AboAbonnieren

KinderbetreuungKölner Eltern leiden unter Kita-Streik  – „Wir zerreißen uns, die Nerven liegen blank“

Lesezeit 15 Minuten
Annika Steinforth trägt weiße Kleidung und sitzt in ihrer Praxis im Belgischen Viertel in Köln.

Annika Steinforth ist Heilpraktikerin. Die Mutter von vier Kindern ist vom Kita-Streik betroffen.

Nach Corona, Personalmangel und Krankheitswelle kommt der Streik. Die Solidarität der Eltern mit den Kita-Mitarbeiterinnen bröckelt – fünf Mütter über ihren schwierigen Alltag.

Das Verständnis hatte zunächst einen langen Atem. Man wähnte sich im selben Boot. Schließlich ging es um die bestmögliche Betreuung derer, die allen am Herzen liegen: der Kinder. Natürlich, so die Antwort vieler Eltern, sollten Erzieherinnen und Erzieher so gut wie möglich bezahlt werden. Sollten die Arbeitsbedingungen sich verbessern. Sollte der Personalschlüssel angehoben werden. Natürlich sei man solidarisch, auch bei einem Kita-Streik.

Doch die wachsende Belastung durch Pandemie, dünner Personaldecke und jahrelanger Streikerfahrung hat Spuren hinterlassen. Der Streik in den Kitas, der zu einer besseren Entlohnung der professionellen Care-Arbeit führen soll, trifft absurderweise diejenigen, die gerade in Köln ohnehin unter der Vernachlässigung des Care-Sektors leiden. Das Verständnis ist einer Wut gewichen, die sich aus Erschöpfung speist.

Auch bei Petra, die eigentlich anders heißt, ihren Namen aber öffentlich nicht nennen will, schließlich zwingt sie der Kita-Streik zum Lügen. Denn Kinder, so die Meinung ihres Arbeitgebers, seien Privatsache, sie mit einer Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen sei organisatorische Pflicht derer, die Kinder haben.

Und diese Last wiegt immer schwerer auf den Schultern der einzelnen Eltern. „Ich kann nicht dauernd Urlaub nehmen für den Streik. Es ist für mich ohnehin schon schwierig, die Ferienzeiten und die Krankheitstage des Kindes abzudecken“, sagt die Storemanagerin eines Kölner Modeladens. Also lügt sie sich oder ihr Kind während der Streiktage krank. „Das ist mir sehr unangenehm.“

Mütter und Väter arbeiten abends nach, wenn die Kinder im Bett sind

So wie Petra geht es vielen. Wer mit mehr Flexibilität im Homeoffice arbeiten kann, der arbeitet abends nach, wenn die Kinder im Bett sind. So wie Meike Neitz (38), Senior Managerin, die sich um acht Uhr abends ein zweites Mal an den Schreibtisch setzt, weil man mit einer tobenden Vierjährigen im Raum das Pensum nicht schafft. „Danach gehe ich dann direkt ins Bett. Das schlaucht natürlich.“

Was bleibt, ist die Mehrbelastung derer, die ohnehin schon am Limit sind. „Uns Eltern wird viel zu viel abverlangt. Und es wird uns so schwer gemacht“, sagt Annika Steinforth, Heilpraktikerin aus Köln und Mutter von vier Kindern. „Wir haben während der Pandemie Federn gelassen. Der Unmut wächst, ganz einfach, weil uns die Zunge in den Kniekehlen hängt.“

Eltern fühlen sich ohnmächtig und ausgeliefert

Dabei wollte man doch einstmals für dieselbe Sache kämpfen. Erzieher und Eltern. Annika Steinforth zum Beispiel erzählt, wie sie sich jahrelang in den Kitas ihrer vier Kinder im Elternrat engagierte, wie sie Briefe schrieb an die Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit der Bitte, sich um die Einhaltung der gebuchten Betreuungszeiten zu kümmern, wie sie Excel-Tabellen erstellte bei Personalengpässen, damit die Ausfallzeiten gerecht unter den Eltern aufgeteilt werden konnte. „Aber ich habe nie etwas erreichen können“, sagt sie. „Wir fühlen uns ohnmächtig. Wir leiden und müssen das hinnehmen. Wir haben sogar schon überlegt, unseren Sohn vorzeitig einzuschulen. Einfach, um diese schreckliche Kita-Zeit hinter uns zu haben.“

Was viele Eltern zusätzlich verzweifelt macht, ist die Tatsache, dass ihre Wut keinen Adressaten zu finden scheint. Niemand scheint Schuld zu sein an der Misere. Die Erzieherinnen und Erzieher ohnehin nicht. Aber auch nicht die Stadt, die mitteilt, der Personalengpass könne nicht behoben werden, schließlich fehle es schlicht an geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern. In Köln sind nach Auskunft der Stadt derzeit etwa 200 Stellen unbesetzt, an jeder der städtischen Kitas fehlt also umgerechnet etwa eine ganze Kraft.

