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Notfallseelsorger zur FlutkatastropheWie bewältigt man ein solches Trauma?

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Zwei Brüder vor ihrem von der Flut zerstörten Elternhaus in Altenahr: ein bewegendes Bild des Leids.

Notfallseelsorger Albrecht Roebke ist evangelischer Pfarrer und Koordinator der Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg. Er kümmert sich um belastete Einsatzkräfte sowie Betroffene der Flutkatastrophe.

(Sie können das Gespräch mit Alfred Roebke hier auch als Podcast hören.)

Sie sind derzeit im Einsatz, um Menschen, die psychologische Hilfe benötigen, zu unterstützen. Wie gehen Sie dabei vor?

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Manchmal sprechen wir Menschen vor Ort gezielt an, von denen wir den Eindruck haben, dass es ihnen nicht gut geht, manchmal werden wir auch gerufen. Zu Beginn der Katastrophe sind wir zu den Unterkünften gekommen, wo die Menschen hin evakuiert worden sind. Und wir werden von Leitstellen informiert, wo es Betreuungsbedarf bei Einsatzkräften gibt.

Was erleben Sie derzeit?

Wir waren beteiligt an der Rückführung der Menschen zu evakuierten Dörfern. Feuerwehr und Polizei hatten die Dörfer ja abgeriegelt und man wusste schon, dass Einzelne nur noch vor den Trümmern ihres Hauses stehen würden. Darum haben wir unsere Einsatzkräfte vor den kaputten Häuser platziert.

Einsatzkräfte haben mit ansehen müssen, dass Menschen von Fluten weggerissen und Häuser weggeschwemmt wurden. Wie geht es denen?

Die Menschen haben schreckliche Dinge gesehen, die man sonst eigentlich nur von Kriegsereignissen kennt. Bei den Einsatzkräften gibt es aber noch andere Belastungen. Da waren zum Beispiel welche, die mit ihrem ganzen Equipment bereitstanden, aber nicht zum Einsatz kamen. Die nicht vorrücken konnten, weil der Strom noch nicht abgestellt ist. Das ist zwar kein schlimmes Bild, aber trotzdem sehr schlimm für die Einsatzkräfte, weil sie nicht helfen konnten. Grundsätzlich zählen Einsatzkräfte, was die Belastung angeht, natürlich zu Profis. Auch die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr sind Profis und vorbereitet auf schlimme Bilder, vielleicht nicht so heftigen. Was da oft zu Problemen führt, ist, wenn ein Detail der Opfer sie an ihre eigene Biografie erinnert, wenn die geborgene Wasserleiche ein rotes T-Shirt trägt wie die Tochter. Da bricht der professionelle Abstand dann zusammen.

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Diese Katastrophe ist buchstäblich vom Himmel gefallen, plötzlich wurde aus dem erwarteten Starkregen die Flut. Macht das den Schock der Betroffenen noch größer?

Auf jeden Fall. Aus dem Nichts sind die gewohnten Lebensumstände weg, nichts im Leben ist mehr wie es vorher war. Das ist nicht nur der materielle Besitz, das ist ja auch der Verlust von Heimat, von meinem Dorf, das auf einmal Katastrophengebiet ist, obwohl vor drei Stunden noch alles in Ordnung war. Man hat unendlich viel verloren und Angst um Menschen, die man kennt und nicht erreicht. Das führt tatsächlich zu einer Grundverunsicherung. Wenn ich mich nicht mehr darauf verlassen kann, dass mein Haus nicht innerhalb von vier Stunden verschwindet, worauf kann ich mich in dieser Welt überhaupt verlassen? Man verliert das Vertrauen in die Welt.

Viele Menschen werden noch vermisst. Diese Sorge ist sicher auch sehr belastend, oder?

Ja, und je länger es dauert, umso schlimmer wird es. Am Anfang hatten diese Sorge ja fast alle in den Flutgebieten, weil alle Telekommunikationsmittel zusammengebrochen waren. Diese Ungewissheit macht sehr mürbe. Zum Glück konnten sich viele Menschen nach zwei Tagen schon wiederfinden. Wenn ich jetzt noch Vermissender bin, ist das fast wie Folter, weil man zwischen zwei Extremen hin- und herpendelt. Auf der einen Seite gibt es noch Grund zum Hoffen, rein rational sinkt die Hoffnung. Beides ist absolut quälend.

