Im Steuerskandal Cum-Ex führten Brorhilkers Ermittlungen zu den ersten Verurteilungen. Warum sie der Justiz den Rücken kehrt.
Cum-Ex-SteuerbetrugKölner Staatsanwältin Anne Brorhilker war der Star der Ermittlungen – jetzt wirft sie hin
Ein regelrechtes Erdbeben erschütterte das Kölner Justizzentrum am Montag. So zumindest gab ein Insider die Stimmung wieder, als die wohl bekannteste Strafverfolgerin des Landes in Mails an Kollegen ihren Abschied aus dem Staatsdienst verkündete. Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, 50, geht.
Die Chefin der größten Cum-Ex-Abteilung in Deutschland, die seit Jahren versucht, die Hintergründe des größten Steuerraubes mit Cum-Ex-Aktiengeschäften aufzuklären, dankt resigniert ab und wechselt zur „Bürgerbewegung Finanzwende“. Über die Beweggründe spekuliert bundesweit die Medienwelt bis hin zur Landespolitik. Durch den Abgang der hartnäckigen Anklägerin gerät Justizminister Benjamin Limbach erneut in Erklärungsnöte.
Elisabeth Müller-Witt: „Justizminister Limbach hat mit seiner Personalpolitik für eine nie gekannte Unzufriedenheit gesorgt“
Die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Opposition Elisabeth Müller-Witt sieht den Grünen-Politiker in der Verantwortung: „Wenn eine Spitzenbeamtin kündigt, steht folgerichtig die Frage im Raum, inwieweit die Landesregierung Verantwortung trägt. Justizminister Limbach hat mit seiner Personalpolitik, sowohl in der Staatsanwaltschaft als auch bei den Gerichten, bislang für eine nie gekannte Unzufriedenheit gesorgt. Nun müssen wir aufklären, wieso eine hoch qualifizierte und erfolgreiche Beamtin dem Land den Rücken kehrt.“
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Brorhilker selbst äußerte sich in einem WDR-Interview. „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, sagte sie. „Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz.“ Außerdem könnten sich Beschuldigte oft aus Verfahren schlicht herauskaufen, wenn etwa Verfahren gegen Geldbuße eingestellt würden. „Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, so Brorhilker.
Den Cum-Anklägern fehlt es am Unterbau polizeilicher Ermittler
Frustriert wechselt da eine Expertin die Seiten, die als unnachgiebiger Charakter galt, die sogar im vergangenen Jahr dem NRW-Justizminister eine schwere Schlappe zufügte. Limbach wollte ihre Abteilung mit gut 30 Staatsanwälten teilen, um die 120 Strafverfahren mit 1700 Beschuldigten und 40 Banken zu beschleunigen. Überdies warf Limbach der Cum-Ex-Chefermittlerin öffentlich vor, die Herausgabe riesiger Aktenkonvolute zu Hamburger Fällen an den dortigen parlamentarischen Untersuchungsausschuss verzögert zu haben. Wie sich herausstellte, war das Gegenteil der Fall. Der Minister musste zurückrudern. Brorhilker blieb alleinige Hauptabteilungschefin und bekam noch weitere vier Stellen zugesprochen.
Offenbar ein Pyrrhus-Sieg. Trotz der üppigen personellen Ausstattung fehlt es den Cum-Anklägern am Unterbau polizeilicher Ermittler und Steuerfahnder. „Die Auswertung der enormen Mengen in den verschiedenen Verfahren dauert viel zu lange“, erklärt ein Staatsanwalt, der mit den Dingen vertraut ist. „Ich glaube die Kollegin hat gemerkt, dass sie mit ihrem Konzept gescheitert ist, jeden auf die Anklagebank zu befördern.“
Alleine der Aufwand, die Vielzahl der ausländischen Beschuldigten etwa vom Finanzplatz London zu vernehmen oder vor Gericht zu bringen, sei nicht machbar. Anders als die hessischen Wirtschaftsermittler, die vor allen Dingen gegen die Großen in den Cum-Ex-Zirkeln „gezielte Nadelstiche setzten“, wollte Brorhilker auch noch den Leuten aus den unteren Etagen den Prozess machen. In manchen Fällen sei es dann auch klüger, die Verfahren gegen eine hohe Geldbuße einzustellen, anstatt jeden vor Gericht zu stellen. Daran sei die Cum-Ex-Chefanklägerin letztlich gescheitert, hieß es. Als Geschäftsführerin der NGO „Bürgerbewegung Finanzwende“ will Brorhilker den Kampf gegen die Finanzkriminalität forcieren.