Der Markt an fertig ausgebildeten Fachkräften ist weitestgehend leer
Stadt Köln

Das Beschwerdeaufkommen habe in den letzten Monaten „kontinuierlich zugenommen“ und werde von der Fachdienststelle so schnell wie möglich beantwortet, teilt die Stadt auf Anfrage mit. Man bemühe sich zudem beispielsweise mit einer Ausweitung der Ausbildungskapazitäten am Berufskolleg, Übernahmegarantien für Auszubildende und umfangreiche Personalgewinnungsmaßnahmen gegenzusteuern. Viele dieser Maßnahmen laufen allerdings ins Leere. Denn: „Der Markt an fertig ausgebildeten Fachkräften ist weitestgehend leer“, schreibt die Stadt.

Die Stadt verweist auf die Verantwortlichkeit des Landes NRW

Man verweist auf die Verantwortlichkeit des Landes. „Die Verstetigung des Alltagshelferprogramms zur Entlastung der Fachkräfte ist eine landesweite Forderung, ebenso die Möglichkeit der Öffnung der Quereinstiegsmöglichkeiten.“ Auch rechtlich seien einem die Hände gebunden. „Kreative Ideen gibt es viele, sie scheitern jedoch häufig an den derzeit gesetzlichen Rahmenbedingungen. Ehrenamtliche Helfer oder engagierte Eltern dürfen beispielsweise nicht im Gruppendienst eingesetzt werden.“

Wie viele Stellen in Kindertageseinrichtungen landesweit unbesetzt sind, will das Familienministerium nun gemeinsam mit der TU Dortmund herausfinden. „Uns ist es wichtig, hier selbst einen Überblick zu bekommen und damit eine solide Datenlage für weitere Maßnahmen zu schaffen“, schreibt das Ministerium auf Anfrage. Derzeit sei ein Monitoring mit Daten zu freien Stellen allerdings noch nicht möglich. Josefine Paul gibt zu, dass in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Ausbau und Weiterentwicklung „nicht mit der notwendigen politischen Priorität verfolgt wurde“. Sie mahnt zu Geduld. „Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“

Ein Marathon, der auch Geld kostet. Und genau hier, beim Geld nämlich, findet Equal-Care-Day-Initiatorin Almut Schnerring, gelte es einzuhaken. Geld sei im Staat zunächst immer da, um den Flughafen zu retten, die Straßen und Banken. Nur wenn am Ende noch etwas übrigbleibe, dann bekäme auch der Pflegesektor noch was ab. Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Schulen, Heime. Das liege einmal daran, dass sich mit Care auf den ersten Blick kein Profit erwirtschaften ließe, aber zum Teil auch an der Langmut der Akteure, die sich in diesen Branchen engagierten.

Grundsätzlich müsse, so Schnerring, der Streik bei denen ankommen, die von Care profitierten. Und das seien eben bei Leibe nicht nur die Eltern. „Alle, die von der Care-Arbeit profitieren, müssten sich zusammenschließen. Und da wir alle mal Kinder waren, die aufgezogen werden mussten, da wir alle auch mal krank sind, alle mal alt werden, geht es uns auch alle an.“

Eltern sollten also mitstreiken. Genauso wie diejenigen, die einen alten Angehörigen pflegten, sagt Schnerring. „Den Druck nicht durch noch mehr Engagement ausgleichen, sondern an die Unternehmen weitergeben. Nur wenn es finanzielle Folgen hat, sind politische und wirtschaftliche Entscheiderinnen und Entscheider empfindlich. Bei Kindern sind sie es ja offensichtlich nicht.“

Pro Parents: Der Schutz für Eltern ist nicht ausreichend

Die rechtliche Lage hinkt diesem Aufruf hinterher. So sieht es zumindest Sandra Runge von Pro Parents. Zusammen mit der Kommunikationsberaterin Karline Wenzel kämpft sie seit einiger Zeit dafür, dass das Merkmal Elternschaft bzw. „Fürsorgeleistung“ mit in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen wird. Bislang hat man es immerhin in den Koalitionsvertrag geschafft. Das Ziel: Ebenso wie es verboten ist, Menschen wegen ihres Geschlechts zu benachteiligen, sollte auch gegen eine Schlechterstellung wegen Fürsorgeverantwortung rechtlich leichter vorgegangen werden können.

