Bundesfreiwilligendienst klingt nach Jungsein, kurz vor der großen Zukunft. Michael aus dem Rhein-Sieg-Kreis startete erst als Rentner.
300 Euro für VollzeiteinsatzMichael ist Rentner – und hat im Freiwilligendienst seine Berufung gefunden
An den Bäumen hängen schon winzige grüne Kirschen. Der Wind flüstert sich durch die langen Halme, der Ehrenpreis hat seine Blüten schon geöffnet. Irgendwo hier bei Bornheim keckert ein Vogel, Insekten brummen vorbei, es bleibt grün, auch wenn man die Augen schließt, denn dann riecht es immer noch saftig.
Bis vor eineinhalb Jahren war die Arbeitsumgebung von Michael wenig naturnah: Computer, Neonlicht, Zahlenkolonnen, Kaffeegeruch. Sein Berufsleben lang saß der heute 60-Jährige mindestens acht Stunden am Tag im Büro.
Nach der Rente wartete der Bestimmungsort
Gehadert hat er damit nicht. „Da hat man sich einmal entschieden und dann war das halt so“, sagt er und schiebt die Mähmaschine in Position. Man merkt ihm an, wie sehr ihm die Arbeit im Freien eigentlich gefehlt haben muss. Denn Michael passt in diese liebliche Obstbaumwiesenlandschaft wie ein Grizzlybär an die lachsvollen Stromschnellen Alaskas. Dennoch musste er erst in Rente gehen und einen Job als Bundesfreiwilliger beim BUND annehmen, um seinen Bestimmungsort zu finden.
Fast 7000 Menschen in Nordrhein-Westfalen leisten einen Bundesfreiwilligendienst. Sie verpflichten sich in der Regel ein Jahr für gemeinnützige Arbeit bei sozialen, ökologischen oder kulturellen Trägern. Junge Menschen – so heißt es auf der Homepage des Bundesfreiwilligendienstes – könnten dabei „erste Einblicke in die Berufswelt“ gewinnen. Ältere Menschen ihre „Lebenserfahrung an andere“ weitergeben und auch nach dem Berufsleben „weiter mitten im Geschehen bleiben“. Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist jung, mehr als 6000 sind jünger als 27 Jahre. Nur jeder Zehnte etwa ist älter, ganze 45 engagierten sich im Jahr 2024 noch über 65. Als Lohn gibt es Beiträge zur Sozial- und Rentenversicherung sowie ein Taschengeld von 300 Euro bei Vollzeiteinsatz.
Sieben Kilogramm hat Michael in den ersten Monaten beim BUND abgenommen
So sieht es zumindest aus, wenn Michael auf sein Konto guckt. Aber das kleine Taschengeld ist natürlich nicht die Hauptmotivation. Michael ist schon in Rente. Zum ersten Mal in seinem Leben sei er unabhängig von der Frage, wie das Geld denn reinkomme. Dass ja auch Kinder ernährt werden müssen. Die Söhne sind mittlerweile erwachsen. „Jetzt möchte ich machen, was ich will.“
Und was er will, das findet er draußen in der Natur: Fitness. Schließlich fährt er schon mal jeden Tag mit dem Fahrrad neun Kilometer zum Einsatzort. „Ich mache hier außerdem 15.000 Schritte am Tag.“ Und wer schon mal stundenlang die Brombeerhecken stutzt, der tut ebenfalls etwas für seinen Körper. Sieben Kilogramm hat er abgenommen in den ersten Monaten beim BUND. Auch die Rückenschmerzen, die ihn nach Jahrzehnten am Schreibtisch quälten, seien verschwunden.
Wissen. Zwar war Michael schon immer einer, der achtsam mit der Natur umging und beim Spazierengehen Bonbonpapiere aufgehoben hat, „aber ich sah dabei nur Wiese, heute – nach den vielen Stunden Wiesenkartierung – erkenne ich die Vielfalt und pflücke auch manchmal Breitwegerich oder Wiesensalbei für mein Kräutersalz“.
Die befriedigende Sichtbarkeit der handwerklichen Arbeit. Vor dem Mähen ist die Wiese lang, nach dem Mähen ist sie gestutzt. Nach einigen Tagen werden zusätzlich die angetrockneten Halme zusammengetragen und zu Ballen gepresst. Schließlich soll die Wiese nicht überdüngt werden, das würde den seltenen Arten, die mageren Boden bevorzugen, wieder in die Parade fahren. Meist wandert das Heu dann in die Wiederverwertung beim regionalen Entsorgungsunternehmen. Im Hochsommer besteht die Chance, dass es komplett durchtrocknet und beispielsweise an Pferdebesitzer verkauft werden kann.