Welche Situation ist Ihnen persönlich nahegegangen in der vergangenen Woche?

Da gab es viel, aber sehr nahe gegangen ist mir, wie viele Rettungskräfte selbst in Lebensgefahr waren, die selbst von Fluten weggerissen wurden oder deren Wagen in Fluten stecken geblieben ist, während das Wasser immer weiter stieg. Das hat mich schockiert, weil Rettungskräfte ja das Equipment haben und gerade die sind, die eigentlich trotzdem noch durchkommen. Wenn die plötzlich selbst in Lebensgefahr sind, ist das von den Dimensionen schon heftig. Viele Feuerwehrleute haben zudem erzählt, dass die erste Frage von Menschen, die teilweise erst nach 48 Stunden von ihren Dächern geborgen werden konnten, die Frage nach etwas zu essen für ihre Kinder war. Diese Dimension von Katastrophe, dass Menschen physisch Hunger haben, kennen wir in unseren Breiten einfach nicht. Das ist wirklich ans Fundament der Menschen gegangen.

Neben einer großen Solidarität unter Menschen, gibt es auch die Gaffer und Katastrophen-Touristen? Belastet das die Betroffenen zusätzlich?

Natürlich. Die Betroffenen sind total überfordert und haben maximalen Stress. Es spielt auch das Gefühl von Scham eine Rolle. Ich bin einer Notlage, ich bin nackt, man sieht meine Not und ich brauche Hilfe. Wenn dann Leute in dieser Not helfen, ist das wunderbar. Aber wenn Menschen aus touristischem Interesse diese Not wahrnehmen, ist das fast unerträglich und fast ein eigener Trauma-Grund.

Welche Rolle spielen Schuldzuweisungen bei der psychologischen Verarbeitung?

Schuldgefühle und -zuweisungen haben einen Sinn, wenn mein Weltbild erschüttert und mein Haus weg ist und ich um mein Leben gekämpft. Alle Formen von Schuldgefühlen sind richtig und psychologisch wichtig, egal, ob sie berechtigt sind oder nicht. Ich will dann verstehen, was passiert ist und wie ich ausschließen kann, dass mir das nochmal passiert. Es kann auch sein, dass Menschen sich selbst die Schuld geben, was objektiv betrachtet Quatsch ist. Aber die Suche nach Schuld, egal wie rational oder irrational, sollte man den Leuten nicht wegnehmen. Man sollte sie nicht verstärken, aber auch nicht verharmlosen. Davon unbeschadet ist natürlich die Frage: Ist hier wirklich jemand schuldig geworden und was können wir für die Zukunft lernen, damit das nie wieder passiert. Das ist aber eine andere Debatte.

Was ist mit Wut?

Viele Menschen reagieren mit Wut und das ist auch erst einmal gesund. Viele Menschen haben auch eine durchaus berechtigte Wut auf den lieben Gott zum Beispiel, wenn man gläubig ist. So normal diese Reaktion nach einem heftigen Ereignis ist, so sehr muss man sehen, dass man nicht in der Wut stecken bleibt. Die Wut lenkt nämlich vom Trauern ab. So lange ich wütend bin, kann ich nicht anfangen zu trauern und Abschied zu nehmen

Es gibt sehr viele Betroffene – und bei vielen dürften sich Schock oder das Trauma unterschiedlich auswirken.

Es gibt Menschen, denen man das erst einmal gar nicht anmerkt, weil sie in der akuten Situation einfach funktionieren. Bei vielen dauert es mehrere Wochen, bis die psychologische Verarbeitung einsetzt, bis wirklich ankommt, was passiert ist. Viele sind bis dahin tatsächlich noch in diesem Schock-Zustand, der Menschen ja auch schützt. Man realisiert noch nicht, was das alles bedeutet. Diese Verdrängung ist in dem Fall auch nichts Ungesundes, sondern sehr gesund, weil man zusammenbrechen würde, wenn man alles direkt emotional an sich ranlässt. Irgendwo zwischen zwei und vier Wochen fängt meine Seele im Normalfall an, sich damit zu beschäftigen. Und erst dann kann man sagen, ob da langfristig ein psychisches Problem auftritt oder nicht.

Wie kann ich helfen, wenn Freunde oder Bekannte betroffen sind?