Wer bei einem Streik keine Betreuung für sein Kind hat, dem erlaubt das Bürgerliche Gesetzbuch nach Paragraf 616 schon jetzt, für eine „nicht erhebliche Zeit“, der Arbeit fernzubleiben. Allerdings können Arbeitgeber den entsprechenden Paragrafen im Arbeitsvertrag ausschließen. Auch komme es leider immer vor, dass Eltern aufgrund von Fehlzeiten durch kranke Kinder, geschlossene Kitas und Kitastreik gekündigt werde. Das wiederum widerspreche einem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. „Der Schutz für Eltern nach der aktuellen gesetzlichen Lage ist lückenhaft und nicht ausreichend“, sagt Runge.

Sie empfiehlt politische Betätigung von Eltern. „Eltern müssen sich einbringen, zusammentun, Briefe schicken, Petitionen schreiben“, sagt Runge. „Es ist nicht nur etwas Privates, Kinder zu bekommen. Das geht auch den Gesetzgeber und die Arbeitgeber etwas an. “


Wie sehr sie die Lage in der Zwickmühle schlaucht, haben uns fünf Mütter erzählt:

„Wir zerreißen uns hier. Wir sind wahnsinnig angespannt. Die Nerven liegen blank“

Wir Eltern sind sehr frustriert und sehr fertig. Der Status quo in Kölner Kindertagesstätten ist schon lange nicht mehr tragbar. Erst Corona, dann Fachkräftemangel und Krankheitswelle, jetzt Streik. Unser Sohn ist im Schnitt drei von fünf Tagen in der Woche im Kindergarten. Dabei müssen mein Mann und ich arbeiten. Wenn wir das nicht tun können, haben wir Verdienstausfälle. Die Kosten für meine Praxis zum Beispiel und natürlich auch für unsere Familie laufen aber ja weiter. Im Moment tanzt hier unser Fünfjähriger um mich herum. Gleich muss mein Mann ihn im Homeoffice betreuen, weil ich in die Praxis muss. Wir zerreißen uns hier. Wir sind wahnsinnig angespannt. Die Nerven liegen blank. Unser Sohn ist total unterfordert, der will sich mit Gleichaltrigen beschäftigen. Aber in der Kita ziehen die einfach ihren Stiefel durch. Zusätzlich zum Streik gab es gestern auch noch einen Konzeptionstag.

Annika Steinforth ist Heilpraktikerin. Die Mutter von vier Kindern ist vom Kita-Streik betroffen.

Annika Steinforth hat sich früher im Elternrat engagiert. Seit zehn Jahren erlebt sie mit ihren Kindern die Mangelsituation in den Kitas. „Ich habe aber nie etwas erreicht.“

Früher war ich motiviert. Natürlich sind vier Kinder eine Menge Arbeit. Aber ich habe ein privates Schichtsystem mit meinem Mann organisiert, jeder hat zwei lange Tage zum Arbeiten und holt zweimal in der Woche nachmittags die Kinder. Ich habe einen Betreuungsplatz gebucht, auf den ich mich absolut verlassen habe. Die Enttäuschung, dass diese Sicherheit gar nicht da ist, mindert mein Vertrauen. Ich war jahrelang im Elternrat der Kita engagiert, weil ich etwas verbessern wollte.

Für die Erzieherinnen und für die Eltern. Aber ich habe nie etwas erreichen können. Auch ein Brief an unsere Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat nur eine vertröstende Antwort eingebracht. Wir fühlen uns ohnmächtig. Wir leiden und müssen das hinnehmen. Wir haben sogar schon überlegt, unseren Sohn vorzeitig einzuschulen. Einfach, um diese schreckliche Kita-Zeit hinter uns zu haben. In der Schule läuft es zumindest bei unseren Töchtern viel besser.