Die Natur ist die eine Motivation, jeden Morgen aufzustehen und bei Wind und Wetter am Arbeitsort zu erscheinen; das Wissen darum, wirklich nützlich zu sein. „Ohne das Ehrenamt wäre eine so intensive Betreuung der Wiesen komplett unmöglich“, sagt Achim Baumgartner, Kreissprecher des BUND Kreisgruppe Rhein-Sieg und derzeit Michaels Chef.
Der andere Motor sind die Menschen, das Soziale. Entscheidend sei das Miteinander, der Idealismus. „Ich lerne nochmal ganz andere Leute kennen. Junge Leute, zum Teil sehr engagierte Leute, die sind hier mit Herzblut und Leidenschaft dabei. Die brennen für ihre Sache. Zuletzt hab ich sogar einen Aktivisten getroffen, das bereichert meinen Alltag sehr.“ Schließlich ist Michael mit seinen 60 Jahren zwar schon einer der Ältesten beim Bundesfreiwilligendienst, aber dazulernen, das könne er immer noch sehr gut.
Bei Fledermäusen sauber machen, bei Unken wässern
Er weiß jetzt, wie man die Sommerquartiere von 500 Fledermäusen säubert, wie man hundert Nistkästen kontrolliert, wie man Amphibienzäune baut, Unkentümpel wässert, Äpfel erntet und daraus Saft presst. Heute ist er mit seinen Kolleginnen und Kollegen unterwegs, um auf einer Wiese Neophyten auszureißen. Amerikanisches Berufkraut, Schmalblättriges Greiskraut – die wuchern hier auf dem nährstoffreichen Boden ausgezeichnet. Sie sind aber sehr dominant und nehmen heimischen, zurückhaltenderen Arten wie dem Stacheligen Mannstreu, der Schlüsselblume oder dem Oregano Licht und Luft zum Wachsen. Und verwandeln eine artenreiche Wiese auf diese Weise innerhalb weniger Jahre in eine artenarme Monokultur.
Michael und seine Kollegen versuchen, das zu verhindern. „Es dauert Jahre, aber irgendwann entdeckt man plötzlich immer mehr Arten, einen heimischen Wiesen-Storchschnabel zum Beispiel, dann sind wir glücklich“, sagt Baumgartner.
Bevor die scharfen Sensenblätter die Wiese kürzen, muss die Parzelle hier erstmal genaustens untersucht werden. Achim Baumgartner stakst durch das hohe Gras und guckt in jedes nur mögliche Loch im Halmenmeer. „Es ist Rehkitzzeit“, sagt er. Und tatsächlich: Nach einigen hundert Metern bleibt er stehen, rudert mit den Armen und ruft gegen den herannahenden Maschinenlärm an.
Im hohen Gras liegt ein braun-weiß geflecktes Bündel, eine Mutter hat hier ihr Rehkitz versteckt. Michael macht kehrt und mäht zum Ausgangspunkt zurück. Erstmal heißt es jetzt Brotzeit, vielleicht holt die Mutter ihr Junges in der Zwischenzeit ab. Wenn nicht, wird die Wiese heute eben nicht gemäht. Zu tun gibt es genug anderes. Die Brombeerhecke beispielsweise wartet auch auf Michael.
Lange währt sein Dienst nicht mehr. Nach 18 Monaten endet sein Einsatz für die Natur im Auftrag der Umweltorganisation. Danach will Michael erstmal mit dem Fahrrad zu seinem Sohn nach Dresden radeln. Vielleicht mit dem 86 Jahre alten Vater zum Angeln nach Norwegen. Die ein oder andere Reise mit seiner Frau unternehmen. Seinen eigenen Garten pflegen.
Die Arbeit als Bundesfreiwilliger wird er vermissen, da ist er sich sicher. „Zu Hause bin ich mit meiner Hecke in einer halben Stunde fertig.“ Aber vielleicht kann er umschulen auf missionarisches Wirken. Die Zahlen der älteren Bundesfreiwilligen haben immerhin Luft nach oben. Einige Ex-Kollegen überlegen schon, wie und wo sie sich nach dem Ruhestand engagieren könnten. „Und meine Frau habe ich auch schon angesteckt, die macht sich jetzt Gedanken, welches spannende Kapitel nach dem Berufsleben da auf sie warten könnte.“
Bundesfreiwilligendienst in Köln: Auf der Seite des Bundesfreiwilligendienstes kann man sich wohnortnahe Stellen suchen. Derzeit sind in Köln zum Beispiel Plätze frei bei der Drogenhilfe, dem DKMS, bei der Comedia, bei Kitas, Schulen, dem Kolpingwerk, den Maltesern, beim SKM, den Tafeln oder verschiedenen Übermittagsbetreuungsangeboten. Auch die Kölner Freiwilligen Agentur ist als Einsatzstelle anerkannt.