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KanzlerkandidaturNach Pistorius-Verzicht: Frust und Enttäuschung in der NRW-SPD

Lesezeit 3 Minuten
Olaf Scholz und Boris Pistorius am 13. November 2024 im Bundestag.

Olaf Scholz und Boris Pistorius am 13. November 2024 im Bundestag.

Die Hoffnung, dass Boris Pistorius der neue Frontmann der SPD im Bundestagswahlkampf werden könnte, hatte viele Genossen beflügelt. Nun äußert man sich enttäuscht.

Nach dem Verzicht von Boris Pistorius auf die Kanzlerkandidatur ist in der NRW-SPD Ernüchterung zu vernehmen. „Die Idee, mit Boris in den Wahlkampf zu ziehen, hat viele Sozialdemokraten beflügelt“, sagte ein Mitglied des Landesvorstands dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Mit der Absage herrsche nun zwar Klarheit, aber leider auch wenig Zuversicht. „Ich befürchte, dass es in den Ortsvereinen wenig Begeisterung dafür gibt, einen Scholz-Wahlkampf zu unterstützen“, sagt der Vorstandspolitiker. Der Pistorius-Verzicht bremse die Motivation, löse vielerorts „Frust und Enttäuschung“ aus.

Jörg Laftsidis ist Chef des Ortsvereins Bochum-Hamme. Die Parteibasis dort hatte sich Pistorius als Kanzlerkandidat gewünscht. Der frühere Bergmann versucht, der Entscheidung jetzt etwas Positives abzugewinnen. „Natürlich ist die Performance von Scholz nicht die Beste“, sagte Laftsidis. Aber „einige Menschen“ in Bochum seien „froh, dass er es macht. Sie haben Angst vor einem Krieg. Olaf blieb immer ruhig und sachlich.“

Martin Schulz (SPD), ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, war 2017 Kanzlerkandidat der SPD.

Martin Schulz (SPD), ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, war 2017 Kanzlerkandidat der SPD.

Martin Schulz war 2017 Kanzlerkandidat der SPD, wollte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ablösen. Der EU-Politiker startete mit viel Rückenwind in den Wahlkampf, aber die Zustimmungswerte flachten vor dem Wahltag ab. Es sei gut, dass die Partei jetzt „Klarheit“ habe, sagte Schulz unserer Zeitung. „Der Wahlkampf hat noch gar nicht richtig begonnen. Ein Bundeskanzler kann immer Kraft seines Amtes entscheidende Impulse setzen“, glaubt der Politiker aus Würselen.

Auch der frühere Vize-Landesvorsitzende der NRW-SPD, Karsten Rudolph, wirbt dafür, jetzt das Beste aus der Situation zu machen. Die SPD dürfe „ihre anderen Talente nicht verstecken“, sagt der promovierte Historiker. Die Partei müsse einen „Graswurzel- und Themenwahlkampf“ führen. „Im Februar vergeben die Wähler keine Haltungsnoten an die Koalition, denn die ist längst passé.“

Kritik an Saskia Esken und Lars Klingbeil

Wiebke Esdar und Dirk Wiese, die Chefs der SPD-Parlamentarier in der Bundestagsfraktion, hatten sich in einem gemeinsamen Statement für Pistorius ausgesprochen. Landesparteichef Achim Post dementiert, dass es aus dem größten SPD-Landesverband Querschüsse oder gar einen „Putsch-Versuch“ gegen Scholz gegeben habe. „Aus meinem Landesverband kamen keine Querelen, sondern klare Blicke auf die Realität“, sagte der Bundestagsabgeordnete. Unterschiedliche Meinungen seien bei einer solchen Personalentscheidung „mehr als legitim“. Die beiden Sprecher hätten ausgedrückt, „was sie vor Ort in den Wahlkreisen im ganzen Land vernommen haben“. Das sei kein Unikat in NRW gewesen, „sondern das war in ganz Deutschland so“.

Hinter vorgehaltener Hand ist aus der Landesgruppe am Freitagmorgen deutliche Kritik am Vorgehen der Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil zu vernehmen. Es war ein Fehler, Olaf nicht direkt am Tag des Ampel-Aus zu nominieren“, kritisiert ein SPD-Parlamentarier aus NRW im Gespräch mit unserer Zeitung. Durch die Hängepartie der vergangenen Tage sei Scholz wohl irreparabel beschädigt worden. Auch Pistorius habe keine gute Figur abgegeben. „Der hat den Eindruck gemacht, er stehe bereit. Jetzt hat es sich wohl dafür entschieden, als Juniorpartner der CDU nach der Bundestagswahl Vize-Kanzler zu werden.“

Matthias Machnig war früher Chefstratege der SPD, leitete die Wahlkampfzentrale „Kampa“ von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er rät seiner Partei nach dem Pistorius-Verzicht dazu, die Nerven zu bewahren: „Mund abputzen und weitermachen. Und einen Wahlkampf um die Themen Wirtschaft, Arbeit und Innere Sicherheit führen.“

Auch Sanae Abdi, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Köln, ist froh, dass das Schauspiel der vergangenen Tage vorbei ist: „Jetzt können wir uns endlich ausschließlich auf den Wahlkampf und unsere Inhalte konzentrieren.“ Jochen Ott, Chef des SPD im Düsseldorfer Landtag, erklärte, bei der Bundestagswahl stünden richtungsweisende Entscheidungen an: „Es geht um die Frage, ob die Leute künftig bis 70 arbeiten müssen, das Rentenniveau sinkt und die Spitzensteuern für wirklich Vermögende gesenkt und den Ärmsten das Geld gestrichen wird – all das droht mit der CDU.“