Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat sechs Geschichten von gewalttätigen Asylbewerbern in NRW recherchiert. Sie sind beunruhigend.
Sechs FälleAbschiebedesaster NRW – Aus der Wut ist Ratlosigkeit geworden
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Polizeibeamte begleiten einen Afghanen in ein Charterflugzeug. In einzelnen Fällen werden Menschen aus Afghanistan abgeschoben.
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Er hat wild um sich geschlagen. Auf alles eingeprügelt, was in seine Nähe kam. Nachdem Mbwanbe M. im Kölner Stadtteil Ehrenfeld einem Passanten einen Schlüssel über die Stirn gezogen haben soll, hatte der Verletzte am 15. November vergangenen Jahres die Polizei gerufen. Als noch nicht einmal ein Elektro-Taser den aggressiven Mann aus dem Kongo stoppen konnte, versuchten vier Beamte gleichzeitig, ihn festzunehmen. Drei wurden dabei zum Teil schwer verletzt. Einer jungen Polizistin biss der Tobende ein Stück vom Ohr ab. Die 26-Jährige versucht bis heute, mit dem Trauma fertig zu werden.
Mbwanbe M. ist ausreisepflichtiger Asylbewerber – und nach Informationen unserer Zeitung vielfach vorbestraft. Genau wegen solcher Männer und spätestens seit der tödlichen Messerattacke von Aschaffenburg stehen Vorschläge zur Verschärfung der Migrationspolitik im Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfes. Im vergangenen Jahr gab es nach Angaben des NRW-Fluchtministeriums 4440 Rückführungen und Überstellungen an andere für die Asylverfahren eigentlich zuständige EU-Länder. Gleichzeitig aber sind 4086 versuchte Abschiebungen gescheitert, vor allem weil die Betroffenen plötzlich unauffindbar waren.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat in den vergangenen Wochen sechs Geschichten längst überfälliger Rückführungen aus NRW recherchiert.
Kollaps eines Abschiebesystems
Unter anderem der Blick in nicht-öffentliche Unterlagen zeigt das Ausmaß der Missstände. Zum Problem werden oft illegale Migranten, die ihre Identität verschleiern. Viele davon sind allein reisende junge Männer, einige haben psychische Erkrankungen. Das Abschiebesystem, das vermutlich noch nie funktioniert hat, droht so zu kollabieren. Die Wut über das Versagen ist längst einer Rat- und Hilflosigkeit gewichen, die auch bei den Verantwortlichen in den örtlichen Ausländerämtern zu spüren ist.
Beispiel Nummer 1: Mbwanbe M. (40) sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Die Kölner Staatsanwaltschaft hat den abgelehnten Asylbewerber vor dem Kölner Landgericht wegen schwerer Körperverletzung und Widerstand gegen Vollzugsbeamte angeklagt. Am 9. Mai soll der Prozess beginnen. Sein Verteidiger Ralf Stark sagte auf Anfrage, dass man die Tat an sich „nicht bestreiten kann“. Allerdings stelle sich die Frage der Schuldfähigkeit. „Mein Mandant wird derzeit psychiatrisch untersucht, erst danach kann man sich ein umfassendes Bild über seinen gesundheitlichen Zustand zur Tatzeit machen“, so Stark.
Als Kind kam M. mit seiner Familie 1991 in Deutschland an. Die Asylanträge wurden zwar abgelehnt, dennoch erhielt die Familie eine Duldung. Seitdem M. volljährig ist, hat er eine Straftat nach der anderen begangen. Er wird unter anderem verdächtigt, drei Hausfriedensbrüche, sieben Diebstähle, neun Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, eine Unterschlagung und Sachbeschädigung, eine Gefangenenbefreiung, dreimal Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, vier Raubüberfälle sowie fünf einfache und vier gefährliche Körperverletzungen begangen zu haben. Insgesamt existieren bisher mindestens 19 rechtskräftige Urteile gegen ihn, 43 Straftaten soll er begangen haben.
Duldung wurde verlängert, obwohl M. 43 Straftaten begangen haben soll
Die Duldung des Mannes, der in Kinshasa geboren ist, wurde dennoch immer verlängert. Obwohl die Demokratischen Republik Kongo mittlerweile als sicheres Herkunftsland gilt. Im Februar vergangenen Jahres startete beispielsweise eine bayerische Chartermaschine mit 14 Personen kongolesischer Staatsangehörigkeit. Bei den erfolgreichen Rückführungen habe es sich um kriminell gewordene Personen gehandelt, teilte das „Bayerische Landesamt für Asyl“ mit: „Zu den begangenen Straftaten gehören Delikte wie schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, gefährliche Körperverletzung und Bedrohung.“
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Dublin-Überstellungen 2024 nach Staatsangehörigkeit der abgeschobenen Personen
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Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ räumte auch das NRW-Flüchtlingsministerium ein, im vergangenen Jahr sieben Personen in den Kongo abgeschoben zu haben. Der straffällige Gewalttäter Mbwane M. war nicht darunter. Obwohl dem Vernehmen nach sogar dessen Duldung abgelaufen war.
