Nach dem Anschlag von Solingen appelliert NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) an die demokratischen Parteien, an einem Strang ziehen.
Reul zu Solingen„Die Grünen haben verstanden, was jetzt wichtig ist“
NRW hat umfassende Maßnahmen beschlossen, um Anschläge besser verhindern zu können. Die Opposition spricht von einem Sammelsurium. Ärgert Sie das?
Dieses Oppositionsgerede ärgert mich nicht mehr. Dafür bin ich schon zu lange dabei oder zu alt. Aber ich würde mir wünschen, dass alle verantwortungsbewussten politischen Kräfte sich hier beteiligen und mitziehen, weil die Maßnahmen richtig und wichtig sind. Und das weiß auch die Opposition. Wir brauchen in dieser Zeit, bei dieser Bedrohungslage den großen Wurf und keinen Streit. Am besten, man zeigt da parteiübergreifend Gemeinsamkeit.
Erst nach dem Anschlag von Solingen waren die Grünen bereit, ein weitreichendes Sicherheitspaket mitzutragen. Wie denken Sie darüber?
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Wir sind schon sehr lange im Austausch und verhandeln über viele dieser Themen. Die Grünen wissen genau, worauf es ankommt, was jetzt wichtig ist. Gemeinsam haben wir jetzt dafür gesorgt, dass unsere Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse bekommen – ein wichtiger, aber anstrengender Schritt.
Was war das dickste Brett, das gebohrt werden mussten?
Es gibt immer Fragen, die schwieriger sind. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder das Ausweiten der Verkehrsdatenspeicherung sind solche. Aber wir brauchen diese Instrumente, um im Netz Schritt zu halten. Das ist jedem klar.
„Bis zu seiner Festnahme hat mich die Vorgeschichte des Täters herzlich wenig interessiert“
Am Samstag nach dem Anschlag haben sich die Hinweise bereits verdichtet, dass der Attentäter ausreisepflichtig war, am Nachmittag lag eine Akte vor. Warum haben Sie nicht schon an Samstagabend angerufen, um Flüchtlingsministerin Paul darüber zu informieren, dass der Gesuchte ein Asylbewerber war?
Ich habe das schon im Landtag in dieser Woche gesagt: Bis zu seiner Festnahme hat mich die Vorgeschichte des Täters herzlich wenig interessiert, weil sie für die Fahndung nach ihm keine Rolle gespielt hat. Erst danach, als mir bewusst wurde, dass die Frage politisch relevant werden könnte, dass er nicht abgeschoben worden ist, habe ich versucht, Kontakt zu Frau Kollegin Paul aufzunehmen – das war direkt am Sonntagmorgen.
Wurden die polizeilichen Meldungen zu Wichtigen Ereignissen (WE) zu dem Fall auch an Frau Paul gesteuert?
Nein, das ist auch unüblich.
Warum nicht?
Weil es anfangs ja überhaupt keinen Bezug zur Zuständigkeit des Flüchtlingsministeriums gegeben hat. Wir wussten ja gar nicht, wer der Täter ist, dass es sich bei ihm um einen Flüchtling handelt und dass er sogar schon hätte abgeschoben werden sollen. Als uns das dann gesichert vorlag, wurde das Ministerium von Frau Paul ja unmittelbar hinzugezogen und ich habe auch persönlich Kontakt zu Ministerin Paul aufgenommen.
Am Sonntagmorgen haben Sie Frau Paul eine SMS mit der Bitte um Rückruf geschickt. Waren Sie irritiert, als kein Rückruf erfolgte?
Nein. Josefine Paul konnte gar nicht wissen, was ich von ihr will. Als dann die Infos über den Täter ohnehin in den Medien waren, hatte sich die Sache sowieso erledigt. Das wurde ja auch zwischen unseren Büros kommuniziert. Außerdem gab es dann am Sonntagnachmittag eine Kabinettsitzung, bei der ich über die bisherigen Erkenntnisse berichtet habe.
Reul über SMS an Paul: „Es ging nur um eine simple Vorabinformation“
Wenn die Rollen umgekehrt verteilt gewesen wären - wie hätten Sie an Frau Pauls Stelle reagiert?
