Rhein-Sieg-Kreis – Herr Hartmann, wie haben Sie die Ereignisse in Washington erlebt?
Sebastian Hartmann: Ich hatte wegen der Senatsstichwahlen in Georgia und der formalen Bestätigung des Wahlsieges von Joe Biden durch den Kongress ferngesehen. Als ich dann die Bilder vom Sturm auf das Kapitol gesehen habe, war ich schockiert, aber ehrlich gesagt nicht überrascht. Was da passiert, ist die letzte Stufe einer Eskalation, die Donald Trump seit vier Jahren systematisch betreibt. Jetzt hat er auch noch den Grundkonsens verletzt, wonach der geregelte Übergang von einer Regierung zur nächsten eines der wichtigsten Merkmale der Demokratie ist.
Welche Erwartung haben Sie für die noch verbleibende Zeit bis zum Amtsantritt Joe Bidens?
Ich hatte bislang noch keine Gelegenheit, mich mit US-Parlamentariern auszutauschen. Aber nach Gesprächen, die ich am Mittwoch und Donnerstag in meinem deutsch-amerikanische Netzwerk geführt habe, bin ich sehr pessimistisch, dass sich die Lage beruhigt. Die spannende Frage ist, ob sich die Republikaner, die sich ja selbst in den vergangenen Jahre schrittweise radikalisiert haben, von Trump lösen werden.
Zur Person
Einen besonderen Blick auf die politischen Entwicklungen in den USA hat Sebastian Hartmann (43). Der in Bornheim-Sechtem aufgewachsene SPD-Politiker gehört dem Bundestag seit der Wahl 2013 an. Er ist seit Juni 2018 Vorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen. Seit 2005 führt er die SPD im Rhein-Sieg-Kreis. Hartmann ist Mitglied der deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe.
Halten Sie eine Entwicklung wie in den USA auch bei uns für möglich? Immerhin wollten kürzlich Rechtsextremisten und sogenannte Querdenker ja auch in den Bundestag eindringen.
Ja, ich halte eine Eskalation auch bei uns für möglich, auch wenn ich jetzt keine Furcht verbreiten will. Auch hier gibt es schon länger Kräfte, die Fake News verbreiten und gezielt Zweifel an unserem politischen System säen. Demokratie ist auch bei uns nicht selbstverständlich. Sie ist die einzige Staatsform, die man immer wieder erlernen muss.
Was können Sie als Politiker dazu beitragen?
Wir müssen jetzt zum Beispiel in der Pandemie noch offener mit den Menschen diskutieren, wenn es Zweifel an der Richtigkeit von politischen Entscheidungen gibt, etwa an der Impfstrategie. Da ist es zum Beispiel natürlich zulässig zu fragen, warum wir jetzt nicht auch Lehrerinnen und Lehrer vorrangig impfen, wenn wir das Recht aller auf Bildung und damit auf gesellschaftlichen Aufstieg durchsetzen wollen.