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Verkehrspolitische Revolution in NRWGemeinsamer Tarif von VRS und AVV in Bussen und Bahnen geplant

Lesezeit 4 Minuten
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Ein Regionalexpress wartet im Kölner Hauptbahnhof. Im Rheinland sollen die Tarifgrenzen nach Plänen des VRS endgültig fallen. Foto: IMAGO/Jochen Tack

Unter dem gemeinsamen Dach von go.Rheinland soll die Grenze zwischen dem Aachener Verkehrsverbund und dem Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) eingerissen werden.

Nach der Einführung des Deutschlandtickets deutet sich im Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) eine verkehrspolitische Revolution an. Alle Fraktionen – CDU, SPD, Grüne, FDP und Volt – haben sich in der VRS-Verbandsversammlung darauf verständigt, die Verbundgrenzen zwischen dem VRS und dem Aachener Verkehrsverbund (AVV) „tariflich und vertrieblich einzureißen“ und einen „neuen Rheinlandtarif als Ergänzung zum Deutschlandticket einzuführen“.

Das geht aus einem fraktionsübergreifenden „Letter of Intent“ hervor, der in der Sitzung am 28. September als Tischvorlage kursierte, aber im Beisein von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) vorläufig einkassiert wurde, weil die Grünen noch Beratungsbedarf sehen.

Letter of Intent bereits unterschrieben

Der Brief, bereits unterschrieben von allen Fraktionschefs, sollte an die rheinischen Bundestags- und Landtagsabgeordneten und an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) verschickt werden. Er wird die Verbandsversammlung am 30. November nun erneut beschäftigen. Das Gremium besteht aus 38 Kommunalpolitikern der am VRS beteiligten Städte und Landkreise.

VRS und AVV, die für den kommunalen Nahverkehr verantwortlich sind, und der Zweckverband go.Rheinland, der den überörtlichen Schienenpersonennahverkehr, also den Betrieb von Regionalzügen und S-Bahnen plant, wollen alle Angebote, die neben dem Deutschlandticket existieren, unter der Marke go.Rheinland zusammenführen und weiterentwickeln, ihre digitalen Plattformen vereinheitlichen, ein gemeinsames Auskunftssystem einführen und die Zusammenarbeit stärken, heißt es weiter in dem Brief, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. So soll die digitale Mobilitätsplattform „Naveo“ von der Städteregion Aachen auf das gesamte Rheinland ausgeweitet werden.

Von Fusion ist noch keine Rede

Von einer Fusion des AVV mit dem VRS ist in dem Schreiben zwar nicht explizit die Rede, faktisch dürfte das aber der letzte Schritt sein. Im Gebiet von go.Rheinland leben in 100 Kommunen mehr als 4,4 Millionen Menschen. Eine verstärkte Kooperation der Verkehrsverbünde in NRW haben CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Wörtlich heißt es: „Wir streben gemeinsam mit den Verkehrsverbünden und den Kommunen eine effizientere und einheitlichere Organisation des SPNV an.“

Vor allem in Aachen sieht man die Kooperation eher kritisch und fürchtet, unter dem Dach von go.Rheinland als kleinerer Partner bei Fragen des Infrastrukturausbaus zu kurz zu kommen. Diese Sorge ist nicht ganz unbegründet. Nach mehreren großen Konferenzen zum Bahnknoten Köln gab es in diesem Jahr erstmals auch eine entsprechende Fachtagung für den Bahnknoten Aachen.

Deutschlandticket steht auf der Kippe

Im Streit der Länder mit dem Bund um die Finanzierung des Deutschlandtickets für 2024 spielt der Brief – selbst wenn er vorerst zurückgezogen wurde – Bundesverkehrsminister Volker Wissing in die Karten. Der FDP-Politiker lehnt eine höhere Kostenbeteiligung am Deutschlandticket ab und hat die Länder zum Sparen aufgefordert. Bisher stehen drei Milliarden Euro zur Verfügung, die je zur Hälfte vom Bund und den Ländern getragen werden.

Für 2024 rechnet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) aber mit Gesamtkosten von 4,1 Milliarden. Die Länder müssten jetzt zunächst bei den Verkehrsverbünden und den Vertriebskosten sparen, fordert er. „Ich empfehle den Ländern, den Flickenteppich der Verkehrsverbünde effektiv neu zu ordnen“, sagt Wissing. „Da müssen jetzt Einspareffekte erzielt werden, sodass der ÖPNV besser wird im Angebot und gleichzeitig unnötige Kosten eingespart werden. Wir haben allein zwei Milliarden Euro Vertriebskosten für ÖPNV-Tickets. Das muss sich ändern“, so der Minister.

Grüne wollen Resttickets landesweit vereinheitlichen

Der Streit ums Deutschlandticket wird die Verkehrsministerkonferenz, die unter Vorsitz von Oliver Krischer am 11. und 12. Oktober in Köln tagt, erneut beschäftigen. Bei einer Sonderkonferenz Ende September hatte der NRW-Verkehrsminister seinen Kollegen Wissing heftig attackiert. Das Sparpotenzial von zwei Milliarden Euro, das der Bundesverkehrsminister beim Ticketvertrieb und der Struktur der Verkehrsverbünde bundesweit sehe, könne keiner der 16 Ländervertreter erkennen.

„Mehr Digitalisierung als beim eezy-Ticket in NRW geht gar nicht mehr. Die Behauptung, mit ein bisschen Sparen erledige sich die Finanzierungsfrage von allein, haben alle meine Kolleginnen und Kollegen und ich als zynisch empfunden“, so Krischer.

Da war noch eitel Sonnenschein: Im März präsentieren Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und sein NRW-Amtskollege Oliver Krischer (Grüne, r.) das neue Deutschlandticket. Jetzt gibt es politischen Streit um die Finanzierung für 2024. Es klafft eine Lücke von geschätzt 1,1 Milliarden Euro. Foto: dpa

Dass der „Letter of Intent“ des VRS in so einer Lage das politisch falsche Signal an den Bund sei, räumt Ingo Steiner, Mitglied der Grünen-Fraktion in der VRS-Verbandsversammlung, ein. Natürlich müsse sich die Zusammenarbeit der Verbünde verbessern, aber Wissings Aussage, man könne bundesweit zwei Milliarden Euro einsparen, hätte für den VRS und go.Rheinland zur Folge, „dass wir beide Verbünde auflösen und das gesamte Personal entlassen müssten“. Die Mindereinnahmen des VRS durch das Deutschlandticket lägen bei rund 180 Millionen Euro. „Man muss das so brutal sagen“, so Steiner. „Der Mann redet von Sachen, von denen er keine Ahnung hat.“

Nichtsdestrotrotz seien sich die Grünen in NRW einig, dass alle Resttickets, die neben dem Deutschlandticket in NRW noch existieren, vereinheitlicht und die Verbundgrenzen aufgelöst werden müssen. „Eine Preisklasse für die Städte, eine Preisklasse für den ländlichen Raum“, fordert Steiner. Man könne das Digital-Ticket eezy.NRW weiterentwickeln und „die gesamte alte Ticketstruktur einstampfen“.

Das würde der Bundesverkehrsminister wohl sofort unterschreiben.