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Kritik an Scholz nach Russland-Deal„Meinen Vater lässt er seit vier Jahren in einer Folterkammer verrotten“

Lesezeit 6 Minuten
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt in Köln die Freigelassenen. Nach dem Deal mit Russland wird scharfe Kritik am Kanzler von Töchtern der im Iran inhaftierten Deutschen laut.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt in Köln die Freigelassenen. Nach dem Deal mit Russland wird scharfe Kritik am Kanzler von Töchtern der im Iran inhaftierten Deutschen laut.

Zwei Deutsche sitzen in iranischer Haft, darunter eine Kölnerin. Ihre Töchter kritisieren im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Bundeskanzler.

Die Töchter der beiden im Iran inhaftierten deutschen Staatsbürger Nahid Taghavi und Jamshid Sharmahd kritisieren nach dem Gefangenenaustausch zwischen dem Westen und Russland den Bundeskanzler mit scharfen Worten. Das Vorgehen von Olaf Scholz mache für sie den Eindruck einer „selektiven Wahrnehmung“, sagte Mariam Claren, Tochter der im Iran inhaftierten Kölnerin Taghavi, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

„Der Bundeskanzler hat sich in einen solchen Deal herein gekniet, aber es bis heute nicht geschafft, sich einmal zu meiner Mutter zu äußern oder überhaupt die Freiheit von deutschen Staatsbürgern im Iran zu fordern, geschweige denn sich mit uns Familien zu treffen“, erklärte die Tochter der 69-jährigen Kölnerin, die im berüchtigten Evin-Gefängnis in der iranischen Hauptstadt Teheran inhaftiert ist.

Töchter von im Iran inhaftierten Deutschen attackieren Olaf Scholz

„Wie kann sich Scholz als Held aufspielen und von der ‚Pflicht, deutsche Bürger zu schützen‘ sprechen, wenn er nicht ein einziges Mal meinen Vater erwähnt hat?“, erklärt auch Gazelle Sharmahd in einer Stellungnahme. Scholz stelle sich nun als Retter dar, lasse ihren Vater aber gleichzeitig seit vier Jahren „in einer Folterkammer verrotten, wo ihm die Hinrichtung droht“, kritisierte die Tochter.

Das Vorgehen der Bundesregierung werfe Fragen auf: „Werden Biden und Scholz meinen Vater wie Alexej Nawalny auf grausame Weise im Gefängnis sterben lassen, bevor sie andere nach Hause bringen, um seine Ermordung durch Geiselretter-Heldenbilder zu vertuschen?“

Tochter von Nahid Taghavi kritisiert Kanzler Scholz: „Da muss ich lachen“

Dass Scholz eine „Schutzpflicht gegenüber deutschen Staatsangehörigen“ als Grund für seine Entscheidung genannt hat, kritisierte auch Mariam Claren deutlich. „Da muss ich lachen, weil dieser Schutzpflicht wird er ja in keinster Weise im Fall Iran gerecht", sagte die Tochter von Nahid Taghavi.

Die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi mit Fußfessel nach ihrer vorübergehenden Freilassung aus dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran am 9. Januar.

Die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi mit Fußfessel nach ihrer vorübergehenden Freilassung aus dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran am 9. Januar.

Angesichts des für sie „extrem überraschenden“ Deals zwischen Moskau und dem Westen fordert Claren nun auch im Fall ihrer Mutter und anderer im Iran inhaftierter deutscher Staatsbürger ein ähnliches Vorgehen der Bundesregierung. „Meine Mutter wird am 28. August 70 Jahre alt und meine Erwartung ist ganz klar, dass sie ihren 70. Geburtstag nicht in einem Gefängnis verbringen muss“, sagte Claren. „Alles andere verzeihe ich nicht.“

Kölnerin Nahid Taghavi seit 2020 im Iran inhaftiert

Ihre Mutter, die Kölner Architektin Taghavi, war im Oktober 2020 bei einem Familienbesuch im Iran festgenommen und nach mehr als 1000 Stunden Verhör ohne rechtlichen Beistand und siebenmonatiger Isolationshaft zu mehr als zehn Jahren Haft verurteilt worden. Inhaftierung und Prozess waren von Verfahrensfehlern und Verletzungen der Menschenrechte geprägt. Taghavi war während ihrer Haft „weißer Folter“ ausgesetzt und entwickelte im Gefängnis zahlreiche gesundheitliche Probleme.

Tochter über Nahid Taghavi: „Ihr Gesundheitszustand ist wirklich besorgniserregend“

Zuletzt war die Kölnerin im Januar 2024 kurzzeitig mit einer elektronischen Fußfessel in den Hafturlaub entlassen worden. Ende Februar musste Taghavi schließlich erneut ins Evin-Gefängnis zurückkehren.

Mariam Claren gründete nach der Inhaftierung ihrer Mutter Nahid Taghavi die #FreeNahid-Kampagne und ist seither Aktivistin und Speakerin.

Mariam Claren gründete nach der Inhaftierung ihrer Mutter Nahid Taghavi die #FreeNahid-Kampagne und ist seither Aktivistin und Speakerin.

Letztmals Kontakt zu ihrer Mutter habe sie am Mittwoch gehabt, sagte Claren im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Gesundheitlich befinde sich ihre Mutter in einem „Teufelskreis“, führte die Tochter aus. Nach wie vor leide die 69-Jährige unter mehreren Erkrankungen, darunter mehrere Bandscheibenvorfälle und ein Karpaltunnelsyndrom in der Schulter.

