Mariam Clarens Mutter ist in iranischer HaftDie Revolution macht im Gefängnis keine Pause

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Mariam Claren hat schwarze Haare. Sie trägt ein schwarzes Top. Sie steht am Fenster und schaut in die Kamera.

Mariam Claren gründete nach der Inhaftierung ihrer Mutter, der Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi, die #FreeNahid-Kampagne.

Mariam Claren ist zur Vollzeitaktivistin geworden, als ihre Mutter, die deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi, vor bald vier Jahren im Iran inhaftiert wurde.

Den Frauentrakt des Evin-Gefängnisses von Teheran beschreibt Mariam Claren als Ort, an dem sich Wissen und Widerstand, Ideen, Mut und Zuversicht bündeln. „Es ist wie ein faszinierender Thinktank, in dem Frauen mit völlig verschiedenen Haltungen und Hintergründen aufeinandertreffen. Sie sind gefangen und streben doch in jeder Hinsicht nach Freiheit. Für mich ist es einer der faszinierendsten Plätze der Welt.“

Die 44-jährige Mariam Claren weiß viel über die zwei Etagen dieses Gefängnistrakts, auf denen aktuell rund 70 Frauen inhaftiert sind, sich weitgehend frei bewegen können, Diskussionsrunden zum Klimaschutz, den Weltreligionen oder zur Geschichte Europas veranstalten. Die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, die es immer wieder schafft, Botschaften aus dem Gefängnis in die Welt zu schicken, lebt dort, die Tochter von Ex-Präsident Rafsandschani, bekannte iranische Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Juristinnen und Schriftstellerinnen, Reformistinnen, Monarchistinnen, Sozialistinnen. Immer wieder dringen Nachrichten nach außen: Die Frauen klagen die Gender-Apartheid im Iran, Folter und willkürliche Verhaftungen an, sie fordern freie Wahlen und eine Abkehr vom Gottesstaat. Nicht nur Narges Mohammadi erhält dafür immer neue Haftstrafen. Allein in den vergangenen sechs Jahren wurde sie zu 13 Jahren und drei Monaten Haft, 154 Peitschenhieben und vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Kölnerin Nahid Taghavi im iranischen Gefängnis

Eine der Inhaftierten ist Mariam Clarens Mutter Nahid Taghavi. Die Kölnerin, deutsche und iranische Staatsbürgerin, ist seit dem 16. Oktober 2020 im Evin-Gefängnis inhaftiert. Wegen des politisch motivierten Standardvorwurfs, sie sei „Mitglied einer illegalen Gruppe“ und habe Propaganda gegen die Regierung betrieben, wurde sie in einem Scheinprozess zu zehn Jahren Haft verurteilt. Zweimal hat sie seitdem Hafturlaub bekommen, weil sie gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist. Die 69-Jährige hatte mehrere schwere Bandscheibenvorfälle, sie leidet unter Diabetes, Bluthochdruck und unter den Folgen einer schweren Augenherpes-Infektion. Zweimal musste sie zurück ins Gefängnis. Im Frauentrakt verantwortet sie die Bücherei. Fast jedes der 2000 Bücher habe sie inzwischen gelesen, sagt ihre Tochter.

Nahid Taghavi trägt ein hellblaues Kopftuch mit gelben Mustern. Im Hintergrund eine Treppe aus groben Steinen, die zum Gefängnis führt.

Nahid Taghavi vor dem Evin-Gefängnis

Nahid Taghavi ist einer der engsten Freundinnen von Narges Mohammadi. Mariam Claren war deswegen Teil einer kleinen Delegation aus dem engsten Familien- und Freundeskreis, der den Preis im vergangenen Jahr in Oslo in Empfang nahm. Am gleichen Tag habe das iranische Staatsfernsehen eine Dokumentation über vermeintliche Kriegsverbrecher gezeigt, die den Friedensnobelpreis bekommen hätten, erinnert sich Claren. „Dem iranischen Regime war das nicht egal. Das war ein großer Tag. Narges ist seitdem eine der bekanntesten politischen Gefangenen der Welt.“

Mariam Claren schloss sich Düzen Tekkals Menschenrechtsorganisation an

Mariam Claren sitzt in ihrer sehr aufgeräumten Wohnung im Kölner Süden, im Wohnzimmer ein Bild mit den Lettern „Free Nahid“, im August wird ihre Mutter 70, im Herbst ist sie vier Jahre in Haft. Seitdem hat sich das Leben der Tochter „einmal komplett gedreht“, sagt sie. Mariam Claren floh 1982 während des Iran-Irak-Krieges mit ihrer Mutter nach Deutschland, da war sie zwei. Sie ist in Köln aufgewachsen, hat BWL studiert und 20 Jahren im Marketing gearbeitet. „Seit meine Mutter inhaftiert wurde, kam viel Lobbyarbeit dazu. Nach dem Tod von Mahsa Jina Amini und dem Beginn der Revolutionsbewegung im Iran hat das Thema mein Leben so dominiert, dass ich entschieden habe, bei meiner Firma aufzuhören.“

Stille ist das das Schlimmste, was passieren kann.
Mariam Claren über den Protest im Iran

Claren hat sich im vergangenen Jahr der Menschenrechtsorganisation Hawar Help von Düzen Tekkal angeschlossen und verantwortet dort den Bereich Iran. „Wir fokussieren uns auf das Thema politische Inhaftierte im Iran“, sagt sie. Dazu zählen Lobbyarbeit im Deutschen Bundestag, Patenschaften für politische Gefangene, Berichte an die UN, Petitionen für den Deutschen Bundestag – die Petition von Hawar Help für eine Wende in der Iranpolitik, die die Frauen- und Menschenrechte in den Fokus stellt, hat 63.000 Unterschriften erhalten, der Bundestag entschied, die Bundesregierung solle die Forderungen berücksichtigen.