Keine Ahnung. Wie schon gesagt: Frau Paul konnte nicht wissen, was ich von ihr wollte und in meiner SMS habe ich auch keinen Alarm geschlagen. Es ging nur um eine simple Vorabinformation.
Wie kommen Sie mit Ministerin Paul zurecht? Telefonieren Sie häufig, Duzen Sie sich?
Duzen ist für mich kein Attribut für ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis. Da kommt es auf andere Dinge an. Wir tauschen uns sehr regelmäßig zu verschiedensten Themen aus und arbeiten gut zusammen.
Die Grünen haben die Pläne mitgetragen. Welche Rolle spielte dabei die Tatsache, dass Grüne Ministerin Paul und Justizminister Limbach unter öffentlichen Druck geraten sind?
Die Grünen haben verstanden, was jetzt wichtig ist, um beim Thema Sicherheit und Migration weiterzukommen. Deshalb haben sie die Pläne mitgetragen. Vor allem Benjamin Limbach und Verena Schäffer haben das in unseren vertrauensvollen und konstruktiven Gesprächen sehr deutlich gemacht.
Welche Wünsche sind Ihnen nicht erfüllt worden?
Politik ist kein Wunschkonzert, sondern harte Arbeit. Die Menschen erwarten, dass wir handeln, wirksame Maßnahmen entwickeln. Unser Ergebnis ist ein großer Fortschritt.
Wie hat sich Ihr persönliches Verhältnis zur Fraktionsspitze der Grünen im Laufe Ihrer Amtszeit entwickelt?
Wir reden viel und oft, wir verhandeln und ringen um Positionen. Auch ich habe in der Vergangenheit Zugeständnisse gemacht. Der Polizeibeauftragte beim Landtag war nicht meine Idee. Aber wenn man gemeinsam in einer Koalition ist, muss man kompromissbereit sein. Das sind wir. CDU und Grüne gleichermaßen. Deshalb ist unser Verhältnis sehr gut.
„Vielleicht ist Schwarz-Grün doch nicht so schlecht, wie gerade alle schreiben?“
Sie haben sich den Ruf eines innenpolitischen Hardliners erworben. Sind Sie mittlerweile auch zu einem „Grünen-Versteher“ geworden?
Ich rede mit den Leuten und habe die Weisheit nicht gepachtet. Ich lasse mich auch überzeugen. Unter Schwarz-Gelb haben wir auch ein Polizeigesetz hinbekommen, wofür uns heute viele Länder beneiden. Man muss bereit sein, den anderen zu verstehen.
Ein Flüchtling, der nach Afghanistan abgeschoben wurde, hat offenbar 1000 Euro als Startgeld für seine Rückkehr erhalten. Ist das für Sie in Ordnung?
Ich kann das Unverständnis darüber verstehen. Aber bevor man riskiert, dass ein Gericht eine Abschiebung stoppt, schluckt man lieber diese Kröte.
Schwarz-Grün zieht in der Sicherheitspolitik an einem Strang. Was bedeutet das für die Rolle von Wüst in der Bundespolitik?
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hat immer Gewicht in der Bundespolitik. Das ist so und das bleibt so. Auch wenn überall Schwarz-Grün als Modell kaputt geredet wird, zeigen wir in Nordrhein-Westfalen doch, dass wir extrem viel bewegen. Vielleicht ist Schwarz-Grün doch nicht so schlecht, wie gerade alle schreiben?
War es klug von Friedrich Merz, die Gespräche im Bund über die Innere Sicherheit scheitern zu lassen?
Ich war nicht dabei. Aber wenn die Gegenseite sich nicht bewegt, dann hat das Ganze keinen Sinn. Ich bleibe aber bei meinem Grundsatz: In einer solchen Situation sollten die verantwortungsbewussten politischen Kräfte zusammenarbeiten. Ich glaube und hoffe, dass da die Messe noch nicht gelesen ist.
Beflügelt der Erfolg, das Sicherheitspaket geschnürt zu haben, Ihre Ambitionen, 2027 erneut anzutreten?
Ich habe sehr viel Freude an dieser Aufgabe. Auch wenn es häufig anstrengend ist. Aber ich stehe dafür morgens gerne früh auf und gehe abends sehr spät ins Bett. Was 2027 sein wird, entscheide ich, wenn die Frage ansteht.