Grundsätzlich hatte ich am Anfang für die Situation der Erzieherinnen Verständnis. Aber langsam bröckelt das. Ich finde die Forderungen von zehn Prozent mehr Lohn unrealistisch. Außerdem habe ich kein Verständnis, dass man in dieser angespannten Lage dann auch noch Konzeptionstage abhalten muss. Uns Eltern wir viel zu viel abverlangt. Und es wird uns so schwer gemacht. Wir haben während der Pandemie Federn gelassen. Der Unmut wächst, ganz einfach, weil uns die Zunge in den Kniekehlen hängt.

Annika Steinforth, 41, Heilpraktikerin aus Köln, Mutter von vier Kindern (5, 7, 9 und 12)


„Der Staat ruht sich darauf aus, dass alle Eltern schon mitmachen werden. Dass sie irgendwie funktionieren“

Für mich ist der Streik als Grundschullehrerin organisatorisch eine sehr große Herausforderung. Ich kann als Lehrerin nicht einmal Urlaub nehmen. Die Schüler lassen sich auch nicht verschieben. Wenn ich nicht komme, fällt Unterricht für diese Kinder aus. Krankmelden ist für mich keine Alternative, das wäre auch gelogen. Und meine Tochter mit in die Schule nehmen, kann ich eigentlich auch nicht.

Mein Mann ist selbständiger Mediziner in eigener Praxis, der ist auch wenig flexibel. In unserer Kita wird zwar immer eine Notbetreuung in Aussicht gestellt. Stattgefunden hat die dann aber doch kein einziges Mal. Ich behelfe mir gerade mit einem privaten Elternnetzwerk. Zuletzt habe ich die Oma eingespannt, die hat Frieda an der Grundschule in Düren abgeholt. Aber die ist 77 Jahre alt und hat vier Enkel. Die kann ich auch nicht immer einspannen, das würde sie überfordern.

Grundsätzlich habe ich Verständnis für die Erzieherinnen. Ich halte aber den Weg für falsch. Der Staat ruht sich darauf aus, dass alle Eltern schon mitmachen werden. Dass sie irgendwie funktionieren. Da fragt sich niemand, ob wir klarkommen. Die Eltern sind nach Pandemie und früheren Schließungen wegen Fachkräftemangel eh am Limit. Wenigstens eine Notbetreuung mit Arbeitgeberbescheinigung wäre da wirklich angebracht.

Wenn der Streik schon sein muss, dann muss er jetzt endlich auch eine Verbesserung für uns Eltern bringen. Die Betreuung muss zuverlässig sein. Personell gut ausgestattet. Außerdem muss sie zu meinen Arbeitszeiten passen. Wenn ich aus Personalmangel mein Kind künftig nur noch von acht bis drei bringen kann, dann nützt mir das als Lehrerin nichts. Um acht muss ich schließlich schon im Klassenzimmer sitzen.

Anne, 45, Grundschullehrerin aus Köln, zwei Kinder (4 und 7)


„Man ist hilflos und wütend, und es gibt keinen Kanal oder Anlaufstelle, an der man seine Wut loswird“

Wir spielen das Spiel jetzt seit zehn Jahren mit. Zwischen September und April gibt es im Kindergarten jedes Jahr Betreuungsprobleme. Sei es Personalmangel, Corona, Streik, Studientage oder Wasserschäden. Letztes Jahr hatten wir bereits im März 20 Tage ohne Betreuung angesammelt, zusätzlich zu den halb betreuten Tagen. Wenn jemand krank ist, dann stehen wir morgens um acht vor der Kita, weil teilweise nur die ersten Kinder noch aufgenommen werden. First come, first serve. Können Sie sich vorstellen, wie unangenehm das ist? Ist man höflich und lässt anderen den Vortritt, gerät man selbst in die Bredouille. Die anderen müssen wieder gehen.

Sabine Terwelp, Mutter, trägt eine weiße Bluse und ein schwarzes Jackett.

