Am 18. Januar 1985 wurde für das westliche Ruhrgebiet Smog-Alarm ausgerufen. Das bedeutete: Schulschließungen, Produktionseinschränkungen und Fahrverbote.
Dicke Luft über dem RuhrpottVor 40 Jahren gab es den einzigen Smog-Alarm in Deutschland
Es ist kalt im Ruhrgebiet. Weil es kaum Wind gibt, hängen die Abgase der Autos, Heizungen, Kraftwerke und Industriebetriebe wie eine Dunstglocke über dem Revier. Eine Warmluftfront verhindert, dass der gelblich schimmernde Qualm am Boden abziehen kann.
Der Pott ist dicht. Und am 18. Januar 1985 überschreitet die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und Schwebstaub an einigen Messstellen den Grenzwert von 1,7 Milligramm pro Kubikmeter. Der damalige Gesundheitsminister Friedhelm Farthmann (SPD) muss für das westliche Ruhrgebiet Smog-Alarm Stufe 3 auslösen.
Die Radiosender unterbrechen ihre Programme. Menschen mit Atemwegserkrankungen oder Herzproblemen sollen in den Wohnungen bleiben. Krankenhäuser müssen schwierige Operationen verschieben. Die Schulen werden geschlossen. Hochöfen, Kraftwerke, Kokereien und andere Industrieanlagen müssen ihre Produktion einschränken. Die Landesregierung sieht sich gezwungen, wegen der hohen Luftverschmutzung großräumige Fahrverbote zu verhängen.
Alles zum Thema Feuerwehr Köln
- Mobilität Ein gemeinsames Leihfahrrad-System für Bonn und Rhein-Sieg
- Feuer in Silvesternacht Brand zerstört Kunstrasen an Kölner Westkampfbahn
- Bestsellerautorin Kerstin Gier „Was Verfilmungen angeht, bin ich ein gebranntes Kind“
- Sperrung aufgehoben Wie die Autobahn GmbH nach dem Chaos auf der Leverkusener Brücke reagiert
- Prozess nach Messerstich Leverkusener leidet bis heute unter Folgen der Tat in den Luminaden
- Kölner Amtsleiter äußert sich Wird die Uniwiese an Karneval zur Dauerlösung?
- Schneefall in Köln und Region Himmel über Kölner Süden leuchtet violett – AWB auf den Straßen im Einsatz
Neue Grenzwerte im Land waren gerade erst in Kraft getreten
„Das war ein unglaublicher Zufall. Die Smog-Gesetze waren gerade beschlossen und die Landesregierung hatte entschieden, die vom Bund vorgegebenen Grenzwerte für Nordrhein-Westfalen deutlich zu verschärfen“, erinnert sich Ulrich Quaaß (64), der damals in Dortmund Chemie studiert und zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt, dass der einzige Smog-Alarm in der Geschichte der Bundesrepublik sein Berufsleben entscheidend prägen würde.
Der Student Quaaß wohnt auf der viel befahrenen Rheinischen Straße in der Dortmunder Innenstadt und erinnert sie noch ganz genau, wie die „plötzlich ganz still da lag“. Das Radfahren auf der Autobahn bei der Ölkrise in den 1970er Jahren „hatte mehr Happening-Charakter. Der Smog-Alarm war dagegen eher gruselig.“
Die schärferen Grenzwerte in NRW haben gerade drei Wochen Gültigkeit, als der Smogalarm über das Ruhrgebiet hereinbricht. „Das kam für die Menschen schon sehr überraschend. Wir waren damals gar nicht darauf eingestellt, dass es diese neuen Gesetze gab. Das war zwar eine Episode von drei oder vier Tagen, danach war der Spuk vorbei.“
Das Szenario hatte sich seit Jahrzehnten schon angekündigt. 1962 wurden in einigen Gebieten des Ruhrgebiets Schwefeldioxidwerte von 5000 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen und ein Anstieg der Sterblichkeitsrate nachgewiesen. Bereits 1961 hatte Willy Brandt im Bundestagswahlkampf gefordert: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden.“
Im Januar 1979 erstmals eine Vorwarnstufe ausgelöst
Doch der Himmel über dem Revier war alles andere als blau. Am 17. Januar 1979 wurde erstmals eine „Vorwarnstufe“ verkündet. Die Messstationen hatten Alarm geschlagen: Der Grenzwert für Schwefeldioxid, 800 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, war überschritten. Die stärkste Verschmutzung wurde in Duisburg gemessen: Am Morgen verzeichneten die dortigen Instrumente 1400 Mikrogramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter Luft.
Zum Vergleich: 2017 lag der höchste Stundenwert an einer Duisburger Messstation in der Nähe eines Stahlwerks laut NRW-Landesumweltamt bei 207 Mikrogramm und damit unter dem gültigen Grenzwert von 350 Mikrogramm. Im Jahresmittel verzeichnete diese Station 9 Mikrogramm Schwefeldioxid.
Nach den 1979 vorbereiteten Notfallpläne stellten die örtlichen Tiefbauämter in besonders gefährdeten Gebieten Straßensperren bereit, um bei einer höheren Alarmstufe den Autoverkehr stoppen zu können. Messwagen der Landesanstalt für Immissionsschutz kontrollierten pausenlos. Industriebetriebe bereiten den Einsatz besonders schwefelarmer Brennstoffe vor. „Ursache für die damalige Belastung war ein Mix aus Industrie- und Verkehrsabgasen mit all dem, was aus den heimischen Schornsteinen qualmte, denn damals wurde noch hauptsächlich Kohle verbrannt, um Wohn- und Geschäftsgebäude zu beheizen“, berichtet Birgit Kaiser de Garcia vom Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen.
