Der hohe Tarifabschluss der Deutschen Bahn mit der EVG wird nicht dazu führen, dass Lokführer ihren Arbeitgeber wechseln. Hauptgrund für die Fluktuation und den hohen Krankenstand sind die Belastung und die vielen Verspätungen.
Folgen der Tarifschlichtung in NRWMehr Geld für die Lokführer, aber die Belastung bleibt
Es wird ein teurer Kompromiss für die Deutsche Bahn, sollte die Eisenbahngewerkschaft (EVG) dem Ergebnis der Schlichtung in einer der längsten Tarifstreits der letzten Jahre zustimmen, wovon derzeit beide Seiten ausgehen. Aber dem Staatskonzern blieb keine andere Wahl. Die massiven Probleme mit der maroden Infrastruktur, der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit ließe eine härtere Gangart nicht zu. Doch was bedeutet das Ergebnis für die Kunden, die Fahrpreise und den Lokführermangel, der vor allem im Regionalverkehr in NRW immer wieder zu Zugausfällen führt? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Welche Folgen hat das Schlichtungsergebnis für NRW?
Im Regionalverkehr in NRW müssen jedes Jahr rund 400 neue Lokführerinnen und Lokführer ausgebildet werden, um das altersbedingte Ausscheiden aus dem Fahrdienst auszugleichen. „Wir haben keine Probleme, genügend Interessenten zu finden und können alle Ausbildungsplätze besetzen“, sagt eine Sprecherin. Bei Fokus Bahn NRW haben sich elf Nahverkehrsbahnen und drei Verkehrsverbünde zusammengeschlossen. Die Bezahlung spiele bei den Interessenten nicht die größte Rolle, zumal die Unterschiede in der Bahnbranche recht gering seien. Ein Quereinsteiger mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung verdient nach der einjährigen Ausbildung rund 3000 Euro bei mindestens 13 Monatslöhnen ohne Zulagen für Schicht-, Nacht- und Wochenenddienste.
Gibt es in NRW also keinen Lokführermangel mehr?
Nein. Die hohe Fluktuation und der Krankenstand sorgen dafür, dass immer noch Personal fehlt. Derzeit liege er bei 15 Prozent, so die Sprecherin. „Die Belastungssituation ist sehr hoch. Erst Corona, dann die Flut im Ahrtal und in der Eifel, die vollen Züge durch das 9-Euro-Ticket waren sehr anstrengend“, so die Sprecherin weiter. „Hinzu kommen die vielen Verspätungen durch die vielen Baustellen auf den Strecken. Die sind für das Fahrpersonal auch sehr belastend, weil die Schichten oft nicht eingehalten werden können und darunter das Privatleben stark leidet.“
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Müssen Nahverkehrsbetriebe wie die KVB fürchten, dass sie nach der Schlichtung kein neues Fahrpersonal finden, weil die DB der attraktivere Arbeitgeber ist?
Wohl kaum. Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst ist mit dem Verhandlungsergebnis der EVG mit der DB durchaus vergleichbar. Ein Berufsanfänger verdient rund 2800 Euro brutto. Ab März 2024, wenn der neue Tarifvertrag in Kraft tritt, kommen noch einmal 200 Euro monatlich plus eine Erhöhung von 5,5 Prozent hinzu.
Was bedeutet das Schlichtungsergebnis für die Fahrgäste?
Sie müssen bis Ende August keine Streiks mehr befürchten. So lange dauert die Urabstimmung. Der Bundesvorstand der EVG wird am Freitag darüber entscheiden, ob er dem Schlichterspruch zustimmen. Um sein Votum zu überstimmen, müssen die EVG-Mitglieder den Kompromiss mit einer Dreiviertelmehrheit ablehnen. Das ist sehr unwahrscheinlich, auch weil es der EVG gelungen ist, dass die unteren Lohngruppen am meisten profitieren.
Und für die Bahn?
Sie muss den teuersten Tarifabschluss ihrer Geschichte verkraften und statt einer prozentualen Erhöhung nun um Festbeträge aufstocken. Diese liegen in der Höhe deutlich unter der ursprünglichen Forderung der EVG. Die Gewerkschaft hatte mindestens 650 Euro mehr pro Monat oder zwölf Prozent bei den oberen Einkommensgruppen gefordert sowie eine Laufzeit von zwölf Monaten. Die Bahn wiederum hatte zuletzt acht Prozent mehr für die oberen, zehn Prozent für die mittleren und zwölf Prozent für die unteren Entgeltgruppen angeboten. Als Laufzeit wollte der Konzern 27 Monate durchsetzen.
Hat die Bahn auch Vorteile durch das Ergebnis?
Der größte Vorteil aus Sicht der Bahn ist die lange Laufzeit. Sie will in den kommenden Jahren ihre Hochleistungskorridore mit einem Kraftakt sanieren und dafür wichtige Verbindungen über Monate komplett sperren. Start ist ab Sommer 2024 auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Auch in NRW stehen Generalsanierungen an. Der Bund will zudem die Infrastruktursparte vom Gewinndruck befreien und in eine gemeinnützige Gesellschaft überführen. Die Regierung hat zudem für die kommenden zwei Jahre rund 15 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionsmitteln beschlossen. Das wird in den nächsten Jahren noch mehr Verspätungen und Zugausfälle bedeuten. Nur 68,7 Prozent der Fernzüge waren im ersten Halbjahr 2023 ohne größere Verspätungen unterwegs, sagte Bahnchef Richard Lutz am Donnerstag bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz. Rund zwei Drittel aller Fernzüge seien von Baustellen betroffen.
Im Herbst beginnen die Tarifverhandlungen der Bahn mit der Gewerkschaft der Lokführer (GdL). Welche Forderungen liegen auf dem Tisch?
Die GdL strebt neben einer deutlichen Lohnerhöhung auch eine Arbeitszeitverkürzung an. Zu den Kernforderungen gehören eine „allgemeine Entgelterhöhung“ von 555 Euro, eine Erhöhung der Zulagen für Schichtarbeit um 25 Prozent sowie eine Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden für Schichtarbeiter ohne anteilige Lohnabsenkung. Außerdem will die GDL eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro durchsetzen und eine „deutliche Entgelterhöhung für Azubis“. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll maximal zwölf Monate betragen. Das und die kürzeren Arbeitszeiten dürften die Knackpunkte bei den Verhandlungen werden.
Welche Folgen könnten die hohen Tarifabschlüsse für die Fahrpreise haben?
Im Regionalverkehr sind sie einer der wichtigsten Preistreiber. Der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) hat schon angekündigt, dass die Fahrpreise im kommenden Jahr um bis zu 20 Prozent steigen müssten, wenn man alle Verluste ausgleichen wolle. Er rechnet mit einem Fehlbetrag zwischen 100 und 130 Millionen Euro. Lediglich bei der Kalkulation der Energiekosten gebe es noch ein wenig Spielraum.
Allerdings blieben rund 75 Prozent der VRS-Kunden von diesen höheren Tarifen verschont, weil sie das Deutschlandticket in der Tasche haben. Das kostet 49 Euro pro Monat und soll im Preis auch 2024 stabil bleiben. Doch das erfolgreiche Deutschlandticket könnte aus Sicht des VRS für die Kommunen 2024 zu einem Finanzrisiko werden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schätzt, dass die drei Milliarden Euro, mit der es 2023 je zur Hälfte vom Bund und vom Land Nordrhein-Westfalen finanziert wird, im kommenden Jahr bei weitem nicht reichen werden. Der VDV schätzt den Zuschussbedarf auf 4,7 Milliarden Euro.