Die IS-Terrormiliz reklamiert den Messerangriff in Solingen für sich. Bei der Tat wurden drei Menschen getötet und acht verletzt.
Polizei erhöht Präsenz in NRWTerroranschlag in Solingen hat Folgen: „Werden unsere Art zu Leben verteidigen“
Nach dem Messeranschlag in Solingen gehen die Ermittler von einem terroristischen Motiv aus. Das teilte Oberstaatsanwalt Markus Caspers am Samstag auf einer Pressekonferenz in Wuppertal mit. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte derweil an, die Polizeipräsenz im gesamten Land zu erhöhen. Ein Angreifer hatte am Freitagabend beim Jubiläumsfest der Stadt vor einer der Bühnen auf Besucher eingestochen. Drei Menschen wurden getötet, acht weitere teils schwer verletzt.
Am späten Samstagabend nahm die Polizei in einer Flüchtlingsunterkunft in Solingen einen männlichen Verdächtigen fest. „Es wird geprüft, in welchem Zusammenhang mit der Tat steht“, sagte eine Sprecherin der Polizei Düsseldorf gegenüber dieser Zeitung.
Die Extremistenorganisation Islamischer Staat (IS) reklamiert den Anschlag in Solingen für sich. Bei X, ehemals Twitter, kursiert ein Bekennerschreiben der Organisation. Beweise für diese Behauptung lieferte der IS nicht. Ein „Soldat“ des IS habe den Angriff „auf eine Versammlung von Christen in der Stadt Solingen in Deutschland“ am Freitag verübt, teilte das IS-Propaganda-Organ Amaq in den sozialen Medien mit. Der Angreifer habe damit „Rache“ für Muslime in den Palästinensergebieten und anderswo auf der Welt geübt.
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Ein anderes Motiv als Terrorismus sei derzeit nicht ersichtlich, so Oberstaatsanwalt Caspers am Samstagnachmittag. Die Opfer hätten in keinerlei Beziehung zueinander gestanden. Sollten sich die Hinweise auf terroristische Tat verdichten, übernimmt der Generalbundesanwalt. Bisher leitet die Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Ermittlungen.
Viele Fragen blieben auch am Samstagnachmittag noch offen. Der Täter ist noch immer auf der Flucht, die Ermittlungen laufen gegen unbekannt. Auch ein Bild des Täters könne noch nicht veröffentlich werden.
Was über den Tatablauf bekannt ist
Das Solinger „Festival der Vielfalt“ endete am Freitagabend abrupt. Um 21.37 Uhr gingen die ersten Notrufe ein: Eine männliche Person steche vor der Bühne auf dem Fronhof auf Menschen ein. Dabei habe er auf die Hälse der Opfer gezielt, berichtet Thorsten Fleiß, Polizeiführer in der Nacht. Drei Menschen starben, ein 67-jähriger Mann, ein 56-Jährige und eine 56-jährige Frau. Der Täter verletzte acht weitere Menschen. Vier von ihnen waren Samstagabend noch immer in Lebensgefahr, zwei Menschen erlitten schwere Verletzungen, zwei weitere leichte. Die Veranstalter brachen das Programm auf den zwei anderen Bühnen kurz nach dem Anschlag ab und baten die Solinger, die Innenstadt zu verlassen. Die geplanten Feierlichkeiten für Samstag und Sonntag wurden abgesagt. In der Nacht und am Samstag war ein großes Aufgebot an Polizei in der Stadt präsent.
„Wir haben Fahndungshinweise, die wir aktuell nachverfolgen“, sagte Fleiß am Samstagnachmittag. „Allerdings sind die noch nicht so gesichert, dass wir sie veröffentlichen können.“ Aktuell sei es eine große Herausforderung, aus der Spurenlage und den Zeugenaussagen ein Gesamtbild zu generieren. Er rief Zeugen auf, weiterhin Bilder und Videos über das Hinweisportal zu teilen. Bisher sei „umfangreiches“ Material eingelaufen. „Wir gehen aktuell davon aus, dass es ein Täter war, ermitteln aber in alle Richtungen“, sagte Fleiß.
Zeuginnen berichten von Gespräch über Tat kurz vor dem Anschlag
Zuvor hatte die Polizei in den frühen Morgenstunden einen 15-Jährigen festgenommen, den die Polizei jedoch nicht für den Täter hält. Die Ermittler werfen ihm vor, von der geplanten Tat gewusst zu haben, ohne sie den Sicherheitsbehörden zu melden. Ob der Festgenommene mit dem Täter in Verbindung stand, stünde nicht endgültig fest. Zeuginnen sollen vor der Tat ein Gespräch mitgehört haben, in dem eine weitere Person dem 15-Jährigen von Absichten erzählt hätte, die zum Anschlag passten.
