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Infografik

Kita-Krise in NRW
Fast jedes fünfte Kind unter drei Jahren findet keinen Platz – trotz Rechtsanspruchs

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 22.12.2023, Brandenburg, Spremberg: Kleidung von Kindern hängt in einer Kita / Kindergarten.



In der Kita kommt es häufiger vor: Betreuerinnen und Betreuer werden krank. (zu dpa: «Sexueller Missbrauch in Kita - Verdächtiger ist frei») Foto: Patrick Pleul/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Eine Studie untersucht die Entwicklung der Betreuungslage in Deutschland. (Archivbild)

Trotz gesetzlichem Anspruch gibt es bundesweit für hunderttausende Kinder keinen Kita-Platz.

Kitaplätze sind in Deutschland mittlerweile beinahe eine Rarität. Wie groß das Problem wirklich ist, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit Sitz in Köln im Auftrag des Bundesfamilienministeriums in einer Studie über Bestand und Bedarf an Betreuungsplätzen untersucht. Das Ergebnis: Für hunderttausende Kinder unter drei Jahren gibt es keinen Betreuungsplatz. Studienautor Wido Geis-Thöne fasst es wie folgt zusammen: „Der Betreuungsausbau schreitet derzeit kaum noch voran.“

Dabei ist der Bedarf so hoch wie nie zuvor. Im Jahr 2023 lag er laut Studie bei Eltern von unter Dreijährigen bundesweit bei 51 Prozent. Im Jahr 2013 waren es noch 41 Prozent. In NRW benötigen heute 50,8 Prozent der Eltern von unter Dreijährigen einen Kitaplatz. In absoluten Zahlen geht Geis-Thöne für das Jahr 2024 bundesweit von einem Bedarf von rund 1,15 Millionen Betreuungsplätzen für unter Dreijährige aus.

Kitalücke – Symptom einer alternden Gesellschaft?

Seit mehr als zehn Jahren besteht für Kinder ab dem ersten Lebensjahr ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. „Doch noch immer gelingt es der Politik nicht, die Vorgabe zu erfüllen: Im Frühjahr 2024 gab es bundesweit für 306.000 Kinder unter drei Jahren mit einem Betreuungsbedarf keinen Platz“, heißt es in der IW-Studie.

Das ist zwar eine Verbesserung – im Jahr 2019 waren es noch 358.000 Kinder ohne Platz. Dennoch ergibt sich daraus im Vergleich zu Kindern in Betreuung bundesweit eine Quote von 13,6 Prozent. Nicht überall in Deutschland ist die Lage gleich. In Sachsen beläuft sich die Betreuungslücke auf lediglich fünf Prozent, während sie in Bremen bei 23,9 Prozent liegt. Das bedeutet, dass es dort für fünf beziehungsweise 23,9 Prozent der unter Dreijährigen keinen Betreuungsplatz gibt. Aufgrund der unterschiedlichen Entwicklungen in den Bundesländern ist es laut IW-Report „sehr schwierig, die aktuelle Lage auf Bundesebene treffsicher einzuordnen.“

Kita-Krise: Betreuungsbedarf erreicht „höchsten bislang gemessenen Wert“

Während in den neuen Bundesländern deutlich mehr als 50 Prozent der unter Dreijährigen fremdbetreut werden, liegt der Anteil in NRW bei lediglich 32,2 Prozent. Insgesamt liegt der Bedarf NRW-weit bei 255.600 Betreuungsplätzen für unter Dreijährige. Im Jahr 2024 fehlen hier laut IW-Studie 93.700 Kitaplätze.

Aus diesen Zahlen ergibt sich die Betreuungslücke von NRW-weit 18,6 Prozent. Damit liegt das Bundesland über dem aktuellen Bundesdurchschnitt. Die Auswertung des IW zeigt allerdings auch, dass die Betreuungslücken in NRW in den vergangenen fünf Jahren um 1,3 Prozent gesunken sind, 2019 hatte sie noch bei 19,9 Prozent gelegen.

Die Entwicklung der Betreuungslage in NRW ist auf den ersten Blick kontraintuitiv: Es gibt weniger Kinder, aber einen stärkeren Betreuungsbedarf, dementsprechend mehr Druck auf das Personal, und dennoch eine geringere Betreuungslücke als noch vor der Corona-Pandemie. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich bei sinkender Geburtenrate durch die steigenden Betreuungswünsche der Eltern erklären, die immer früher in den Job zurückkehren und daher früher staatliche Betreuungsangebote in Anspruch nehmen, heißt es in der IW-Studie.

Fachkräftemangel in Kindertagesstätten ist eklatant

Der Geburtenrückgang ist ein Phänomen, das sich nicht auf NRW beschränkt. 2023 kam in Deutschland 692.989 Kinder auf die Welt. Das sind fast 100.000 Geburten weniger als im Rekordjahr 2016. Für die Betreuuung hat diese Entwicklung in den Ländern unterschiedliche Auswirkungen. „Im Osten dürfte vor diesem Hintergrund ein Rückbau der Betreuungsinfrastruktur unumgänglich sein“, heißt es in der Studie.

Im Westen sei das Gegenteil der Fall. Geis-Thöne geht davon aus, dass die sinkende Geburtenrate hier auch weiterhin nicht zu einem geringeren Bedarf führen wird. Hier müsse „die Betreuungsinfrastruktur in jedem Fall auch noch weiter ausgebaut werden, um die noch bestehenden Lücken zu schließen“, empfiehlt Geis-Thöne.

Dass es jedoch nicht reicht, die theoretische Zahl der Betreuungsplätze zu erhöhen, ist auch dem Bildungsexperten bewusst. Der Fachkräftemangel in Kindertagesstätten ist eklatant, das verbleibende Personal oft überlastet. Eltern müssen die dadurch entstehenden Betreuungsengpässe immer häufiger auffangen. Geis-Thöne rät deshalb dazu Maßnahmen zu ergreifen, um die personelle Ausstattung der bestehenden Einrichtungen zu stärken und der Kita-Krise entgegenzuwirken.