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Neues SchuljahrWas NRW plant: Mehr Mathe und Deutsch – Hilfe für Schulen im Brennpunkt

Lesezeit 7 Minuten
Erstklässler auf dem Weg zur Schule.

Mit dem Ende der Sommerferien beginnt auch für viele Erstklässler die Schule. Sie sollen mehr Unterricht in Deutsch und Mathe bekommen.

Weil immer mehr Viertklässler nicht mehr richtig lesen und rechnen können, geht NRW neue Wege.

Nach sechs Wochen Sommerferien startet für 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen wieder die Schule. Pünktlich zum Schulstart richtet sich der Blick auf die großen Baustellen im Schulsystem. Schließlich hatte die letzte Grundschul-Bildungsstudie ergeben, dass in Nordrhein-Westfalen inzwischen ein Viertel der Viertklässler nicht mehr die Mindeststandards in Lesen erreicht, beim Schreiben ist es ein Drittel.

Ohne die Basiskompetenzen von Lesen, Schreiben und Rechnen ist ein Scheitern in der weiteren Schullaufbahn programmiert. Die nordrhein-westfälische Schulministerin Dorothee Feller (CDU) will hier gegensteuern: So soll in den Grundschulen ab dem neuen Schuljahr mehr Unterricht in den Fächern Deutsch und Mathematik erteilt wird. Je eine Stunde mehr pro Woche sollen dafür ab dem zweiten Schulhalbjahr im Stundenplan festgeschrieben werden.

Immer mehr Kinder zeigen nicht die nötige Schulreife

Ziel ist, dass Kinder in Nordrhein-Westfalen von der ersten bis zur vierten Klasse durchgehend fünf bis sechs Stunden Mathe und Deutsch unterrichtet werden. Damit wird der zweite Baustein im Konzept des Ministeriums umgesetzt, die Basiskompetenzen am Anfang der Schullaufbahn intensiver zu fördern. Im vergangenen Schuljahr war als erster Baustein eine Lesezeit von 3 mal 20 Minuten pro Woche für die Grundschulen eingeführt worden. „Diesen Weg gehen wir nun konsequent weiter“, sagte die Ministerin.

Auch reagiert das Ministerium darauf, dass die Zahl der Kinder, die die Fähigkeiten nicht mitbringen, um überhaupt Lernen zu können, rasant steigt. Früher hieß das Schulreife, heute Vorläuferfähigkeiten. Eine große Zahl von Kindern haben nach Auskunft von Kölner Grundschulleitungen nur geringe Sprachkenntnisse, viele sind in ihrer Entwicklung bis zu zwei Jahre zurück. Sie habe dieses Jahr bei der Anmeldung so viele Kinder zurückgestellt wie noch nie, erklärte zum Beispiel die Leiterin der James-Krüss-Grundschule in Ostheim, Christiane Hartmann.

Schulministerin Dorothee Feller im Düsseldorfer Landtag.

NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) hat für das beginnende Schuljahr Neuerungen angekündigt.

„Wenn ein nennenswerter Teil der neu eingeschulten Kinder nicht gut genug Deutsch spricht und versteht, um im Unterricht mitarbeiten zu können, dann können unsere Lehrkräfte das allein auf Dauer nicht auffangen“, erklärte Ministerin Feller.

Das Schulministerium will daher ab dem neuen Schuljahr den Sprachstand der künftigen Erstklässler bei der Anmeldung im Herbst nach einem neu entwickelten standardisierten Verfahren testen, das allen Schulen zur Verfügung gestellt wird. Bislang hat das jede Schule in Eigenregie gemacht. Diesmal soll der Test noch händisch ausgefüllt werden. Ab nächstem Jahr soll ein digitales Diagnose- und Förderinstrument an den Start gehen, das 2024 bereits von 130 Grundschulen getestet wird. Dabei soll mit Hilfe künstlicher Intelligenz sofort eine systematische Auswertung hinterlegt werden.

Eltern sollen ihre Kinder gezielt fördern

So sehr es grundsätzlich richtig sei, dass der Sprachstand jetzt systematisch erfasst wird, greife das zu kurz, kritisierte die SPD-Opposition im Landtag. Denn: Wenn die Testung dann einen großen Förderbedarf feststellt und diesen auch präzise analysiert, stellt sich die Frage, wer diese Förderung dann überhaupt leisten soll. Nach den Plänen des Ministeriums soll es so laufen, dass die Eltern die Ergebnisse erhalten mit der Aufforderung, die Monate bis zum Schulbeginn zu nutzen, um die Förderlücken zu schließen – nebst Tipps für Übungsmaterial. Die Kitas können eingebunden werden, wenn die Eltern ihre Einwilligung zur Weitergabe der Testergebnisse erteilen.

„Aber die Familien werden die Förderung nicht leisten können“, kritisierte die schulpolitische Sprecherin der SPD, Dilek Engin. Angesichts der Kitakatastrophe mit Fachkräftemangel sei auch klar, dass die Kitas die Kinder mit Sprachbarrieren auch nicht individuell im nötigen Umfang werde fördern können. „Das Screening wird nur dann einen Erfolg haben, wenn passende und zusätzliche Förderangebote geschaffen werden“, so Engin.