Erst einmal das Dasein anbieten. Sagen, du kannst jederzeit zu mir kommen und bestimmst dann auch was wir machen. Die Betroffenen sind da sehr unterschiedlich. Es gibt Leute, die brauchen das Fünkchen Normalität und wollen dann vielleicht in Köln shoppen gehen, weil sie mal für eine Stunde nicht an Verstörung und Katastrophe denken wollen. Manche Menschen erzählen immer wieder das Erlebte, weil sie darüber den Stress und Druck abbauen können. Ich würde Angehörigen immer raten: Fragt nach einer Gebrauchsanweisung.

Es wird noch Jahre dauern, bis die materielle Schäden beseitigt sind. Wie bewerten Sie die psychischen Langzeitschäden?

Die sind schwer voraus zu sehen, weil das, was jetzt passiert noch eine große Rolle spielt. Die ersten Tage nach einer Katastrophe sind sehr entscheid dafür, wie ich langfristig damit fertig werde. Man muss aber auch sagen, dass zwei von drei Menschen auch ohne jede Art von Unterstützung durch massivste kritische Erlebnisse kommen, ohne traumatisiert zu sein.

Das ist eine gute Nachricht.

Ja, und das vergisst man manchmal, weil es heutzutage auch manchmal ein bisschen den Zwang gibt. Wenn du so etwas Schlimmes erlebt hast, musst du ja traumatisiert sein. Ein Drittel entwickelt Langzeitfolgen. Eine wichtige Nachricht an die Angehörigen ist also auch, den Leuten die Chance zu geben, nicht traumatisiert zu sein. Seinem Freund sagen zu können: Du darfst da auch gesund rauskommen. Wenn Menschen die Dinge wieder unter Kontrolle bekommen und relativ schnell einen sicheren Ort für sich und möglichst viel Normalität finden feststellen, lässt sich die Zahl des Drittels mit Langzeitfolgen auch nochmal um 60 Prozent drücken. dem drittel was langzeitfolgen hat tatsächlich noch mal um 60 Prozent drücken.

Oft erkennen Menschen, die Hilfe brauchen, das selbst nicht. Wie gehen Freunde oder Angehörige am besten vor?

Als Angehörige würde ich gucken, welche verschiedenen lokalen Netzwerke es an psychologischen Beratungsstellen gibt, die Nummer von der Telefonseelsorge aufschreiben. Es kann ja sein, dass mein Freund, der die Katastrophe erlebt habt, auf einmal nachts um zwei aufwacht und ihn ein Gedanken nicht mehr loslässt und er in eine Krise gerät. Wenn man dann die Nummern hat, ist das wie ein Fallschirm. Es ist gut, wenn man ihn auf dem Rücken hat, denn wenn man springt, braucht man ihn sofort. Grundsätzlich ist alles, was in den ersten sechs Wochen auftritt, auch wenn es massiv verstörend und belastend ist, erst einmal nicht besorgniserregend im Sinne von: Jetzt habe ich ein Trauma und es geht nie wieder weg. Die ersten sechs Wochen darf alles sein, egal wie schlimm.

Haben Sie ein Beispiel?

Leute, die maximalem Stress ausgesetzt waren, haben oft Schwierigkeiten beim Schlafen. Das ist normal, weil der ganze Körper auf Alarm und Überleben gestrickt ist. Das fährt man nicht auf einmal wieder runter und schläft dann acht Stunden. Wenn ich nach sechs Wochen immer noch zu wenig schlafe, aber Besserung sehe, fängt die Seele an, das zu verarbeiten. Wenn es nicht besser wird, sollte man sich psychologische Hilfe holen. Wichtig ist es für Angehörige zu wisse: Die Reaktionen des Menschen, der unter Stress steht, sind normal. Was nicht normal ist, ist die Katastrophe.

Wie sehen Ihre nächsten Tage aus?

Der Fokus wird sich jetzt vermutlich mehr von den direkt Betroffenen auf die Einsatzkräfte richten, die unermüdlich im Einsatz war und Übermenschliches geleistet haben. Die hatten ja noch gar keine Zeit, das Erlebte hochkommen zu lassen geschweige denn zu verarbeiten. Die funktionieren im Einsatz und gehen dann mal nach Hause. Aber wenn dann nach der Ruhephase etwas hängen geblieben ist, äußert sich der Stress und dann kommen die Bilder. Natürlich werden aber auch noch viele Menschen vermisst. Es wird also weiterhin Todesnachrichten zu überbringen geben. Und einzelne Interventionen, da wo Menschen Unterstützung brauchen.