Gazelle Sharmahd, Tochter des verurteilten Deutschen Jamshid Sharmahd, ist enttäuscht von der Bundesregierung.
Deutscher im Iran zum Tode verurteilt„Mein Vater ist in Lebensgefahr“ – Teheran mit Milliarden-Forderung
Ein holzvertäfelter Keller eines Einfamilienhauses in Los Angeles, das Bild ist etwas wackelig. Gazelle Sharmahd, Tochter des im Iran zum Tode verurteilten Deutsch-Amerikaners Jamshid Sharmahd, zündet sich eine Zigarette an, bevor sie anfängt zu erzählen. „Meine Work-Life-Balance ist nicht die beste“, sagt sie und lacht. „Vielleicht ist das so, wenn Du jeden Tag damit rechnen musst, dass Dein Vater, der seit bald vier Jahren unschuldig im Gefängnis sitzt, hingerichtet wird.“
Todesstrafe für Jamshid Sharmahd: Forderung in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar an die US-Regierung
Gazelle Sharmahd kommt schnell zum Punkt: Dass die Hinrichtung ihres Vaters vollzogen werde, sei nicht unwahrscheinlich – auch, weil am Samstag, 11. Mai, ein 60-tägiges Ultimatum abgelaufen ist. Am 11. März hatte das islamistische Regime im iranischen Staatsfernsehen von der US-Regierung und Jamshid Sharmahd rund 2,5 Milliarden Dollar Entschädigung als angeblichen Schadensersatz verlangt für einen „vom Regime erfundenen Anschlag, den mein Vater vorgeblich verursacht haben soll. Das islamische Regime war mit seiner Geisel-Taktik bislang schon oft erfolgreich – mal haben sie viel Geld bekommen, mal Terroristen im Austausch für unschuldige Menschen“.
Sie habe Geisel-Diplomatie immer abgelehnt, sagt Gazelle Sharmahd, „auch wenn sie in Fällen wie jenem meines Vaters vielleicht das letzte Mittel ist.“ Dass in Deutschland kein Medium über das Ultimatum und die Milliarden-Forderung geschrieben habe, „macht mich fassungslos“, sagt sie. Auch die politische Dimension des Falles ihres Vaters, der im Iran als wichtiger Staatsfeind gilt, hätten viele nicht erfasst. „Wir fühlen uns im Stich gelassen.“
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Gazelle Sharmahd redet schnell. Sie wirkt getrieben. Im Vergleich zu vielen anderen Aktivistinnen und Aktivsten, die sich für ihre inhaftierten Verwandten einsetzen, wägt sie nicht jedes Wort ab, das sie öffentlich sagt. Die Bundesregierung kritisiert sie fast so harsch wie das Mullah-Regime im Iran.
Am 25. Juli 2020 war Jamshid Sharmahd von Frankfurt am Main zu einer Geschäftsreise nach Dubai geflogen. Als ein Anschlussflug nach Mumbai entfiel, übernachtete er in Dubai, informierte seine Familie über seinen Aufenthaltsort – hier wurde sein Mobiltelefon offenbar getrackt. Wenig später zeigte das iranische Staatsfernsehen ein Video, auf dem der offensichtlich gefolterte Jamshid Sharmahd mit geschwollenen Wangen und zahnlosem Mund sagte, er habe einer Terrorvereinigung Explosionsmaterial für einen Anschlag zur Verfügung gestellt.
Im Februar 2023 wurde Sharmahd im Iran zum Tode verurteilt. Eine UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen, das Bundesamt für Verfassungsschutz und zahlreiche NGOs wie Amnesty International glauben, dass das Islamische Regime ihn wie zahlreiche andere Oppositionelle entführt, gefoltert und ein Geständnis erzwungen hat. Der iranische Geheimdienst hat die Entführung bestätigt.