Diagnostik sei wichtig, betont auch die nordrhein-westfälische Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Aber sie bringe nichts, wenn es kein Personal gebe, das die Förderempfehlungen auch umsetzen kann. „Hier generell die Eltern in die Pflicht zu nehmen, kann nicht Teil der Lösung sein“, kritisiert auch die GEW-Vorsitzende Ayla Celik. So reproduziere das Bildungssystem die Bildungsungerechtigkeit. Außerdem müsse ein solches Screening schon viel früher vor der Schulanmeldung stattfinden, damit während der Kita-Zeit gefördert werden kann. Ziel müsse es sein, mehr Zeit zu haben, um die Lücken zu schließen und damit für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen.

Dabei ist mehr Bildungsgerechtigkeit ein wichtiges Thema, das das Schulministerium sich auf die Agenda geschrieben hat. Ein Meilenstein auf diesem Weg soll das Startchancen-Programm sein. Mit dem gemeinsamen Programm, das Bund und Länder nach jahrelanger politischer Debatte um die konkrete Ausgestaltung mit dem Schuljahresbeginn an den Start bringen, werden allein in NRW 920 Schulen in „herausfordernden Lagen“ besonders gefördert. Der Start erfolgt zunächst mit 400 Schulen, im Schuljahr 2025/26 sollen weitere 520 folgen. „Herausfordernde Lagen“ sind Standorte, an denen es besonders viel Armut und besonders viele Kinder mit Migrationsgeschichte gibt.

20 Kölner Schulen sind im Startchancen-Programm dabei

Allein in Köln sind in der ersten Kohorte 20 Grundschulen dabei, außerdem vier Hauptschulen, vier Realschulen sowie die beiden Berufskollegs Ehrenfeld und Deutzer Freiheit und als einzige Gesamtschule die Katharina-Henoth-Gesamtschule in Höhenberg. Alle 31 Kölner Schulen sind in die höchsten Sozialindexstufen 9 und 8 eingeordnet.

Das Projekt läuft über zehn Jahre. Von den zehn Milliarden Euro, die der Bund dafür zur Verfügung stellt, fließen 2,3 Milliarden Euro nach NRW. Das Land NRW selbst legt noch mal den gleichen Betrag drauf. Die Idee ist, dass damit 4,6 Milliarden Euro an die Schulen gehen, die vor den größten Herausforderungen stehen.

Die Startchancen ruhen auf drei Säulen: Es gibt einen Topf für Investitionen in eine bessere Lernumgebung, ein Budget für mehr Personal und ein sogenanntes Chancen-Budget. Letzteres soll Schulen Freiräume bieten, auf sie abgestimmte Lösungen für ihre Probleme auf den Weg zu bringen. Im Personalbudget gibt es Stellen für die Schulsozialarbeit oder für pädagogische Fachkräfte zur Verstärkung der multiprofessionellen Teams.

Neue Stellen für Sozialarbeiter und Sozialpädagogen

Auch die James-Krüss-Grundschule in Ostheim ist im ersten Startchancen-Paket dabei und setzt große Hoffnungen auf dieses. „Es herrscht ein Gefühl von Aufbruch“, fasst Schulleiterin Hartmann die Stimmung zusammen. Sie selbst hat aus dem Programm jetzt eine Stelle für eine sozialpädagogische Fachkraft ausgeschrieben, die sie für ihr multiprofessionelles Team dringend braucht. Auch andere Kölner Schulen hätten bereits ausschreiben können, berichtet sie. Viele entschieden sich demnach für eine zusätzliche Stelle in der Schulsozialarbeit. Das Gute sei in ihren Augen, so Hartmann, dass das Programm auf zehn Jahre angelegt ist und damit langfristig finanziert. So könne mit Augenmaß geplant und sorgfältig evaluiert werden.

Dort, wo der Bedarf am größten ist, muss zwingend mehr ankommen, damit sich die soziale Ungleichheit in der Bildung nicht noch weiter verschärft
Ayla Celik, Vorsitzende der GEW-NRW

Neben mehr Personal wünscht sich die Schulleiterin, dass mit dem Startchancen-Programm für Schulen endlich mehr Freiraum einzieht. „Ich würde gerne ausprobieren dürfen, wie wir das Lernen verbessern.“ Genau dafür ist das Chancen-Budget eigentlich gedacht. Eine der Ideen von Hartmann ist es, mit einem Konzept für eine an die Schule angegliederte Vorschulklasse zu experimentieren. Dabei denkt sie an alle die Kinder, die sie und ihre Schulleitungskollegen in diesem Jahr zurückgestellt haben. Sie bleiben nun ein Jahr länger im Kindergarten – wo sie aber aufgrund der dortigen Personalsituation in diesem Jahr oft nicht adäquat gefördert werden können. Vorschulklassen, die an die Schule angegliedert sind, könnten hier viel gezielter Abhilfe schaffen.

So sehr das Startchancen-Programm in der Fachwelt begrüßt wird, so sehr wird auch gesehen, dass es angesichts der riesigen Probleme im Bildungssystem allenfalls ein Anfang sein kann. Das Programm erreiche in der geplanten Form nur zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler, kritisierte die GEW-Bundesvorsitzende Maike Finnern. Dabei seien 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen arm oder armutsgefährdet.

Ayla Celik forderte daher, die chronische Unterfinanzierung des Bildungssystems und die wachsende Bildungsungleichheit grundsätzlicher anzugehen: Es brauche einen viel besser ausgestatteten Bildungsetat, losgelöst vom Haushalt. In diesem sollten alle finanziellen und personellen Ressourcen nach dem schulscharfen Sozialindex verteilt werden. „Dort, wo der Bedarf am größten ist, muss zwingend mehr ankommen, damit sich die soziale Ungleichheit in der Bildung nicht noch weiter verschärft.“