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Lieferengpass auch in KölnWarum der Mangel an Salzwasser Kliniken höhere Kosten und mehr Arbeit beschert

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Ein Tropf hängt an einem Krankenhausbett auf dem Flur einer Notaufnahme.

Auch als Trägermedium für Infusionen wird in Kliniken Kochsalzlösung benötigt.

Es mangelt an Kochsalzlösung. Kliniken und Apotheker aus NRW schlagen Alarm. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat nun reagiert.

Vereinfacht gesagt handelt es sich um 9 Gramm Kochsalz, aufgelöst in einem Liter Wasser. „Im Grunde ist es das Salzwasser, das wir aus der Küche kennen, nur eben in steril“, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein. Genau diese sterile Kochsalzlösung wird nun knapp. Krankenhäuser und Arztpraxen klagen über Versorgungsprobleme, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) meldet einen Lieferengpass von isotonischer Kochsalzlösung, der bis Ende des Jahres anhalten soll. Für Krankenhäuser und damit auch deren Patientinnen und Patienten sind das schlechte Nachrichten, schließlich wird das einfach herzustellende Produkt für Infusionen, Spülungen und Operationen benötigt.

„Es gibt zurzeit viel zu wenig Kochsalzlösung. Seit Monaten kämpfen die Klinikapotheken gegen eine sich stetig steigernde Verknappung“, sagt Preis im Gespräch mit unserer Zeitung. „Jetzt ist dieser Mangel auch schon in den öffentlichen Apotheken zu spüren.“ Am Donnerstag beschäftigte das Thema auch den NRW-Landtag in einer Aktuellen Stunde. Und auf Bundesebene wird gehandelt: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte unserer Zeitung, er werde nun gesetzlich den Import von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln ermöglichen, um den Engpass zu beseitigen.

Wofür wird Kochsalzlösung im Medizinbetrieb benötigt?

Kochsalzlösung wird als Trägerflüssigkeit für Medikamente gebraucht. So werden beispielsweise einige Antibiotika ausschließlich intravenös via Tropf verabreicht. Der Vorteil liegt laut Preis in einer „gleichmäßigen Verabreichung“ und natürlich profitierten auch schwerkranke Patienten, die zum Medikamenten schlucken gar nicht in der Lage sind. Nach Operationen gelangen deshalb aufgelöst in Kochsalzwasser auch Schmerzmittel über diesen Weg in den Körper. „Besonders große Mengen, in Gebinden von mehreren Litern, werden im OP zum Freispülen des Operationsgebietes und zur Behandlung von Wunden benötigt“, sagt Thomas Preis. Für die Herstellung von Injektionen oder Augentropfen brauchen Mediziner und Apotheker auch steriles Wasser für Injektionszwecke, hier lägen ebenfalls Lieferprobleme vor.

Wer ist betroffen?

Das Gesundheitsministerium des Landes NRW hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Wochen Mangelmeldungen von Kliniken, darunter auch Universitätskliniken, erhalten. Eine genaue Anzahl an Kliniken könne nicht genannt werden, da einzelne Apotheken oft mehrere Krankenhäuser versorgten. „Die Schwierigkeiten in der Beschaffung von Kochsalzlösungen sind nach den bisher geführten Gesprächen jedoch flächendeckend in Nordrhein-Westfalen“, schreibt das Ministerium auf Anfrage, Klagen höre man aber auch aus anderen Bundesländern. Ebenso betroffen vom seit Sommer währenden Engpass sind laut Preis Apotheken, die Zytostatika für Krebspatienten herstellen.

Warum konnte ein Mangel überhaupt entstehen und welche Rolle spielen die Produzenten?

Fresenius Kabi, einer der großen deutschen Hersteller für Kochsalzlösungen mit Sitz in Bad Homburg, hat den Behörden Anfang März und Ende Mai einen Lieferengpass für isotonische Kochsalzlösungen in Glasflaschen (50 Milliliter und 100 Milliliter) gemeldet. Der Grund liegt nach Auskunft des Unternehmens nicht in einem Mangel des Inhalts, sondern des Behälters: Die Hürde bestehe „bei einem unserer Lieferanten für Glasflaschen“.

Seitdem versorge man seine Kunden „mit rund 80 Prozent des durchschnittlichen Bedarfs der letzten Monate“, schreibt eine Sprecherin auf Nachfrage. Richtig eng wird es auf dem Markt, weil auch der zweite große Anbieter, der Hersteller von Pharma- und Medizinbedarfsprodukten B. Braun, derzeit mit einem „Ausfall eines Lieferanten in unserem Produktionsnetzwerk“ zu kämpfen hat, wie das Unternehmen mitteilt. Dadurch müsse man nun mit isotonischen Kochsalzlösungen haushalten und „die Menge vor dem Hintergrund der weiter steigenden großen Nachfrage bis zum Ende des Jahres so gut wie möglich managen“. Die aktuellen Bestandskunden würden weiter beliefert, „jedoch schrittweise“.

