Der Vorsitzende der NRW-SPD, Thomas Kutschaty, ist zurückgetreten. Parteiintern fragt man sich: Hat er es mit seinem dilettantischen Verhalten auf ein Aus angelegt?
Vorsitzender der NRW-SPDRücktritt von Thomas Kutschaty: Ein Knall mit Ansage
Die Einladung zur Telefonkonferenz kam kurzfristig. Als der Chef der NRW-SPD die Mitglieder des Landesvorstands am Donnerstag zu einer Schalte zusammenrief, war den meisten klar, was das bedeuten würde. Um 11.30 Uhr verkündete Thomas Kutschaty den Spitzengenossen in einer dreiminütigen Erklärung seinen Rücktritt. „Ihm blieb nichts anderes übrig“, kommentiert ein Weggefährte. „Im Prinzip war die Messe für Thomas schon am Mittwoch gelesen.“
Am Morgen des Vortags hatte Kutschaty die Regionalvorsitzenden zu einer Videokonferenz einbestellt. Thema sollte der Leitantrag des Parteivorstands für den Landesparteitag am 6. Mai in Bochum sein. Doch als der Termin begann, sahen sich die Teilnehmer mit einer Überraschung konfrontiert. Auf dem Bildschirm im Johannes-Rau-Haus, der Düsseldorfer Parteizentrale tauchte als Sitznachbarin von Kutschaty die Bonner SPD-Politikerin Magdalena Möhlenkamp auf.
Thomas Kutschaty hatte Wunschkandidatin für das Amt der Generalsekretärin vorgestellt
Kutschaty erklärte der verdutzten Runde, die Juristin sei seine Wunschkandidatin für das Amt der Generalsekretärin. Nachdem Möhlenkamp sich selbst vorgestellt hatte, meldeten sich die Regionalvertrerter zu Wort. André Stinka, der für die mächtige SPD-Region Westliches Westfalen (WW) an der Konferenz teilnahm, machte seiner Verärgerung Luft. Seine Kritik richtete sich allerdings weniger gegen die Kandidatin – sondern zielte auf die Vorgehensweise von Kutschaty.
Denn: Der Parteichef hatte seinen Vorschlag im Vorfeld nicht mit den Parteigliederungen abgestimmt. Politische Alleingänge solcher Art können sich Vorsitzende erfahrungsgemäß nur dann leisten, wenn sie fest im Sattel sitzen. Kutschaty hatte allerdings in den letzten Monaten immer mehr Unterstützer verloren. „Durch seine Beratungsresistenz verprellt der Thomas selbst diejenigen, die es gut mit ihm meinen“, klagte eine Weggefährtin schon vor Wochen.
Kutschaty kassierte offenbar eine Absage nach der anderen
Im Führungszirkel der SPD hatte man angenommen, Kutschaty werde als künftige Generalsekretärin aus Paritätsgründen eine Politikerin aus der Region WW vorschlagen. Tatsächlich bemühte sich der Politiker aus Essen darum, dort eine Bewerberin zu finden. Dabei kassierte er aber offenbar eine Absage nach der anderen. „Das lag wohl daran, dass nur wenige daran glaubten, dass Thomas noch eine große Zukunft in der Partei haben würde“, berichtet ein Insider. Zudem hätten die Frauen untereinander mitbekommen, dass der Parteichef mehrgleisig unterwegs war.
Im Westlichen Westfalen soll es überdies nicht gut angekommen sein, wie sich Kutschaty im Gespräch mit den potenziellen Hoffnungsträgerinnen über die bisherige Generalsekretärin Nadja Lüders eingelassen haben soll. Die Politikerin aus Dortmund hatte einen großen Teil der Verantwortung für die herbe Wahlniederlage im Mai 2022 übernommen. Kutschaty habe das „ganz lässig“ dafür genutzt, von seinem Beitrag an der Schlappe abzulenken. Mit dem Spitzenkandidaten aus Essen hatte die NRW-SPD nur 26,7 Prozent erzielt, das schlechteste Ergebnis aller Zeiten für die Sozialdemokraten bei einer Landtagswahl in NRW.