Sabine Terwelp ist Mutter von drei Kindern und arbeitet als Coach. Sie sagt: Ich bin so froh, wenn unsere Jüngste im Sommer den Kindergarten verlässt und in die Schule kommt.“

Ich hatte sogar schon mal die Situation, da durfte ein Kind rein, das Geschwisterkind sollte ich wieder mitnehmen. Das finde ich unmöglich. Mal ganz davon abgesehen, dass ich als Mutter ein Problem mit meiner Arbeit habe: Was vermitteln wir damit den Kindern? Dass sie nirgends gewollt werden? In der Kita nicht und bei den Eltern auch nicht, die dann genervt Job und Kind unter einen Hut bringen müssen?

Und auch unter den Eltern sorgt das für Unmut. Wir haben irgendwann Excel-Tabellen unter den Eltern angelegt: Welches Kind darf wann in die Kita? Welche Elternteile sind wann dran, ein paar andere Kinder mitzubetreuen? Damit es halbwegs gerecht ist und wir uns auf dem Spielplatz weiter in die Augen sehen können. Und auch in den Ehen sorgt es für Konflikte, wenn man schon morgens feilschen muss, wer denn jetzt die wichtigeren Termine hat und wer beim Kind zu Hause bleibt. Ich bin so froh, wenn unsere Jüngste im Sommer den Kindergarten verlässt und in die Schule kommt.

Mein Arbeitgeber ist Gott sei Dank sehr familienfreundlich. Ich kann komplett remote arbeiten und alle haben Verständnis. Dennoch ist es Arbeit und ich muss trotz allem geistig auch dort anwesend sein. Die Konsequenz ist, dass meine Kinder viel mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen, als ich eigentlich möchte. Aber was soll ich während der Calls sonst mit ihnen machen? Und was sollen die Menschen in Pflegeberufen machen? Die im Einzelhandel, in den Schulen? Ihre Kinder am Rathaus abgeben?

Ich habe für die einzelnen Erzieherinnen Verständnis. Für das System und das jahrelange Missmanagement dahinter habe ich keines. Denn sowohl Eltern als auch Erzieherinnen müssen ausbaden, was falsch läuft. Ich wünsche mir eine zuverlässige Betreuung. So wie es mir vertraglich zugesichert wurde. Ich mache wie viele Mütter und Väter Karriereabstriche, um das mit den Betreuungszeiten überhaupt hinzukriegen. Ferienschließzeiten und Krankheiten der Kinder müssen wir Eltern ja auch einkalkulieren. Aber die vereinbarte Zeit möchte ich dann auch in Anspruch nehmen dürfen. Die Stadt sollte das meines Erachtens gewährleisten.

Jedes Jahr streiken die Erzieherinnen wieder. Vor einigen Jahren war die Kita mal sechseinhalb Wochen dicht. Wir Eltern haben das schon mehrfach bis zur Oberbürgermeisterin hochskaliert. Aber es passiert nichts. Sie schrieb lediglich zurück und fragte, ob ich nicht einen Vorschlag zur Verbesserung hätte. Da bin ich dann schon sprachlos. Man ist hilflos und wütend und es gibt keinen Kanal oder Anlaufstelle, an der man seine Wut loswird. Alle reden sich raus oder sind ebenso machtlos und nicht zuständig.

Sabine Terwelp, 43, Agil Coach, Mutter von drei Kindern (5, 7 und 12)


„In der derzeitigen Situation müsste ich bei einem zweiten Kind meinen Job im Einzelhandel an den Nagel hängen“

Ich finde, viele Menschen sollten besser bezahlt werden. Auch Erzieherinnen. Natürlich wollen wir, dass die motiviert sind, wir vertrauen ihnen jeden Tag unser Wertvollstes, unsere Kinder an. Niemand sollte aus den letzten Löchern pfeifen. Aber ehrlich gesagt halte ich die Forderungen mittlerweile für überzogen. Mein Arbeitgeber würde mich auslachen, wenn ich ihm sagen würde, dass ich gern zehn Prozent mehr Lohn hätte. Und mich bringt dieser Streik und generell der Betreuungsengpass in eine extrem schwierige Lage.

Ich bin Storemanagerin in einem Modeladen und der Arbeitgeber ist zwar in jeder anderen Hinsicht total toll. Aber Kinder sind da komplett Privatsache. Da heißt es dann: Du musst das irgendwie so organisieren, dass es geht. Hart ausgedrückt, „das ist nicht unser Problem“. In den Laden mitbringen kann ich meine Tochter aus versicherungstechnischen Gründen auch nicht.

