Norbert Röttgen im Interview„Der Brandstifter hat einen Namen: Donald Trump“
Trägt US-Präsident Donald Trump die Verantwortung für die Eskalation in Washington? Und was bedeuten die Ereignisse für Trump, seinen Nachfolger Joe Biden und die USA? Norbert Röttgen, Anwärter auf den CDU-Vorsitz, gibt im Interview eine Einschätzung.
Herr Röttgen, war das am Mittwoch ein versuchter Staatsstreich?
Norbert Röttgen: Nein, es war kein Staatsstreich im eigentlichen Sinne. Denn es ging ja nicht darum, eine amtierende Regierung zu stürzen – die wird immer noch vom amtierenden Präsidenten Donald Trump angeführt, wenn auch nur noch für ein paar Tage.
Trump hat aber doch geradezu zum Sturm auf das Kapitol aufgerufen?
Genau, deshalb ist es auch mehr als einfach nur Randale. Das Historische an der Situation besteht darin, dass der amtierende Präsident des Landes das Volk zum Ansturm auf das Herz der Demokratie, das Parlament, angestachelt hat. Ich glaube, dafür haben wir bisher keine Bezeichnung.
Gehört Trump vor ein Gericht?
Die Situation muss auch strafrechtlich aufgearbeitet werden. Wäre Trump noch länger im Amt als die wenigen verbleibenden Tage, würde ich sagen, das ist ein klarer Fall für ein Amtsenthebungsverfahren.
Wie sollten Deutschland oder die EU auf die Geschehnisse reagieren?
Wir müssen klar zum Ausdruck bringen, wer der Brandstifter war. Der hat einen Namen und er lautet Donald Trump. Agitation, Hass und fehlender Respekt gegenüber den demokratischen Institutionen über Jahre hinweg haben den Nährboden bereitet, für das, was gestern geschah. In Deutschland und der EU sollten wir die gestrigen Ereignisse als Mahnung werten. Auch bei uns gibt es beunruhigende Tendenzen, die wir noch entschiedener bekämpfen müssen.
Wird der 6. Januar zu einem Trauma für die US-Demokratie?
Ja. Die Bilder von der Stürmung des Kapitols werden in die Geschichte eingehen. Das vergisst so schnell niemand, und auch die Spuren werden langanhaltend sein. Diese bestehen zum einen in der tiefen Spaltung der Gesellschaft und zum anderen in dem unglaublichen Versagen der Republikanischen Partei, sich vom Verantwortlichen für diese Spaltung loszusagen. Selbst nach gestern Nacht hat es noch immer keinen endgültigen Bruch mit Trump gegeben. Das ist wirklich skandalös.
Wie sehen Sie die Folgen? Die Aufständischen gehen ja nicht einfach heim und werden friedlich.
Nein, die sind nach ihrem gestrigen Erfolg vermutlich hochmotiviert. Umso wichtiger wäre es, dass die Republikanische Partei jetzt klar macht, wo sie steht, und dabei hilft, die tiefen Gräben zu überwinden. Ich bin sicher, dass Präsident Joe Biden die Versöhnung der Gesellschaft zu seiner wichtigsten Aufgabe machen wird. Aber das wird Zeit kosten, vermutlich mehr als eine Legislaturperiode.
Hat Biden überhaupt eine Chance, diese Aufgabe zu erfüllen?
Ja, die hat er, aber es wird nicht leicht. Immerhin ist nach gestern klar, dass die Demokraten nun beide Kammern des US-Kongresses kontrollieren und damit unabhängiger von den Republikanern handeln können. Diese sind gleichzeitig zur Kooperation mit den Demokraten gezwungen, wenn sie etwas durchsetzen wollen. Joe Biden ist ein Mann der Mitte. Er hat Erfahrung und ein starkes Team an seiner Seite. Er ist der Richtige für diese Aufgabe.
Was trauen Sie Trump in seiner nachpräsidialen Zeit an Störpotenzial zu?
Ich hoffe - und glaube es allerdings auch -, dass wir von Trump nicht mehr viel sehen werden. Wichtiger ist jetzt, welchen Weg die Republikaner als Partei einschlagen. Trumpismus ohne Trump? Oder eine Rückkehr zu Positionen der Mitte? Ich hoffe auf letzteres, aber wage da noch keine Prognose.