Wie macht sich der Mangel in Kliniken bemerkbar?

In den vergangenen Monaten wurde nach Auskunft des Gesundheitsministeriums etwa jede fünfte Kochsalzlösungsbestellung nicht geliefert. Zuletzt sei sogar die Rede davon gewesen, dass nur noch die Hälfte der benötigten Menge in den Kliniken angekommen sei. Laut Ministerium führt der Mangel dazu, „dass die Planbarkeit mit den Beständen der Kliniken auf lediglich wenige Tage sinkt“.

In der Uniklinik Köln bedeutet die schwierige Verfügbarkeit des Produkts vor allem höhere Kosten. „Einzelne Konfektionierung und Verpackungsgrößen kosten mittlerweile bis zum vierfachen des bisherigen Preises“, sagt ein Sprecher der Uniklinik unserer Zeitung. Zu den höheren Kosten ergebe sich darüber hinaus mehr Arbeit. Bei der Uniklinik spricht man von Mehraufwand vor allem im Team der Krankenhausapotheke, durch den es aber immerhin gelänge, „den Betrieb komplett aufrechtzuerhalten.“ Zu Absagen von Operationen komme es im Haus bislang nicht. Auch bei den Kliniken der Stadt Köln erwartet man nach Auskunft von Viola Fuchs, leitende Apothekerin der Zentralapotheke, keine OP-Verschiebungen.

Das deckt sich auch mit den Kenntnissen des Gesundheitsministeriums für ganz NRW. Thomas Preis spricht allerdings von Häusern, die derzeit nach Einsparpotenzial bei Kochsalzlösung suchten und Patienten möglichst frühzeitig von der Arzneimittelgabe per Tropf auf Tablettengabe umstellten. In den Kliniken der Stadt Köln versucht man nach Aussage von Viola Fuchs, statt den knappen kleinen Flaschen größere Abfüllmengen zu verwenden. Zudem könne man bei bestimmten Therapien „Kochsalzlösung problemlos durch andere Lösungsmittel wie Wasser“ ersetzen.

Wann können die deutschen Hersteller wieder umfänglich liefern?

Bei der BfArM spricht man von einem Lieferengpass bis Ende des Jahres. Thomas Preis fürchtet allerdings, dass die Kochsalzkrise die Kliniken und Patienten noch länger in Atem halten könnte. „Es ist mittlerweile normal, dass diese Meldungen kurz vor Ablauf wieder verlängert werden. Zudem erwarten wir einen Dominoeffekt. Das heißt, wenn ein Hersteller nicht liefern kann, können die wenigen anderen das auch nicht auffangen“, sagt Preis.

Welche Lösungen gibt es für das Problem und wer ist zuständig?

Thomas Preis weist darauf hin, dass die Arzneimittelverfügbarkeit zur Daseinsvorsorge zähle und damit Aufgabe des Staates sei. „Arzneimittel sind wichtig für die Resilienz der Gesellschaft, dafür muss die Politik ebenso sorgen wie für ausreichend Wasser und Strom.“ Um Importe von Kochsalzlösungen aus dem Ausland zu erleichtern, forderten sowohl der Apothekerverband, als auch das Gesundheitsministerium NRW die Bundesregierung auf „einen Versorgungsmangel gemäß § 79 Absatz 5 AMG für natriumchloridhaltige Arzneimittel“ bekannt zu geben.

Welche Schritte will die Politik nun einleiten?

Bundesgesundheitsminister Lauterbach reagierte auf die Bitte und sagte auf Anfrage unserer Zeitung: „Kochsalzlösungen sind elementar bei Operationen und auch in der Krebstherapie. Deswegen nutzen wir alle Möglichkeiten, um Lieferengpässe zu vermeiden und werden den Import erlauben.“

Wie sieht es bei anderen Medikamenten aus?

Nach Daten des BfArM sind derzeit 496 Arzneimittel schlecht lieferbar. Mit einem Versorgungsmangel ist das laut Gesundheitsministerium NRW allerdings nicht gleichzusetzen, da „in der Regel Alternativen existieren“. Mittelfristig, so das Bundesgesundheitsministerium, werde sich die Mangellage auch bei Kinderarzneimitteln deutlich verbessern. Möglich machten das neue Regelungen im Lieferengpassbekämpfungsgesetz (ALBVVG), die die Apotheken verpflichten, einen Dreimonats-Vorrat von rabattierten Medikamenten zu lagern. Schon heute habe sich die Zahl der Lieferengpässe im Vergleich zu vor einem Jahr halbiert, als sich etwa 1000 Medikamente auf der BfArM-Liste aneinanderreihten.