch viele große Medien, die stark von Wikileaks Daten profitiert haben, hielten sich bei der Berichterstattung über den Prozess eher zurück…

Es hat mich erschüttert, dass die freie Presse kein größeres Interesse hat, ihre eigene Existenz zu verteidigen. Der Fall Assange müsste medial ständig begleitet werden. Im deutschsprachigen Raum war das Interview im Schweizer Magazin „Republik“ zu meinen Untersuchungsergebnissen ein wichtiger Wendepunkt – im angelsächsischen Raum hingegen bleibt die Berichterstattung bis heute extrem oberflächlich.

Inwiefern hat Sie die Beschäftigung mit dem Fall Assange selbst verändert?

Ich sehe jetzt realistischer, wie stark die Selbstwahrnehmung westlicher Rechtsstaaten verzerrt ist. Wenn sie vorbildlich funktionierende Rechtsstaaten wären, dann müssten Recht und Gesetz auch – und gerade - in machtpolitisch heiklen Fällen durchsetzbar sein. Das hat der Assange-Fall klar widerlegt – nicht nur für die USA und Großbritannien, sondern auch für Schweden und Australien.

Selbst in Deutschland ist das nicht anders, wie etwa die Affären um die NSA-Überwachung und die Firma Crypto AG, sowie die Fälle von Snowden und El-Masri gezeigt haben. Der Assange-Fall war für mich ein Schlüsselloch, durch das ich direkten Einblick in eine parallele Welt hinter den Kulissen bekam, wo die wirklichen machtpolitischen Entscheidungen getroffen werden, und wo nur das Recht des Stärkeren gilt. Seither ist mir auf Schritt und Tritt bewusst, wie es wirklich läuft. Wir sind zu bequem geworden in westlichen Rechtsstaaten.

Wenn man unsere Regierungen mit klaren Beweisen für Verletzungen des Folterverbotes konfrontiert und sie an ihre rechtsstaatlichen Pflichten erinnert, ob im Assange Fall, in der Migrationskrise oder bei der Polizeigewalt, dann bekommt man meist irgendwelche Plattitüden oder Ausflüchte zurück, oder es wird der Dialog gleich ganz abgebrochen. Das unsere Rechtsstaaten auf so gravierende Weise versagen können, empfinde ich als erschütternd.

Wikileaks hat kurz vor der US-Präsidentschaftswahl von 2016 internen Mailverkehr von Hillary Clinton und den Demokraten veröffentlicht, die so genannten DNC Leaks. Clinton hat Assange später für ihre Wahlniederlage verantwortlich gemacht. Es hieß, die Daten kämen von russischen Hackern. Hätten Sie Assange von der Veröffentlichung abgeraten?

Ich persönlich hätte Assange sowieso keine Ratschläge gegeben. Mein Eindruck ist aber, dass er alles veröffentlicht hat, was von öffentlichem Interesse war, ob es nun um die USA ging, oder um Russland, Saudi Arabien oder die Elfenbeinküste. Bezeichnenderweise wird Assange ja auch nicht wegen der DNC-Leaks angeklagt – ein US-Gericht hat 2019 sogar ausdrücklich bestätigt, dass das von der Pressefreiheit gedeckt war, denn es wurden nie Informationen veröffentlicht, die nicht stimmten. Natürlich spielen Geheimdienste beim Hacken von Informationen oft eine Rolle – und zwar auf allen Seiten. Assange die Schuld für Clintons Wahlniederlage zuzuschieben, ist ein allzu bequemes Narrativ, das die Verantwortung der demokratischen Partei unter den Teppich kehrt.

Von verschiedenen Seiten ist zu hören, dass Russland Assange wie Snowden Asyl angeboten haben soll, er aber abgelehnt habe.

Das habe ich auch gehört, ich bin dem aber nie nachgegangen, weil es für meine Untersuchung der Foltervorwürfe nicht relevant war. Man sollte jedoch bedenken, dass Assange - im Gegensatz zu Snowden - nicht nur amerikanische Geheimdokumente veröffentlicht hat, sondern auch solche aus Russland. Ich denke daher nicht, dass der Kreml ein aufrichtiges Interesse daran hatte, Wikileaks zu schützen. Wenn Russland Assange also tatsächlich Asyl angeboten hat, dann wahrscheinlich eher aus politischem Kalkül.

Der damalige US-Präsident Trump soll Assange Straffreiheit angeboten haben, wenn er versichern könne, dass die Informationen zu den Mails der demokratischen Partei nicht aus Russland stammen…

Ja, es scheint tatsächlich, dass ihm dieses Angebot gemacht wurde. Meines Wissens hat Assange seine Quellen aber nie preisgegeben und hätte das in den allermeisten Fällen auch gar nicht tun können, denn der Datenübermittlungs-Mechanismus von Wikileaks erlaubt es den Quellen, auch gegenüber Wikileaks vollkommen anonym zu bleiben.

Werden Sie vom Fall Assange loslassen können, wenn Sie Ihren Job beim Internationalen Roten Kreuz antreten?

Ich habe den Fall Assange im Rahmen meines Mandates als UN-Sonderberichterstatter für Folter untersucht. Mit der Niederlegung meines Amtes ist daher auch dieses Engagement grundsätzlich beendet. In meiner neuen Funktion beim Roten Kreuz geht es natürlich ebenfalls um die Verhinderung von Folter, Misshandlung und Grausamkeit, wobei die Einhaltung des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten ganz klar im Vordergrund steht.

Die Genfer Konventionen und andere Staatsverträge verpflichten die Staaten dazu, Kriegsverbrechen und schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts strafrechtlich zu verfolgen. Wie in jedem Strafverfahren sollten selbstverständlich auch hier die Täter verfolgt und bestraft werden, und nicht Whistleblower, Journalisten, Opfer oder andere Zeugen, welche diese Verbrechen aufgedeckt haben.

Das Gespräch führte Uli Kreikebaum.