Medienberichte, nach denen die Tatwaffe bereits gefunden worden sei, bestätigte Fleiß nicht. Die Beamten hätten bei „umfangreichen Spurensicherungsmaßnahmen“ mehrere Messer in der Umgebung des Fronhofs gefunden. Ob eines der Tat zuzuordnen ist, werde noch untersucht.
Die Polizei führte am Samstag in Zusammenhang mit dem Anschlag Durchsuchungen in ganz Deutschland durch. An den Ermittlungen sind laut Polizeipräsident Wuppertal, der auch für Solingen zuständig ist, alle Fachdienststellen und Spezialeinheiten aus NRW beteiligt sowie das Bundeskriminalamt.
Nach Attentat von Solingen: Polizei erhöht Präsenz in NRW
Bis der Täter gefasst ist, wird die Polizei ihre Präsenz überall in Nordrhein-Westfalen erhöhen, insbesondere an Orten mit größeren Veranstaltungen. Das teilte NRW-Innenminister Herbert Reul am späten Samstagnachmittag mit. Reul, Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und die stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) waren gegen 17 Uhr vor dem Solinger Rathaus eingetroffen. Nachdem sie sich erst zu einer Beratung zurückgezogen hatten, traten sie gemeinsam im Innenhof des Rathauses vor die Presse.
Reul appellierte, Geduld für die polizeilichen Ermittlungen zu haben. „Es ist zu früh, um zu spekulieren, was wäre und was könnte“, so der CDU-Politiker. „Die Polizisten vernehmen im Moment gleichzeitig zehn, 20 Personen, um Daten zu sammeln. Die müssen dann auch noch ausgewertet werden.“ Um die polizeiliche Arbeit nicht zu stören, verzichteten die Politiker auf einen Besuch am Tatort. „Jede Minute, jede Stunde“ der Ermittler seien nun wichtig, um den Täter zu fassen.
Wüst dankte den Einsatzkräften und sprach den Angehörigen sein Beileid aus. „Unser Land ist vereint in Fassungslosigkeit und Trauer“, sagte Wüst. „Dieser Anschlag hat unser Land ins Herz getroffen.“ Es sei ein Akt des Terrors gegen die Sicherheit und Freiheit Nordrhein-Westfalens, „gegen die Art, wie wir hier leben und feiern“. „Wir werden uns nicht erschüttern lassen von Terror und Hass. Wir werden unsere Art zu Leben verteidigen“, so Wüst. Der Täter müsse nun ermittelt und einer „gerechten, harten Strafe“ zugeführt werden.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Solingen steht in dieser Sache nicht allein“
Die stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur betonte im Innenhof des Rathauses, Solingen haben bereits mehrere Wunden in seiner Stadtgeschichte. „Aber die Solingerinnen und Solinger haben immer wieder gezeigt, dass sie sich da herausarbeiten können. Solingen steht in dieser Sache nicht allein.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser sicherte dem Land Nordrhein-Westfalen ihre Unterstützung zu. „Es ist eine furchtbare Art des Anschlags gewesen, gerade in einem Moment, wo die Stadt ihr Jubiläum hier mit den Bürgerinnen und Bürgern gefeiert hat“, sagt Faeser. „Die Gesellschaft muss in so schweren Stunden zusammenstehen. Wir lassen uns von solch einem furchtbaren Anschlag nicht spalten.“
Zuletzt tritt Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) vor die Mikrofone, er spricht langsam, als suche er auch am Tag nach der Tat noch immer noch den richtigen Worten. Solingen sei eine Stadt, in der man sich kennt, sagt Kurzbach. „Je mehr ich mit Menschen spreche, die das gesehen haben oder Angehörige sind, umso entsetzlicher kommt mir die Tat immer noch vor und geht schwer unter die Haut.“ Die Stadt sei voller Trauer, der Schmerz unendlich groß. „Aber zu wissen: Du bist nicht allein in der Trauer, hilft“, sagt Kurzbach. „Diese Stadt hat schon so manche schwere Prüfung über sich ergehen lassen müssen. Ich vertraue darauf, dass wir in Solingen zusammenhalten, dass wir denen helfen, die verletzt und verwundet sind. Und dass wir niemanden allein lassen, der um einen anderen trauert.“