Jetzt soll der Straftäter plötzlich abgeschoben werden
Zuständig für M. ist das Ausländeramt in Neuss. Für ihn habe es ein „Abschiebeverbot nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz“ gegeben, heißt es dort auf Anfrage. In dem Paragrafen findet sich ein Verweis auf Paragraf 60 Absatz 5 und 7 des Gesetzes: Verletzt eine Abschiebung die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMKR) oder bedeutet eine Ausweisung Lebensgefahr, kann sie verboten werden. Regeln, die jede Menge Platz für Interpretationen lassen.
Drei seiner Straftaten habe Mbwande M. als Jugendlicher begangen, heißt es auf eine weitere Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Neuss. Nach zwei Fällen, in denen er als Erwachsener zu Haftstrafen verurteilt worden sei, habe es „eine Anhörung zum Ausweisungsverfahren“ gegeben, die beide jedoch nur zu einer „schriftlichen Verwarnung“ geführt hätten. Nach den Vorfällen in Köln gebe es nun einen neuen Versuch, das Abschiebeverbot aufheben zu lassen. „Derzeit läuft noch ein Widerrufsverfahren, welches die Stadt Neuss nach Bekanntwerden des von Ihnen geschilderten Vorgangs beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeleitet hat“, teilte das zuständige Ausländeramt mit.
Beispiel Nummer 2: Als Beleg für die systemische Überforderung des Behördenapparates kann auch Hassan N. gelten. Der Mann kam ohne Ausweispapiere nach Deutschland. Im Oktober vergangenen Jahres hat er versucht, ein von fast 90 Menschen besuchtes Kino in der Krefelder Innenstadt anzuzünden. Der vermutlich aus dem Iran stammende Mann verfügte über 27 Identitäten, wie sich nach der Tat herausstellte. Asyl beantragte er dem Vernehmen nach in Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden, der Schweiz und Österreich. 2008 wurde er der Ausländerbehörde in Krefeld zugeteilt. Am 5. Juli 2010 wurde er vom dortigen Landgericht zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. In der Anklage ging es unter anderem um Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung.
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Vier Monate nach der Brandserie eines mutmaßlichen Amoktäters in Krefeld treten die deutschen Behörden bei der Abschiebung des Iraners immer noch auf der Stelle.
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Aus der Haft entlassen, verschwand der Mann ein Jahrzehnt lang spurlos, bevor er 2024 wieder in Krefeld auftauchte. Eine Erklärung des NRW-Fluchtministeriums dazu liest sich wie ein Offenbarungseid: Vorausgesetzt, der Ausreisepflichtige stamme tatsächlich aus dem Iran, könne Hassan N. doch gar nicht als gescheiterte Abschiebung gewertet werden. Die iranischen Behörden würden für die Ausstellung der notwendigen Einreisedokumente schließlich eine „Freiwilligkeitserklärung“ der Betroffenen verlangen. N. aber habe dieses Papier einfach nicht unterschrieben.
Beispiel Nummer 3: Das Abschiebedesaster um den islamistischen Attentäter, der im August vergangenen Jahres auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet und acht teilweise schwer verletzt hat. Issa al H. reiste am 25. Dezember 2022 nach Deutschland ein. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte der Syrer die Route über die Türkei, Bulgarien und Österreich nach Deutschland gewählt. Da seine Fingerabdrücke in der EU-biometrischen Datenbank Eurodac für Asylbewerber in Bulgarien gespeichert waren, fanden die deutschen Behörden schnell heraus, dass der Tatverdächtige laut dem Dubliner-Abkommen in NRW nichts zu suchen hatte.
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Eine junge Frau aus Afrika hält einen Ausweis für Flüchtlinge in der Hand mit dem Titel: Aussetzung der Abschiebung (Duldung).
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Im Februar 2023 erhielt al H. den Ausweisungsbescheid nach Bulgarien. Als die zuständigen Mitarbeiter aus dem Bielefelder Ausländeramt am 3. Juni vergangenen Jahres in seiner Flüchtlingsunterkunft in Paderborn zwecks Abschiebung anklopften, war er allerdings nicht da. Einer von mindestens 1877 Fällen, in dem Ausreisepflichtige 2024 in NRW ihre Rückführung durch zwischenzeitliches Verschwinden verhinderten.
Asylbewerber war verschwunden, als er abgeschoben werden sollte
Issa al H. tauchte erst wieder auf, nachdem die sechsmonatige Frist abgelaufen war, in der der 26-Jährige gemäß EU-Rechtsprechung mit dem ergangenen Bescheid nach Bulgarien überstellt werden durfte. Nicht nur die Abschiebung war damit gescheitert: Jetzt waren die nordrhein-westfälischen Behörden für das gesamte Asylverfahren zuständig, das wieder bei Null starten musste. Der Syrer wurde nach Solingen verlegt, erhielt staatliche Unterstützung und einen „subsidiären Status“. Dieser Status wird erteilt, wenn im Heimatland des Betroffenen bewaffnete Konflikte stattfinden.