„Willkürliche“ Behandlungen im Teheraner Evin-Gefängnis

Aufgrund „total willkürlicher“ und hoch dosierter Kortisonbehandlungen im Gefängnis sei Taghavis Immunsystem zudem mittlerweile so weit „heruntergefahren“, dass ihre Mutter ständig neue Krankheiten bekomme, erklärte Claren. In der Folge dieser Immunschwäche sei die 69-Jährige derzeit bereits zum zweiten Mal an Augenherpes erkrankt, ihr Sehvermögen sei dadurch stark eingeschränkt. „Ihr Gesundheitszustand ist wirklich besorgniserregend.“

Dennoch hat Taghavi am vergangenen Dienstag an einem Hungerstreik teilgenommen, der als Teil einer Protestkampagne bereits seit mehreren Monaten von Gefangenen im Iran jeden Dienstag abgehalten wird. In dieser Woche hätten sich auch Frauen im Evin-Gefängnis erstmals daran beteiligt, erklärte Claren.

Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd im Iran zum Tode verurteilt

Auch Jamshid Sharmahd befindet sich seit vier Jahren im Iran in Haft, auch er wurde in einem Scheinprozess verurteilt. Die Festnahme des Deutsch-Iraners jährte sich am Tag des Gefangenenaustauschs mit Russland zum vierten Mal.

Der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd in einem Teheraner Revolutionsgericht. Sharmahd ist einem Scheinprozess zum Tode verurteilt worden.

Der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd in einem Teheraner Revolutionsgericht. Sharmahd ist einem Scheinprozess zum Tode verurteilt worden.

„Die gestrige Freilassung hat gezeigt, wie es durch die Zusammenarbeit von Deutschland und den USA gelungen ist, das Todesurteil gegen die deutsche Geisel Rico K. aufzuheben und ihn zusammen mit vielen Journalisten und Putin-Kritikern in seine Heimat zurückzubringen“, sagt Sharmahd, die seit der Inhaftierung ihres Vaters eine internationale Taskforce zur Befreiung politischer Geiseln fordert.

Kritik an Biden und Harris: „Geiseln als Trophäen missbraucht“

Der Deal mit Russland zeige aber auch, „wie die Geiseln als Trophäen für politische Kampagnen missbraucht werden“, kritisierte Sharmahd, die auch US-Präsident Joe Biden und US-Vizepräsidenten Kamala Harris für ihre Fotos mit den Freigelassenen attackierte. „Geiseln sind keine Trophäen, die im Fernsehen vorgeführt werden“, die Rückkehrer seien auch nicht dafür da, Stimmen im Wahlkampf zu liefern. „Das ist kein Wettkampfsport.“

Gazelle Sharmahd ist die Tochter des im Iran zum Tode verurteilten Jamshid Sharmahd.

Gazelle Sharmahd ist die Tochter des im Iran zum Tode verurteilten Jamshid Sharmahd.

Das Schweigen von Scholz und Biden im Fall ihres Vaters zeige zudem, dass „Geiseldiplomatie nicht nur von Autokraten, sondern auch von unseren demokratischen Politikern als Instrument eingesetzt wird“, führte sie aus.

Gazelle Sharmahd fordert globale Task-Force

Sharmahd hat sich, wie auch die Kölnerin Claren, in der Vergangenheit immer wieder für die Freilassung ihres Vaters eingesetzt, der im Iran im Frühjahr 2023 zum Tode verurteilt worden war. Seitdem müssen Sharmahd und seine Angehörigen jederzeit mit der Vollstreckung des Urteils rechnen.

Seit der Inhaftierung ihres Vaters fordert Sharmahd „eine globale Task-Force, um alle Geiseln zu befreien, die von sogenannten staatlichen Akteuren festgehalten werden“, besonders im Fokus stehen müssten dabei Dissidenten und Menschen in Todeszellen. In den letzten Jahren habe man genug „grausame Abkommen, die Geiselnahmen lukrativer machten“ erlebt, die „schwächsten Geiseln“ seien dabei jedoch stets zurückgeblieben.

„Mein Vater ist in Lebensgefahr“

Ihr Vater befinde sich weiter in Lebensgefahr, hatte Sharmahd bereits Anfang Juni im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt. Jeden Tag müsse sie mit seiner Hinrichtung rechnen, führte die Tochter, die in den USA lebt, aus.

Dass das Regime in Teheran ähnlich wie Kremlchef Wladimir Putin Gefangene als Druckmittel und somit als Geisel betrachte, sei offensichtlich, erklärte Sharmahd. „Das islamische Regime war mit seiner Geisel-Taktik bislang schon oft erfolgreich – mal haben sie viel Geld bekommen, mal Terroristen im Austausch für unschuldige Menschen.“

Iran nutzt Gefangene als Geiseln – genau wie Putin

Geisel-Diplomatie habe sie immer abgelehnt, erklärte Gazelle Sharmahd zudem im Juni. In Fällen wie dem ihres Vaters könne ein Deal aber „vielleicht das letzte Mittel“ sein, fügte sie an. Das Auswärtige Amt hat in der Vergangenheit stets versichert, sich für die vom Regime in Teheran inhaftierten Deutschen einzusetzen. Bisher – anders als nun in Russland – offenbar ohne Erfolg.

Bei den Angehörigen der im Iran inhaftierten Deutschen hinterlassen die letzten Tage auch deshalb ihre Wirkung: „Ist das eine Botschaft an meine Familie?“, fragt Gazelle Sharmahd.

Der Artikel wurde nach der Stellungnahme von Gazelle Sharmahd überarbeitet.