Geschehen ist das bislang nur zu einem kleinen Teil: Es sind nicht alle diplomatischen Beziehungen mit dem Iran eingefroren worden, wie gefordert. Die Atomverhandlungen mit dem Iran wurden nicht ausgesetzt. Es gibt auch weiter Fälle von politischer Zusammenarbeit mit Lobbyisten des iranischen Regimes. „Trotzdem“, sagt Claren, „ist die Petition ein sehr wichtiger Schritt. Jetzt liegt es an der Bundesregierung, sie umzusetzen.“ Die Aktivistin weiß längst, dass es viele sehr kleine Schritte braucht, um langfristig etwas zu verändern. Und auch, dass sich manches nie verändert.

Deutsche Unternehmen handeln weiter mit dem Iran

Natürlich ist Mariam Claren enttäuscht darüber, dass die Bundesregierung das iranische Mullah-Regime nicht stärker sanktioniert. Dass deutsche Unternehmen weiter Handel mit dem Land betreiben, das nach den Protesten rund um den Tod von Jina Mahsa Amini zehntausende Menschen inhaftiert hat und nach China für die meisten vollstreckten Todesstrafen weltweit verantwortlich ist. Claren ist entsetzt darüber, dass der Abschiebestopp aus Deutschland in den Iran aufgehoben wurde. Und erschrocken über die Stille, die sich in den vergangenen Monaten breit gemacht hat rund um das Thema Iran. „Stille, also wenn nicht mehr öffentlich über die Situation im Iran und die Fälle wie jenen meiner Mutter gesprochen wird, ist das das Schlimmste, was passieren kann“, sagt sie. Aber sie betont lieber die Fortschritte, als öffentlich Tatenlosigkeit zu beklagen.

Claren würde nicht so offensiv anklagen wie das Gazelle Sharmahd tut, deren Vater Jamshid im Iran mit einer Todesstrafe belegt wurde und die verzweifelt gegen die diplomatische Stille anschreit. „Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass es eine Mischung aus Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit braucht, wenn man etwas erreichen will“, sagt Claren. Diplomatie könne brutal sein, wenn man wie sie oder Gazelle Sharmahd direkt betroffen sei, „aber ich versuche trotzdem, Emotionen und das, was ich rational tun kann, strikt zu trennen“. Allein schon, fügt sie hinzu, „weil es auch um die eigene mentale Gesundheit geht“.

Ihre Zurückhaltung und die sorgsam gewählten Worte ermöglichen es Mariam Claren, täglich mit ihrer Mutter zu telefonieren. „Das ist mir sehr viel wert.“

Das Leben als Aktivistin ist gefährlich

Nach der Inhaftierung von Nahid Taghavi habe die AfD mehrfach versucht, Kontakt aufzunehmen und angeboten, die Familie zu unterstützen, erinnert sie sich. „Ich habe keine Sekunde gebraucht, um das abzulehnen. Hilfe von Menschen, die für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit stehen, kann keine Hilfe sein. Es muss immer Grenzen geben.“ Gazelle Sharmahd lässt sich bei ihren Anstrengungen für die Freilassung ihres Vaters auch vom Trump-Lager unterstützen.

Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn man Menschenrechtsarbeit macht.
Mariam Claren

In der Solidarität um die Freilassung der willkürlich inhaftierten Verwandten freilich stehen sie zusammen. Die Menschenrechtsorganisation Hawar Help hat Gazelle Sharmahd vergangenes Jahr nach Berlin eingeladen und sogar einen privaten Sicherheitsdienst engagiert – Sharmahd galt als gefährdet, immerhin war ihr Vater in Dubai vom iranischen Geheimdienst entführt worden und in den USA war ein Anschlag auf ihn geplant worden.

Mariam Claren hat keinen Personenschutz. Sie verlässt Deutschland aber nur selten. Sie würde nie nach Irak, Dubai oder in die Türkei fliegen, sagt sie. „Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn man Menschenrechtsarbeit macht. Aber es ist komisch, dein Leben danach auszurichten.“ Sie nehme zum Teil sogar kein Taxi, weil sie Sorge habe, erkannt zu werden und jemand denke zufällig, ihre Arbeit schade dem Iran.

Die Frauen im Evin-Gefängnis kämpfen weiter

Angst dürfe schon deswegen keine Kategorie sein, weil Menschen wie ihre Mutter oder Narges Mohammadi ganz andere Gefahren auf sich genommen hätten, um für Gleichberechtigung, Freiheit und Demokratie im Iran zu kämpfen. „Im Iran für Frauenrechte zu kämpfen, ist eben lebensgefährlich. Aber sie nehmen das in Kauf.“

Die Frauen im Evin-Gefängnis tun es bis heute – und scheren sich nicht darum, dass sie dadurch ihre Chancen auf Freiheit mindern. Jüngst hat Friedensnobelpreisträgerin Mohammadi zum Boykott der Präsidentschaftswahlen aufgerufen – weil es keine freien Wahlen seien. In einem Statement von politisch links orientierten Gefangenen, das auch Mariam Clarens Mutter Nahid Taghavi unterzeichnet hat, heißt es: „Wir glauben, dass Befreiung nicht durch Wahlurnen, sondern nur durch unsere eigenen Hände und durch den bewussten Kampf gegen jede Form von Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung möglich ist.“

Die Frau-Leben-Freiheit-Bewegung im Iran geht weiter – auch wenn sie brutal unterdrückt wird und westliche Medien gerade wenig Notiz davon nehmen.