Beispiel Nummer 4: Ähnlich lief das Verfahren des algerischen Asylbewerbers Souat K. Der Mann soll am 23. November 2024 die zentrale Flüchtlingseinrichtung in Schleiden in Brand gesteckt haben. Der 35 Jahre alte Nordafrikaner wurde kurz nach der Tat festgenommen. Ihm wird siebenfacher versuchter Mord zur Last gelegt. Er reiste im Dezember 2015 ohne Ausweispapiere nach Deutschland ein. In Baden-Württemberg erhielt er zunächst eine Duldung. Anschließend verschwand er vom Radar der Ausländerbehörden.
Als er im November 2023 in NRW wieder auftauchte, stellte er erfolglos einen Asylantrag. Im vergangenen Jahr ist er in sechs Strafverfahren unter Tatverdacht geraten. Ihm werden Betrug, Untreue, Diebstahl in sieben Fällen, Drogendelikte sowie sexueller Missbrauch einer 13-jährigen Schülerin in Düren zur Last gelegt. Aber erst als der Nordafrikaner sich im August 2024 weigerte, freiwillig aus Deutschland auszureisen, beantragte die Zentrale Ausländerbehörde in Köln eine „Passersatzbeschaffungsmaßnahme“ für die maghrebinischen Staaten Algerien, Tunesien und Marokko. Die erhofften Dokumente sind bis heute nicht angekommen.
Nach NRW gekommen, um Kinder zum Diebstahl einzusetzen
Beispiel Nummer 5: Wie leicht es ist, auch ohne Asylantrag durch die innerdeutschen Kontrollen zu schlüpfen, belegt der Fall von Dzianis Z.. Das Amtsgericht Siegburg verurteilte den 29 Jahre alten Weißrussen am 19. Dezember 2024 wegen schweren Bandendiebstahls zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. Er war unter ungeklärten Umständen zwei Jahre zuvor nach Deutschland eingereist. Seitdem soll der Mann laut dem Urteil zu einer Bande gehört haben, die ukrainische Kinder zum Diebstahl von hochpreisigen Spirituosen in Supermärkte schickte.
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Nordrhein-Westfalens einziges Abschiebegefängnis in Büren bei Paderborn platzt aus allen Nähten.
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Dzianis Z. soll beispielsweise zwei Jungen unter 14 Jahren in Hit-Märkte in Niederkassel geschickt haben. Dabei war er zuvor bereits aktenkundig geworden. Auch in Rheinland-Pfalz ist der Weißrusse nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit Diebstählen aufgefallen. Ehe die Behörden aber tätig wurden, war er abgetaucht. Keiner hakte nach, nirgendwo schien sich jemand für ihn zu interessieren. Bis er bei den Ermittlungen der NRW-Polizei gegen die Klaubande zufällig wieder auftauchte und festgenommen werden konnte.
Beispiel Nummer 6: Vor etwa fünf Wochen ereignete sich in Bonn ein bemerkenswerter Fall. Die dortige Polizei hatte einen Mann festgenommen, gegen den vier Strafverfahren wegen sexueller Belästigung laufen. Ein Kollege der Bundespolizei hatte den Marokkaner am Hauptbahnhof erkannt und sich an einen vorherigen Fahndungsaufruf erinnert.
Die Identitätsfeststellung ergab, dass sich der 34-Jährige zudem ohne gültigen Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik aufhält. Einer Sprecherin der Bundespolizei zufolge sollte der Mann deshalb in Abschiebehaft genommen werden. Dies sei allerdings daran gescheitert, dass es zu dem Zeitpunkt keine freien Abschiebe-Haftplätze gegeben habe. „Der 34-jährige Mehrfachstraftäter“, wie die Bundespolizei in einer Meldung titelt, wurde daraufhin einfach wieder auf freien Fuß gesetzt.
Zuständig für das Asylverfahren des Marokkaners ist das Kölner Ausländeramt. Man habe „bundesweit alle Abschiebehaftanstalten abtelefoniert, konnte aber dennoch keinen freien Platz finden“, ließ ein Sprecher der Stadt Köln auf Anfrage wissen. „Faktisch und rechtlich gibt es für die Kommune keine Möglichkeit, jemanden, der ausreisepflichtig ist, daran zu hindern, unterzutauchen“, so das vernichtende Urteil des Stadtsprechers. Und nein, es sei nicht bekannt, wo sich der Freigelassene jetzt befindet. Aber immerhin: Die Vorwürfe gegen den Mann seien mittlerweile auch beim Kölner Amt bekannt. Er sei deshalb zur Fahndung ausgeschrieben worden.