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Frust bei CDU-Abgeordneten in NRWNeues Wahlrecht könnte Gewinner zu Verlierern machen – Warum das auch Köln betrifft

Lesezeit 4 Minuten
Serap Güler (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestags aus Köln, spricht bei einer Diskussionsveranstaltung CDU.

Serap Güler ist derzeit die einzige CDU-Bundestagsabgeordnete aus Köln.

Das neue Wahlrecht bei der Bundestagswahl führt dazu, dass Wahlkreisgewinner nicht mehr automatisch einen Sitz im Parlament haben. Die „Entwertung der Erststimme“ sorgt für Frust. Betroffen dürften ausgerechnet die Gewinner in den besonders umkämpfen Wahlkreisen sein.

Serap Güler ist derzeit die einzige CDU-Bundestagsabgeordnete aus Köln. In ihrem Wahlkreis 92 (Innenstadt) wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Sanae Abdi (SPD) erwartet. Sollte Güler am Ende knapp vorne liegen, wäre ihr Einzug in den Bundestag aber nicht gesichert. Grund dafür ist die Wahlrechtsreform, der die Verkleinerung des Bundestags bewirken soll. Die neuen Regeln machen Wahlsieger mit vergleichsweise schwachen Ergebnissen zu Wackelkandidaten. Betroffen ist vor allem die CDU, falls die aktuellen Umfragen zutreffen, die die meisten Wahlkreise in NRW gewinnen dürfte.

Bislang sind im Bundestag 736 Abgeordnete vertreten. Künftig werden nur noch 630 Politiker im Parlament sitzen. 139 Sitze sind für NRW reserviert. Durch die Verkleinerung soll die politische Arbeit effizienter werden, zugleich sollen die Kosten sinken. Ein sinnvoller Schritt, der aber auch Gewinner zu Verlierern machen kann.

Was das Prinzip der „Zweitstimmendeckung“ bedeutet

Künftig richtet sich die Stärke einer Partei im Bundestag ausschließlich nach den Zweitstimmen. Bisher war es so, dass derjenige, der im Wahlkreis die meisten Stimmen bekam, seinen Sitz im Bundestag sicher hatte. Ab jetzt gilt das Prinzip der „Zweitstimmendeckung“. Sollte die CDU in NRW mehr Direktmandate gewinnen, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zusteht, fallen die Direktkandidaten mit den schlechtesten Erststimmenergebnissen raus. Nach parteiinternen Schätzungen könnten durch die Neuregelung bis zu zehn Abgeordnete ihr Mandat verlieren. Derzeit besteht die NRW-Landesgruppe im Bundestag aus 41 Politikern.

Nicht ohne Grund werben die Direktkandidaten bei der Bundestagswahl auf den Plakaten auch explizit für die Zweitstimme. Als gefährdet gelten Astrid Timmermann-Fechter, (Essen, erzielte vor vier Jahren 24 Prozent), Jürgen Hardt (Wuppertal, 27,6 Prozent), Thomas Jarzombek (Düsseldorf, 31,1 Prozent) und Peter Beyer (Mettmann 31,3 Prozent). Auch für Caroline Bosbach im Rheinisch-Bergischen-Kreis könnte es eng werden. Sie übernahm den Wahlkreis 99 von Hermann-Josef Tebroke, der bei der vergangenen Bundestagswahl 30,8 Prozent der Stimmen erzielte.

Briefwahlunterlagen für die Bundestagswahl.

Bei der Bundestagswahl gilt erstmals das neue Wahlrecht. Die Zweitstimme gewinnt an Bedeutung, denn die Stärke der Parteien im Bundestag richtet sich nun ausschließlich nach dem Anteil ihrer Zweitstimmen.

Die Umfragewerte von CDU (28 bis 30 Prozent) und SPD (14 bis 17 Prozent) sind seit Wochen nahezu unverändert. Die Linke, der nach der Abspaltung des BSW der Fall die Bedeutungslosigkeit vorhergesagt worden war, erlebt derweil einen bemerkenswerten Aufschwung und kommt Prognosen zufolge auf rund sieben Prozent. Offenbar wird die Entwicklung von der Angst vor einem Rechtsrutsch bei der Bundestagswahl getrieben. Der positive Trend spiegelt sich auch in den Mitgliederzahlen.

Seit dem Austritt von Sahra Wagenknecht im Oktober 2023 hat der Landesverband der Linken in NRW seine Mitgliederzahl von 7575 auf 13.032 Anfang Februar 2025 fast verdoppelt. Allein seit Ende Januar, als die Union im Bundestag einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik mit Stimmen der AfD durchgesetzt hatte, wurden fast 2250 Neueintritte verzeichnet.

Viele neue Parteimitglieder bei den Linken und Grünen in NRW

Auch die Grünen in NRW freuen sich – trotz der aktuell eher mäßigen Umfragewerte – über einen Mitgliederzuwachs. Aktuell haben 35.000 Menschen in NRW einen Parteiausweis der Grünen – so viele wie noch nie. Seit dem Ende der Ampel-Koalition habe man fast 10.000 Neueintritte registriert, teilt die Düsseldorfer Landesgeschäftsstelle mit.

Die politische Zuspitzung der vergangenen Wochen hat aber auch CDU, SPD und FDP mehr Mitglieder beschert. Seit Anfang November zählte die SPD mit zuletzt rund 86.500 Mitgliedern mehr als 2000 Neueintritte. Die CDU als mit Abstand größte Partei in NRW hat im Januar 1004 neue Mitglieder aufgenommen. Insgesamt hatte die Partei Ende vergangenen Jahres fast 111.000 zahlende Unterstützer. Die FDP (verfügt landesweit über 17.500 Mitglieder) konnte nach dem Ende der Ampel-Koalition fast 900 Menschen neu aufnehmen. Die AfD nannte zunächst keine Zahler zur aktuellen Mitgliederentwicklung im Bundestagswahlkampf. Ende 2024 hatte die Partei in NRW etwa 7000 Mitglieder.

Auf dem Stimmzettel ändert sich durch das neue Wahlrecht bei der Bundestagswahl nichts. Jeder Wählende hat weiterhin zwei Stimmen. Bei der Bundestagswahl 2021 hatten knapp 25 Prozent der Wahlberechtigten die Erst- und Zweitstimme an Kandidierende und Listen verschiedener Parteien vergeben. Wegen des neuen Wahlrechts warnt CDU-Chef Friedrich Merz die Unterstützer der Union davor, aus taktischen Gründen kleinere Parteien mit der Zweitstimme zu unterstützen.

Serap Güler wird den Wahlabend im Kölner Rathaus verbringen und sich gemeinsam mit ihrem Team die Ergebnisse anschauen. Wenn alle, auch FDP und BSW den Sprung ins Parlament schaffen, könnte es lange dauern, bis feststeht, ob sie ins Parlament zurückkehrt. „Natürlich ist es frustrierend, einerseits das größte Vertrauen von den Wählerinnen und Wählern im Wahlkreis zugesprochen zu bekommen und andererseits trotzdem nicht in den Bundestag einziehen zu können“, sagte Güler dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Das von der Ampel eingeführte neue Wahlrecht entwertet bedauerlicherweise komplett die Erststimme“, so die CDU-Politikerin: „Das sorgt auch bei vielen Wählern für Frust.“