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„Stand schon mit einem Bein im Knast“Marcel Toussaint – Vom Drogendealer zum Gourmet- Koch

Lesezeit 5 Minuten

Seit er 15 ist, hat er gekifft, mit 17 Jahren wurde er zum Drogendealer. Ein Besuch der Polizei stellte Marcel Toussaints Leben auf den Kopf.

In der Küche von Burg Nideggen wird das Personalessen zubereitet. Heute gibt es Kasslerbraten, Sauerkraut und Kartoffelpüree. Marcel Toussaint (35) schneidet das Fleisch und gibt währenddessen einer Kollegin Tipps. „Ich mach da mal den Deckel drauf, das Essen braucht Hitze.“ Wer ihn ansieht, weiß: Seine Arbeit macht ihm Spaß. „Ich gehe abends zufrieden ins Bett und stehe morgens zufrieden auf. Es ist der geilste Job der Welt.“

Gefühle „einfach weggekifft“

Toussaints Leben war nicht immer so unbeschwert. Jahrelang versteckte er sich hinter Drogen. Heute spricht er offen und frei über diese dunkle Zeit.

Sein Vater kapselt sich früh von der Familie ab. Der Junge findet falsche Freunden. „Bei ihnen habe ich ein Zusammengehörigkeitsgefühl empfunden und so hat auch das Kiffen angefangen. Doch jedes Mal, wenn ich gekifft habe, ging es mir den ganzen Tag schlecht, ich habe oft gekotzt. Aber am nächsten Tag habe ich es wieder gemacht, bis ich immun war.“

Marcel Touissant war früher Drogenabhängig, heute ist er Sternekoch.

Marcel Toussaint bereitet Kartoffelpüree für das Personal vor.

Mit den Drogen hält er seine negativen Gedanken in Schach. „Mir ging es nicht lange schlecht. Ich habe mich mit Gefühlen nicht auseinandergesetzt, ich habe sie einfach weggekifft.“

Toussaint steigt langsam ins Drogengeschäft ein. Zunächst verkauft er Cannabis an Freunde und Bekannte. Mit 17 Jahren ist Toussaint schon selbst Drogendealer. Er braucht das Geld. „Es ist ein teures Spiel, wenn man jeden Tag kifft. Meine Freunde hatten immer super Klamotten an, das wollte ich auch. Meine Mutter hat zwar immer alles für uns getan, aber dauernd neue Klamotten für 200 oder 300 Euro konnten wir uns nicht leisten.“

Am Anfang verkauft er nur Gras, aber dann lernt er Leute aus der Technoszene kennen. „Die wollten dann auch mal andere Sachen haben, Kokain, Amphetamin, Ketamin, XTX-Pillen. Das kannte ich damals alles gar nicht, aber ich kannte die richtigen Leute, um es zu besorgen.“

Krisengespräche zu Hause

Zu Hause kommt es häufig zu Krisengesprächen. Seine Mutter ist besorgt über die illegalen Praktiken ihres Sohnes, will, dass er die Schule abschließt und einen Beruf erlernt. „Ich habe abends immer mit meiner Mutter, den Großeltern und meinem Onkel am Tisch gesessen und die haben auf mich eingeredet: Hör auf, du machst dein Leben kaputt. Ich habe oft versprochen: Ja, ich höre auf, ich ändere mich und dann ging es trotzdem weiter. Ich habe nur für das Gras gelebt. Damit habe ich ihnen eine Menge Sorgen bereitet.“

„Die Frage war: Entweder du hörst jetzt auf und bist ein freier Mann, oder du machst weiter und gehst in den Knast.
Marcel Toussaint

Obwohl er nie seine Hausaufgaben macht, schafft Toussaint seinen Abschluss. Er beginnt mehrere Ausbildungen: Metallbauer, Fahrzeugbaumechaniker, Maler und Lackierer. Er bricht alles ab. „Ich dachte: Auf dem Sofa verdiene ich mehr Geld. Und auch auf den Rausch wollte ich nicht verzichten.“

Mit den Drogen verdient Toussaint monatlich bis zu 5000 Euro. Seine Kunden trifft er im Willy-Brandt-Park in Düren. „Aber mit den Jahren wird man fauler, gemütlicher. Ich dachte, dass man mich nie erwischen wird. Und so habe ich Kunden auch nach Hause kommen lassen. Das wurde mir zum Verhängnis.“