Ein Mix aus Industrie- und Verkehrsabgasen
Am Abend konnte Farthmanns Ministerium den Alarm aber wieder aufheben. Der Grenzwert von 800 Mikrogramm war zuvor sechs Stunden lang nicht mehr überschritten worden. Die Feuerwehren berichteten am Folgetag, dass sie nicht mehr Patienten als sonst in Kliniken gefahren hätten. Auch habe man keine Häufung smog-typischer Symptome wie Herzanfälle oder Atemnot feststellen können.
„Offenbar ohne Wirkung blieb tagsüber der Appell an die Autofahrer, ihre luftverschmutzenden Wagen stehenzulassen. Wie die Polizei mehrerer gefährdeter Städte berichtete, war der Verkehr trotz der Warnungen so normal wie immer“, berichtete damals die Deutsche Presse-Agentur. „Es war nur eine Empfehlung, auf schwefelhaltige Brennstoffe zu verzichten und das Auto stehenzulassen, keine einschneidenden Zwangsmaßnahmen“, erklärte der mittlerweile verstorbene Gesundheitsminister Farthmann vor vier Jahren die damalige Situation. Der Smog-Alarm habe auch nicht zu tiefgreifenden Verhaltensänderungen geführt. „Vielleicht hat der ein oder andere sein Auto stehen gelassen und ist mit der Bahn gefahren“, vermutet er.
Mit der Freiwilligkeit ist es sechs Jahre später vorbei. Am 18. Januar 1985 fahren im westlichen Ruhrgebiet Polizeiwagen durch die Straßen. „Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei. Smog-Alarm in Essen. Ab sofort ist die Benutzung von Kraftfahrzeugen im Sperrbezirk generell verboten.“
In großen Teilen der Städte Duisburg, Dortmund, Mülheim, Essen und Bottrop gilt für mehrere Stunden ein Fahrverbot für Autos. Die Betriebe dürfen nur schwefelarme Brennstoffe benutzen. Im gesamten Revier sind fast alle Schulen geschlossen. Die Smog-Gefahr erstreckt sich bis Düsseldorf, Leverkusen, Köln und Aachen. Dort gibt es aber keinen Alarm, weil diese Regionen vom Warndienst nicht erfasst werden.
Der Smog-Alarm ist für Ulrich Quaaß ein Anstoß, sich im Hauptstudium und bei der späteren Promotion mit dem Thema Luftreinhaltung zu befassen. „An der Uni Dortmund gab es damals einen Arbeitskreis zum Thema Luftverschmutzung, dem habe ich mich angeschlossen.“ Es wird ihn ein Großteil seines Arbeitslebens begleiten. Zunächst beim Landesumweltamt, dem späteren Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz.
Smog ist schon bald kein Thema mehr. 1985 tritt die Großkraftwerkeverordnung in Kraft, die Kraftwerke werden mit Anlagen zur Entschwefelung und Entstickung nachgerüstet. Das Aus für die ostdeutsche Industrie nach der Wiedervereinigung senkt die Luftbelastung weiter.
„Die Smogwerte von 1985 wurden nie mehr erreicht“, sagt Quaaß. „Wir hatten danach eher mit dem sauren Regen zu tun, das neue Waldsterben war das Topthema, bedingt durch hohe Ozonwerte im Sommer und den sauren Regen im Winter. Dann kann die Ozon-Problematik, die heute nur noch eine geringe Rolle. Und bei den Stickoxiden aus dem Verkehr müssen wir noch etwas tun, die sind noch nicht so ganz runter.“
40 Jahre nach den einzigen Smog-Fahrverboten im Ruhrgebiet zieht NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) in Düsseldorf eine positive Bilanz. Schwefeldioxid sei kein Thema mehr. „Ziel ist am Ende eine Luft möglichst ohne Schadstoffe“, betonte Krischer. Bei diesem Marathon sei der größte Teil der Strecke zwar schon bewältigt, aber eben nicht komplett.
Die ab 2030 greifenden neuen Grenzwerte der EU seien für alle dicht besiedelten Regionen eine besondere Herausforderung, erklärte er. Zwar würden auch die künftigen Grenzwerte bei Schwefeldioxid oder bei Feinstäuben ganz überwiegend heute schon erreicht in NRW. Bei Stickoxiden sei das allerdings noch nicht an allen Stationen der Fall. Immerhin habe sich der Durchschnittswert seit den 80er Jahre mehr als halbiert.
„Von allein läuft das nicht“, weiß Ulrich Quaaß, der seit einem Jahr in Ruhestand ist, aus langjähriger Erfahrung. „Wir leben heute unter ganz anderen Verhältnissen. Meine Schwiegereltern erzählen mir immer, wie sie in den 1960er Jahren in Gelsenkirchen in der Nähe einer kleinen Kohlebahn man draußen nicht mal Wäsche trocknen konnten, weil die sofort schwarz war. Das waren enorme Partikelmengen in der Luft, kein Feinstaub, sondern gröberer Staub, den man gar nicht einatmen konnte, weil er in der Nase hängenblieb.“ (mit dpa)