Das Auswärtige Amt sagt auf Anfrage dieser Zeitung das, was auch Gazelle Sharmahd immer wieder zu hören bekommt: „Wir setzen uns – wie seit Anfang an – mit unverminderter Anstrengung intensiv für Herrn Sharmahd ein, hochrangig, auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen und bei jeder Gelegenheit. Wir haben der iranischen Seite sehr deutlich gemacht, dass die Vollstreckung des Todesurteils schwerwiegende Folgen hätte und tun dies weiterhin.“ Die Floskel „hochrangig einsetzen“ findet Gazelle Sharmahd fast lustig. „Was das heißt, konnte mir leider noch nie jemand sagen.“ Auf Fragen nach Lösegeld und einem Ultimatum an die US-Regierung antwortet das Auswärtige Amt nicht.
Im Herbst 2023 hat die Tochter des zum Todes Verurteilten in Washington Außenministerin Annalena Baerbock getroffen. „Ein gutes, intimes Gespräch“ sei das gewesen, sagt sie. „Es ist sehr wichtig, mit den Menschen, die wirklich etwas ändern könnten, persönlich zu sprechen.“ Bloß habe sich nichts an der Lage ihres Vaters verändert: Er sei entführt worden und seit bald 1400 Tagen in Einzelhaft. Er sei gefoltert worden, man habe ihm die Zähne ausgeschlagen. Enthalte ihm medizinische Versorgung, Zugang zu Anwälten und Verwandten vor. Niemand wisse, wo er überhaupt festgehalten werde.
Das letzte Mal habe ihre Mutter im Oktober 2023 mit ihm gesprochen, eine Woche nach dem Angriff der Hamas auf Israel. „Da konnte mein Vater kaum noch sprechen, klagte über Atem- und Herzprobleme. Meine Mutter war verzweifelt über seinen Zustand. Er ist 69, hat Parkinson, erhält keinen Zugang zu wichtiger medizinischer Versorgung. Er schwebt in akuter Lebensgefahr.“
Sie frage sich, was die Bundesregierung tue, wenn sie von ihren Anstrengungen auf allen Kanälen spreche. „Es gab ein paar Sanktiönchen. Und man betreibt weiter fleißig Handel.“ Gazelle Sharmahd findet, Deutschland müsse „alle wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen mit dem Regime im Iran abbrechen, solange unschuldigen deutschen Staatsbürgern der Tod droht“.
Als Krankenschwester konnte Gazelle Sharmahd nach der Entführung ihres Vaters nicht mehr arbeiten
Gazelle Sharmahd ist gelernte Krankenschwester. Bevor ihr Vater im Sommer 2020 auf einer Geschäftsreise in Dubai vom iranischen Geheimdienst entführt und im Iran inhaftiert wurde, hat sie auf einer Intensivstation in LA gearbeitet. „Es war eine stressige Zeit: Wir hatten Corona, im Krankenhaus war die Hölle los, jeden Tag starben dort Menschen und ich war im fünften Monat schwanger“, sagt sie.
Als sie von der Entführung ihres Vaters hörte und ihren geschundenen Vater später im iranischen Fernsehen sah, habe sie einen Nervenzusammenbruch erlitten. „In den Wochen danach habe ich auf der Station immer wieder einen Heulkrampf bekommen“, sagt sie. „Ich konnte nicht mehr für meine Patienten da sein, wie es notwendig ist. Daher habe ich aufgehört zu arbeiten.“
Längst ist die 42-Jährige, die in Deutschland aufgewachsen ist und seit 2003 mit ihrer Familie in den USA lebt, Vollzeitaktivistin. Sie spricht auf Social Media und betreibt einen Podcast, geht an Universitäten, spricht mit Medien, auf Veranstaltungen und Demonstrationen, mit der UN, vor dem Europäischen Parlament, mit Mitgliedern des Kongresses in den USA und Mitgliedern des Deutschen Bundestags. „Mit einer dreijährigen Tochter ist das ein anstrengender Vollzeitjob“, sagt sie. Dass sie in den USA viel Unterstützung aus dem islamfeindlichen Trump-Lager bekommt, nimmt sie in Kauf.
Im Iran zum Tode verurteilt: Jamshid Sharmahd gilt als Monarchist
Kraft gebe ihr die Liebe zu ihrem Vater – und das Gefühl, „nicht nur als Krankenschwester Menschen retten zu können, sondern auch als Lobbyistin für einen freien Iran etwas erreichen zu können“. Einen Großteil ihrer Zeit müsse sie indes damit verbringen, die Propaganda-Erzählungen über ihren Vater zu widerlegen. In iranischen Staatsmedien werde ihr Vater als Anführer der monarchistischen Exil-Oppositionsbewegung Tondar bezeichnet, „zwischenzeitlich sogar als Staatsfeind Nummer 1“.