Ich kann aber auch nicht dauernd Urlaub nehmen für den Streik. Es ist für mich ohnehin schon schwierig, die Ferienzeiten und die Krankheitstage des Kindes abzudecken. Wenn die Kita streikt, muss ich mich also krank lügen. Das ist mir sehr unangenehm. Ich werde dadurch gezwungen, meinen Arbeitgeber anzulügen. Eigentlich will ich das nicht. Sonst habe ich zu meinem Arbeitgeber nämlich ein perfektes Verhältnis. Und das ist ja auch nötig im Einzelhandel, wo Vertrauen und Ehrlichkeit absolut zentral sind.

Meine Eltern habe ich jetzt auch schon mal eingespannt. Aber die wohnen eine Stunde Autofahrt entfernt. Und haben noch andere Enkelkinder. Das kann ich denen auch nicht häufiger zumuten. Ich bin sehr selbstständig erzogen worden und möchte mein Leben auch in solchen Situationen selbst im Griff haben können.

Früher war meine Tochter in einer Nachmittags-Kita, da haben wir sie um eins gebracht und um kurz vor sieben wieder abgeholt. Das war für unser Familienleben ideal. Aber das Konzept wird in ihrer Altersklasse nicht mehr angeboten . Mein Mann und ich haben auch schon über ein zweites Kind nachgedacht. Und das Ergebnis war: In der derzeitigen Situation, müsste ich bei einem zweiten Kind meine leitende Funktion im Einzelhandel an den Nagel hängen. Das würde einfach gar nicht mehr funktionieren mit den Arbeitszeiten hier und den Betreuungszeiten da.

Schon jetzt arbeite ich an zwei Samstagen im Monat, damit ich auf meine Stunden komme. Dabei liebe ich meinen Job sehr. Aber für mich ist klar, dass das mit der schlechten Betreuungssituation dann nicht mehr funktionieren kann. Für den Einzelhandel ist die Betreuungssituation eine Zumutung Ich muss mich also entscheiden. Und das ist doch eigentlich traurig, oder?

Petra, Name geändert, 38, Leitende Angestellte in einem Modegeschäft, ein Kind (4)


„Irgendjemand muss doch da jetzt mal auf den Tisch hauen und sagen: So geht das nicht!“

Ich unterstütze die Forderung der Erzieherinnen zu hundert Prozent. Ich nehme es in Kauf zugunsten einer Verbesserung für die Eltern in der Zukunft. Aber klar, für mich ist das schon eine Belastung, dass die Betreuung dauernd ausfällt. Ich bin im Alltag mit meiner Tochter alleine, muss also meinen Job und das Kind unter einen Hut bekommen. Letztens hab ich mal meine Mutter um Hilfe gebeten, aber die wohnt in Bremen, das geht also auf Dauer auch nicht.

Mein Arbeitgeber lässt mir zwar viele Freiheiten und ich kann meine Calls flexibel einplanen. Aber die Arbeit muss dennoch gemacht werden. Und das bedeutet, dass ich abends ab acht, wenn meine Tochter schläft, nacharbeiten muss. Danach gehe ich dann direkt ins Bett. Das schlaucht natürlich. Und ist ein organisatorischer Kraftakt.

Ich wünsche mir von der Politik eine schnelle und durchgreifende Reaktion. Irgendjemand muss doch da jetzt mal auf den Tisch hauen und sagen: So geht das nicht! Wir brauchen keine Signale mehr. Wir brauchen Handlungen! Vielleicht kann man über ausländische Fachkräfte nachdenken. Oder zur Ergänzung über eine Art Freiwilligendienst für junge Leute aus dem Ausland. Oder man holt sich Unterstützung über Freiwillige vor Ort. Oma-und-Opa-Lesestunden von Senioren, die Lust haben, sich zu engagieren, zum Beispiel. Da muss man dann halt mal kreativ werden.

Jedenfalls brauchen Eltern und Erzieherinnen und Erzieher mal einen Puffer. Sowohl zeitlich als auch personell. Es kann nicht sein, dass die ganze Gruppe wackelt, wenn mal eine Kraft ausfällt. Und auch was die Öffnungszeiten angeht, ist das auch alles viel zu knapp bemessen. Für Eltern ist das ein permanentes Gehetze zwischen Job und Kita. Für einen selbst bleibt da keine Minute Zeit.

Meike Neitz, 38, Senior Managerin, ein Kind (4)