Die vergeblich Suche nach einer Generalsekretärin geriet für Kutschaty zum Fiasko. Erst kurz vor dem Ende der Vorschlagsfirst gelang es ihm, Möhlenkamp für eine Zusage zu gewinnen. Die ist allerdings – obwohl Mitglied im Landesvorstand – auch in der SPD weitgehend unbekannt. „Magdalena wer?“, fragte sich auch in der Landtagsfraktion so mancher.
Teilnehmer: „Allen war klar: So geht es jetzt nicht mehr weiter.“
Der Widerstand der Regionen war der Anfang vom politischen Ende von Kutschaty. Als im Anschluss auch das Präsidium seine Zustimmung verweigerte, war die Niederlage perfekt. „Der erneute Alleingang hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, berichtet ein Teilnehmer. „Allen war klar: So geht es jetzt nicht mehr weiter.“
Der Aufstand gegen Kutschaty sei keine plötzliche Eruption gewesen, heißt es. „Das war eher ein Ermüdungsbruch. Thomas hatte seinen Vertrauensvorschuss endgültig aufgebraucht. Viele habe versucht, ihm zu helfen. Aber er hat nicht reagiert – und sich damit selbst in eine ausweglose Lage gebracht.“
Kutschaty hatte der Parteivorsitz 2021 von seinem Vorgänger Sebastian Hartmann übernommen und dabei durchaus mit harten Bandagen gekämpft. Sein Machtinstinkt hatte ihm schon 2018 dabei geholfen, den Fraktionsvorsitz im Landtag zu übernehmen. Damals setzte er sich in einer Kampfkandidatur gegen Fraktionsgeschäftsführer Marc Herter durch. Der ist heute Oberbürgermeister von Hamm – und Chef der Region Westliches Westfalen. Die Rivalität von einst trug mit dazu bei, dass eine stabile Achse zwischen Kutschaty und dem Vorsitzenden der wichtigsten Region nicht zustande kam. Ein fataler Schwachpunkt.
„Man könnte fast denken, er hätte es darauf angelegt, dass es zum Knall kommt“
Unklar ist, wieso Kutschaty mit seinem Alleingang ein so hohes Risiko eingegangen ist. „Als Strippenzieher, der den Laden seit der Juso-Zeit kennt, hätte er doch wissen müssen, dass er seinen Vorschlag hätte rückkoppeln müssen“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands. „Man könnte fast denken, er hätte es mit seiner dilettantischen Vorbereitung darauf angelegt, dass es zum Knall kommt.“
Merkwürdig ist jedenfalls, wie Kutschaty sich in den vergangenen Tagen verhalten haben soll. Angeblich hat der Landesvorstand mehrfach versucht, Kontakt mit dem Vorsitzenden aufzunehmen. Man habe das Gefühl, Kutschaty habe sich von seinem Büro verleugnen lassen. Ein Treffen sei „aus terminlichen Gründen“ nicht möglich gewesen, heißt es. Kutschaty habe eine Absprache „quasi verweigert“.
Am Freitag will sich der Landesvorstand in Dortmund treffen, um über die neue Situation zu beraten. Dabei soll es aber nicht darum gehen, Kandidatinnen oder Kandidaten für die Nachfolge zu benennen. Es gilt als wahrscheinlich, dass sich auch für die Landtagsfraktion, die Kutschaty noch anführt, zeitnah eine neue Spitze finden muss. Die Organisation des Treffens liegt in den Händen der Westlichen Westfalen - eine Genugtuung für diejenigen in der Region, die der Meinung waren, Kutschaty habe ihnen das Zepter aus der Hand gerissen.
Auch Michelle Müntefering, die ihren Bundestagkreis in Herne hat, stammt aus „WW“. Die Frau des früheren Vize-Kanzlers Franz Müntefering genießt in der Partei große Sympathie. Sie plädierte für eine Doppelspitze, will von einer eigenen Kandidatur für den Parteivorsitz aber nichts wissen. „Vielleicht wartet sie darauf, dass sie lieb gefragt wird“, sagt ein Unterbezirksvorsitzender. „Wir sind jetzt in einer Lage, in der alles möglich ist.“