Wladimir Putin habe das „gleiche Problem wie Hitler“, sagt Militärökonom Marcus Keupp. Ein Nato-General ist zurückhaltender.
Militärökonom nennt Zeitpunkt„Dann bekommt Russland Probleme“ – Wladimir Putin gehen die Panzer aus
Nicht nur die menschlichen Verluste scheinen bei Russlands Armee enorme Ausmaße zu erreichen, auch bei Panzern und sonstigen Militärfahrzeugen scheinen sich die russischen Reserven rapide zu leeren. Bis spätestens Mitte 2027 werde der Nachschub an schwerem Kriegsgerät kollabieren, womöglich sogar schon Ende 2025, erklärt der Militärökonom Marcus Keupp im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
„Russland lebt von seinen Reserven. Es steht quasi auf den toten Beinen der Sowjetunion“, sagt Keupp, der an der Militärakademie der Technischen Hochschule Zürich lehrt. Seine Berechnungen stützt Keupp auf Open-Source-Daten zu den russischen Verlusten seit Kriegsbeginn. Demnach haben die russischen Streitkräfte mehr als 16.000 mechanisierte Systeme und mehr als 3000 Panzer verloren – das entspricht einer Verlustrate von vier Panzern pro Tag.
Militärökonom über Putins Truppen: „Eine Armee, die so vorgeht, hat ein Problem“
Trotz der massiven Kriegswirtschaft, die Kremlchef Wladimir Putin in Russland installiert hat, könne Russland jedoch pro Jahr nur zwischen 300 und 500 Panzern produzieren, erklärt der Militärökonom. Die russischen Lager würden sich rapide leeren, sagt Keupp, und verweist auf Satellitenfotos. Mittlerweile müsse Putins Armee immer öfter auf „älteres und schlechteres Material“ zurückgreifen. Es gebe zudem Videos, die russische Infanteristen zeigten, die mit Motorrädern, Quad-Bikes oder Golf-Carts zur Front vorrücken. „Eine Armee, die so vorgeht, hat ein Problem.“
Die Einschätzung des Militärökonomen decken sich mit vorherigen Berichten. So hatte die „Süddeutsche Zeitung“ zuletzt ein KI-Modell trainiert, um Satellitenbilder von 87 russischen Militärstützpunkten zu untersuchen, darunter 16 Lagerstätten für Panzer, Artilleriefahrzeuge und gepanzerte Truppentransporter. Die KI verglich daraufhin die sichtbare Menge von Panzern vor Beginn der russischen Invasion in die Ukraine und in der Gegenwart. Bei allen untersuchten Stützpunkten habe sich ein ähnliches Bild gezeigt: Russlands Reserven gehen zur Neige.
KI-Analyse zeigt erheblichen Panzerschwund in Russland
So sei eine Militärbasis, die vor dem Krieg 857 Panzer beherbergt habe, mittlerweile fast leer, berichtete die Zeitung. Bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn habe Russland fast die Hälfte der dort gelagerten Panzer verloren, hieß es weiter. Die russische Armee verliere „weit mehr Ausrüstung, als sie ersetzen kann“, sagte auch der Sicherheitspolitik-Experte Gustav Gressel. Die Vorräte des Kremls „gehen zur Neige“, erklärte er in der „SZ“.
„Putin hat das gleiche Problem wie Hitler“, sagt nun auch Militärökonom Keupp. „Seine Ressourcen schmelzen ab, er steht im Gelände und kommt nicht weiter.“ Die Zeit laufe gegen Russland, dessen Art der Kriegsführung nicht nachhaltig sei. Durch die gesteigerte Produktion im Westen dürfte Ende des Jahres oder Anfang 2025 offensichtlich werden, dass sich das Kräftegleichgewicht verschiebe, prognostiziert Keupp – vorausgesetzt, die russische Verlustrate bleibe so hoch wie jetzt und die Unterstützung für die Ukraine kontinuierlich. „Dann bekommt Russland Probleme.“
Was passiert, wenn Donald Trump wieder US-Präsident wird?
Die Waffenlieferungen aus dem Westen seien existenziell für die Ukraine. „Ohne westliche Hilfe ist die Ukraine nicht kampffähig“, warnt Keupp. Insbesondere eine mögliche Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus könnte für ein Ende der Unterstützung führen. Immer wieder wird berichtet, der Republikaner plane Kiew durch die Drohungen, die Hilfslieferungen einzustellen, an den Verhandlungstisch mit Russland zu zwingen. Andererseits gilt Trump als unberechenbar. „Wir wissen also nicht, ob Trump, wenn er an der Macht ist, den Schalter umlegt“, sagt Keupp.
Sollte der Krieg allerdings nach Trumps Wiederwahl schnell enden, hätte ein ultranationalistisches Russland die Gelegenheit seine Lager wieder aufzufüllen, warnt der Militärökonom. „Dann baut sich in zehn Jahren eine Streitmacht auf, der Europa nichts entgegenzusetzen hat. Dann müssen wir davon ausgehen, dass im Baltikum oder an der polnisch-weißrussischen Grenze wieder 5000 Panzer aufmarschieren können. Das ist das Szenario, auf das man sich vorbereiten muss.“
„Russland klein zu hoffen, wäre ein existenzieller Fehler“
Etwas weniger optimistisch fällt derweil die Einschätzung des deutschen Nato-General Jürgen-Joachim von Sandrat aus. „Russland klein zu hoffen und zu denken, das wäre ein existenzieller Fehler“, sagte der General zuletzt der „Welt“. Moskau habe auch in der Gegenwart das Potenzial, einen weiteren Konfliktherd zu entfachen, auch gegenüber der Nato, warnte der Befehlshaber des Multinationalen Korps Nordost.
Es handele sich dabei um eine existente Bedrohung, „sie wächst mit jedem Tag“. Sollte Putin in der Ukraine vom Angriff auf Verteidigung umschalten, erhöhe sich für „andere Flanken und Fronten automatisch die Bedrohung“. Es sei ein Wettlauf gegen die Zeit, erklärte der General. „Wir müssen vorbereitet sein, bevor Russland rekonstituiert ist.“
Wladimir Putin fordert mehr moderne Panzer für seine Armee
Dass man in Moskau das Problem um die eigenen Panzerbestände schon lange erkannt hat, ist nämlich kein Geheimnis. Bereits vor einem Jahr hatte Kremlchef Putin in seltener Offenheit über den Mangel an modernem Kriegsgerät gesprochen. „Wir haben es, aber leider haben wir nicht genug davon“, sagte Putin damals laut staatlichen Medien. Neben Drohnen brauche Russland „auch moderne Panzerabwehrwaffen und moderne Panzer“, fordert der Kremlchef.
Auch die scheinen auf dem Schlachtfeld allerdings nicht unbesiegbar zu sein – oder dort erst gar nicht erst anzukommen. So hält Russland seine modernsten Panzer, die T-14 Armata, bisher vom Schlachtfeld in der Ukraine fern.
Offiziell rechtfertigt der Kreml das mit den hohen Kosten der Panzer. Der britische Militärgeheimdienst vermutet derweil, dass man in Moskau einen Reputationsverlust fürchte, sollte der hochmoderne Panzer in der Ukraine zerstört werden. Deshalb komme bisher das Vorgängermodell T-90 zum Einsatz.
Putin nannte die T90-Panzer einst „die besten der Welt“. Das allerdings dürfte sich mittlerweile als Mythos entpuppt haben. So berichtet die ukrainische Armee im Januar, ein russischer T-90M-Panzer sei von zwei amerikanischen Bradley-Schützenpanzern aus den 1980er Jahren zerstört worden.