2016 steht die Kriminalpolizei vor der Tür

Im Sommer 2016 klopft es heftig am Wohnzimmerfenster. „Da hat jemand richtig dagegen gebollert. Das hat mich genervt. Aber ich war mir sicher: Das ist ein Kunde, der Drogen von mir haben wollte.“

Toussaint öffnet die Tür. „Da stand ein Mann als Paketbote verkleidet, er hielt ein Paket in der Hand und hat mich in ein Gespräch verwickelt. Hinter ihm stürmten zwei oder drei Kollegen mit Ausweis und Durchsuchungsbeschluss herein und riefen: Kriminalpolizei.“ Im Wohnzimmer findet die Polizei die Beweise: „Da lag mein Geld, mein Gras, meine Bong, mein Brettchen - alles auf dem Tisch.“

Marcel Touissant war früher Drogenabhängig, heute ist er Sternekoch.

Marcel Toussaint schneidet in der Küche der Burg Nideggen Kasslerbraten.

Obwohl die Polizei alles sicherstellt, verfolgt Toussaint sein Geschäft weiter. Bis zur Gerichtsverhandlung verkauft und konsumiert er weiter. „Es hat mich nicht abgeschreckt. Ich habe mich weiter darum gekümmert, Gras zu bekommen, dass dieses Leben weiter geht. Ich habe immer noch gedacht: Die können mir nichts.“

Das ändert sich erst Ende Mai 2018. Ein Montag. Toussaint erscheint zugedröhnt vor Gericht. Als der Staatsanwalt ihn zu seinem Drogenkonsum befragt, schwindelt er, er sei seit einem Jahr clean. „Das hat er mir Gott sei Dank nicht geglaubt.“ Das Urteil: drei Jahre Bewährung und alle drei Monate ein Drogenscreening.

„Die Frage war: Entweder du hörst jetzt auf und bist ein freier Mann, oder du machst weiter und gehst in den Knast. Das war dieser Arschtritt, den ich gebraucht habe.“

„Jeder bekommt eine dritte Chance“

Sein Leben ist im Umbruch. Er beendet seine Beziehung, bricht den Kontakt zu vielen seiner Freunde ab, macht seinen Führerschein, beginnt eine Therapie und zieht wieder zurück zu seiner Mutter. „Sie hat mich gepackt und zum Arbeitsamt geschleift.“ Dort schlägt man ihm einen Job in der Gastronomie vor. Toussaint hat nie gekocht, sein Essen meist bestellt. Aber er ist interessiert.

Er ergattert ein Praktikum im Sternerestaurant der Burg Nideggen. „Seine Geschichte war für uns kein Schock. Wir surfen eigentlich auf der Welle: Jeder bekommt eine dritte Chance“, sagt Geschäftsführer und Sternekoch Herbert Brockel. „Der Eindruck war sehr positiv, und wir haben gedacht: wenn er keine Chance kriegt, wer dann?“ Und Toussaint erwies sich seiner Chance würdig, findet Brockel. „Er ist loyal, korrekt, ehrlich, pünktlich, interessiert und gibt mittlerweile auch Input. Er gehört zu unseren besten Mitarbeitern.“

Mittlerweile lebt Toussaint mit Frau und Kindern in einem Dorf. Vier Tage in der Woche steht er zehn Stunden in der Küche. Wie auch jetzt. Er schmeckt das Essen ab, würzt nach. „Fast fertig“, sagt Toussaint, während er dem Kartoffelpüree noch ein wenig Butter hinzufügt. „Die Arbeit hier macht mir jeden Tag Spaß. Ich würde lügen, wenn ich sagte, es sei nicht anstrengend, aber ich finde es trotzdem super.“

Toussaint spricht so offen über seine Vergangenheit, weil er hofft, anderen damit helfen zu können. „Ich weiß, dass es auch andere Menschen gibt, die sich mit ihren verzweifelten Familienmitgliedern zu Krisengesprächen zusammensetzen, so wie ich das so oft gemacht habe. Wenn nur einen von ihnen meine Geschichte erreicht und er dadurch sein Leben ändert, dann ist es das wert. Das ist es, was mir am Herzen liegt.“