Hinter den Angriffen auf Synagogen in Nordrhein-Westfalen vermuteten Ermittler einen Deutsch-Iraner aus dem Rockermilieu und die iranischen Revolutionsgarden. Nun lehnt das OLG in Düsseldorf eine Anklage ab - der Tatverdächtige hatte seine ursprünglichen Pläne nicht ausgeführt, was sich strafbefreiend auswirkt.
Anschlagspläne auf NRW-SynagogeGericht in Düsseldorf lehnt Anklage ab - Taten wurden nicht ausgeführt
Der Fall schien klar zu sein: Ein 36-jähriger Deutsch-Iraner aus Dortmund soll die Schlüsselrolle in einer dreifachen Anschlagsserie auf Synagogen im Ruhrgebiet gespielt haben. Im Mai hatte die Bundesanwaltschaft Baran M. wegen der Anstiftung zur schweren Brandstiftung und versuchter Brandstiftung vor dem 6. Staatsschutzsenat beim Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) angeklagt. Der Fall sorgte für enormes Aufsehen. Immerhin stand der Verdacht im Raum, dass die Revolutionsgarden des Mullah-Regimes in Teheran Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland verfügt hätten.
Inzwischen aber erfolgte eine überraschende Kehrtwende: So kommt der Angeklagte nicht für die Schüsse auf die alte Synagoge in Essen im Herbst 2022 in Betracht. Wie eine Justizsprecherin dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigte, hat der Staatsschutzsenat die Anklage auch in einem weiteren wesentlichen Punkt verworfen. Demnach kassierte das Gericht den Vorwurf, dass Baran M. (Name geändert) einen Landsmann dazu animiert haben soll, die Synagoge in Dortmund in Brand zu stecken. Begründung: Beide seien von der Tat rechtzeitig zurückgetreten. Zugleich verwiesen die Richter den Fall des versuchten Brandanschlages auf eine Schule in Bochum, die an die dortige jüdische Gebetsstätte grenzt, an das Amtsgericht der Ruhrmetropole.
Anwalt sieht Strafverfolger blamiert
Nur selten kommt es vor, dass Gerichte die Anklagen der Bundesanwaltschaft zerpflücken. Die Strafverfolger in Karlsruhe haben nun auch gegen den Beschluss Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. „Mit diesem Schritt sucht die Bundesanwaltschaft ihr Gesicht zu wahren“, erklärte Jörg Tigges, Verteidiger des inhaftierten Angeklagten, dieser Zeitung. Das Verfahren sei völlig unnötig zur Staatsaffäre aufgemotzt worden. „Die Ermittler fingen wie Tiger an und endeten als Bettvorleger“, bemerkte der Dortmunder Anwalt süffisant.
Dabei bot das Geschehen anfangs alle Facetten zu einem dramatischen Terror-Plot. Baran M., der einen deutschen und einen iranischen Pass besitzt, scheint nach Erkenntnissen der Ermittler ein Anhänger der islamischen Machthaber in Teheran gewesen zu sein. Immer wieder reiste er zwischen dem schiitischen Gottesstaat und Dortmund hin und her. Dabei geriet M. offenbar in regimefreundliche Kreise rund um einen der meistgesuchten mutmaßlichen Kriminellen hierzulande: dem Iraner Ramin Y..
Der Rocker-Boss der Hells Angels aus Mönchengladbach soll 2014 ein Bandenmitglied mit einer Maschinenpistole in den Hinterkopf geschossen haben. Anschließend sollen Komplizen die Leiche zerstückelt, die Überreste einbetoniert und in den Rhein geworfen haben. Der Mann soll „ein Verräter“ gewesen sein. Seitdem ein Kronzeuge sich Justiz und Polizei offenbart hatte, sitzen noch zwei mutmaßliche Mordhelfer vor der Duisburger Schwurgerichtskammer. Nur Rocker-Boss Ramin Y. konnte sich 2021 rechtzeitig in den Iran absetzen. Eine Auslieferung an die hiesigen Behörden muss er nicht fürchten.
Vielmehr soll Y. den Ermittlungen zufolge Landsleute wie Baran M. in Dortmund angeworben haben, um Anschläge auf jüdische Einrichtungen zu begehen. Im Sommer 2022 sollen sich beide im Iran getroffen haben. Ramin Y. soll seinem Bekannten mitgeteilt haben, dass er ihn nach seiner Rückkehr ins Ruhrgebiet um einen Gefallen bitten werde, so die Ermittlungen. In einem Telefonat am 16. November 2022 stellte sich heraus, worum es sich drehte. Ramin Y. soll seinen Helfer aufgefordert haben, tags darauf einen Brandsatz an der Dortmunder Synagoge zu legen. Der Auftrag, soll der Rocker-Boss getönt haben, sei durch staatlichen Stellen Teherans erfolgt.
Baran M. traute sich offenbar einen Alleingang nicht zu. Er versuchte wohl, einen Landsmann zu einem gemeinsamen Attentat zu überreden. Am Tag vor dem geplanten Terror-Akt trafen sich beide an einer Tankstelle. Der Plan sah vor, Benzin rund um die Synagoge auszuschütten und das Gebäude mit einem Molotow-Cocktail in Flammen aufgehen zu lassen. Im Gegenzug für seine Hilfe versprach M. dem Bekannten, sich für ihn im Iran zu verwenden. Offenbar drohte dem Mann bei einer Rückkehr in seine Heimat die Festnahme.
Dann meldete Baran M. seinem mutmaßlichen Auftraggeber im Iran, dass er den Brandanschlag ausführen werde. Letztlich kam es nicht dazu, da der Komplize absprang. Am 17. November schaltete er die Polizei ein. Gegen 17 Uhr ließ der Zeuge M. via Chat wissen, dass die Staatsschützer im Bilde seien. Der Deutsch-Iraner stoppte sein Anschlagsvorhaben. Die Richter werten dies als strafbefreienden Rücktritt.
Druck aus Teheran nahm zu - Synagoge in Bochum sollte das Ziel sein
Dennoch nahm der Druck aus Teheran zu. Rocker-Chef Ramin Y. gab am selben Tag den Befehl, das jüdische Gotteshaus in Bochum anzugreifen. Der Angeklagte besorgte sich eine leere Glasflasche und füllte sie mit Benzin.
Abends am Zielort angekommen, entdeckte Baran M., dass die Synagoge hell beleuchtet war. Videokameras überwachten das gesamte Umfeld. M. bekam es wohl mit der Angst zu tun und schleuderte den Molotowcocktail auf das rückwärtige Gebäude der benachbarten Hildegardis-Schule, die gerade frisch saniert wurde. Der Schaden hielt sich in Grenzen.
Der OLG-Senat geht davon aus, dass der Brandsatz nur flog, damit der Angeklagte dem Auftraggeber weismachen konnte, er habe die Befehle befolgt. Vor dem Hintergrund gehen die Richter auch in diesem Fall von einem strafbefreienden Rücktritt vom geplanten Anschlagsvorhaben auf die jüdische Einrichtung aus.