In der Anklage gegen ihn sei ihm nicht nur ein Anschlag zur Last gelegt worden: „Bei 23 Anschlägen soll mein Vater mitgewirkt haben. Auf eine russische Botschaft, ein Mausoleum, auf alles Mögliche. Er sei außerdem Spion für Mossad, FBI, CIA und jüngst auch für den deutschen Nachrichtendienst BND, mit dem er aus der deutschen Botschaft heraus in Teheran Terroranschläge geplant habe. Es fehlte eigentlich nur, dass er die Titanic versenkt hat.“
Sie lacht. Zündet sich noch eine Zigarette an. „Selbst das Revolutionsgericht fand keine Belege für die Vorwürfe. Mein Vater wurde schließlich wegen Korruption auf Erden verurteilt – wie die meisten politischen Gegner. Beweise für Anschläge gab es ja nicht.“ In vielen Medien heiße es indes, ihr Vater sei wegen Terroranschlägen verurteilt worden. „Leider gelingt die Täter-Opfer-Umkehr immer wieder: Ein Terrorregime wird als normaler Staat wahrgenommen und so behandelt. Das macht mich wütend.“
Richtig sei, dass ihr Vater seit vielen Jahren als Regimegegner aktiv sei und eine oppositionelle Website, die als soziales Forum für die Menschen im Iran diente, in den USA gestaltet und betrieben habe. Auf der Seite hätten Menschen Gelegenheit gehabt, über die Situation im Iran zu sprechen. „Dadurch ist er ins Visier des Regimes gekommen.“ 2009 vereitelte der amerikanische Geheimdienst in letzter Sekunde einen geplanten Anschlag gegen Jamshid Sharmahd. „Mein Vater ist Monarchist in einem historischen Sinne“, sagt seine Tochter. „Er steht für Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie.“
Unterstützung von Trump-Anhängern, Nähe zum Schah-Regime
Für Demokratie, wenn er wie die meisten Monarchisten Anhänger vom letzten persischen Schah Mohammad Reza Pahlavi ist, der für ein autoritäres, von den USA unterstütztes Regime stand, das Oppositionelle brutal unterdrückte? „Das Khomeini-Regime bezeichnete die Regierung von Schah Mohammad Reza Pahlavi als Diktatur, während die wahre Diktatur die Islamische Republik ist. Eine Diktatur würde weder Reformen für die Zivilgesellschaft vorantreiben noch die Rechte der Frauen stärken“, sagt Gazelle Sharmahd. Im Nahen Osten gebe es „vergleichbare prowestliche Monarchien, die aktiv modernisieren, nämlich Jordanien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate“.
Tatsache ist, dass viele Gegner des Mullah-Regimes sich inzwischen eine Schah-Monarchie zurückwünschen, beispielsweise auch der zeitweilig im Kölner Exil lebende Musiker Shahin Najafi, der mit einer Fatwa belegt wurde und heute ebenfalls in den USA lebt. Auch die iranische Diaspora im Exil ist politisch gespalten. „Das Thema sollte nicht davon ablenken, dass meinem Vater großes Unrecht geschieht“, sagt Gazelle Sharmahd.
Solange ihr Vater lebe und sich in Geiselhaft befinde, werde sie für seine Rechte und seine Freiheit kämpfen, sagt die Tochter. „Ich möchte, dass die Welt nicht wegsieht, wenn Menschen wie mein Vater entführt, im Iran unschuldig weggesperrt werden und sterben.“ Dass längst sie selbst im Visier des iranischen Regimes stehe, bedroht werde und bei Aufenthalten in Deutschland Personenschutz brauche, nehme sie in Kauf.
Vielleicht werde sie eines Tages wieder auf der Intensivstation im Krankenhaus arbeiten. Manchmal wünsche sie sich ihr Leben von früher zurück. „Vorher werde ich allerdings eine Therapie brauchen.“