Die pompöse Inszenierung kann die Probleme nicht verbergen: Putin muss nun schon Kim umgarnen – und klingt derweil immer schriller.
Isolierter Kremlchef hat wenig FreundePutin „fleht“ bei Kim um Hilfe – und nähert sich dem „Wahnsinn“ an?
Wladimir Putin ist in Nordkorea mit viel Brimborium empfangen worden. Seine Porträts säumten die Straßen in Pjöngjang und Kim Jong-un kam höchstpersönlich zum enorm großen roten Teppich auf dem Flugfeld. Viel Besuch bekommt Kim nicht – umso größer musste Putins also offenbar zelebriert werden. Für den Diktator in Nordkorea bedeutete die Aufwartung des Kremlchefs nicht nur internationales Rampenlicht, sondern auch ein frisches Verteidigungsabkommen mit Russland – und die Möglichkeit auf Waffenlieferungen, wie Moskau bekannt gab.
Putin besucht Kim: Wer ist Koch und wer ist Kellner?
Putin hingegen revanchierte sich mit der Visite für Kims Unterstützung für Moskaus illegalen Angriffskriegs gegen die Ukraine – und dürfte im Hintergrund nach Meinung vieler Experten auch dafür gesorgt haben, dass der Strom an Artilleriemunition nicht so schnell abreißt.
„Nach Kims Visite in Russland war klar, dass Putin für Artilleriemunition und ballistische Raketen wohl oder übel nach Nordkorea kommen muss“, erklärte der Sicherheitsexperte Nico Lange auf X. „Kim kostet Putins Schwäche aus und nimmt neben der Aufwertung sicher auch gern noch Hilfe bei nuklearen Technologien und bei Raketen.“
Kim Jong Un erhofft sich Profit aus „Paria-Kooperation“ mit Putin
Allein ist der Experte mit dieser Einschätzung nicht. Der Besuch des Kremlchefs „wertet Kim nur im eigenen Land auf“, erklärte auch Thomas Jäger, Professor für internationale Politik an der Universität Köln bei X. Putin werte die Reise international hingegen ab. Nordkorea wolle von der „Paria-Kooperation“ technologisch profitieren, während es Moskau kurzfristig um „Munition für den Krieg gegen die Ukraine“ gehe, so Jäger.
Tatsächlich bleiben dem russischen Präsidenten nur noch wenige Reiseziele – der Kremlchef wird wegen Kriegsverbrechen per internationalem Haftbefehl gesucht, nur noch eine Handvoll Staatschefs posiert gerne mit dem Kriegsherrn. Mit Iran und Nordkorea darf sich Putin mittlerweile zu den engsten Freunden zwei der schlimmsten Diktaturen weltweit zählen.
Putin in Pjöngjang: „Zutiefst peinlich“ für Russland
„Ich kann mir kein zukünftiges Russland vorstellen, in dem dieses Foto nicht zutiefst peinlich ist“, schrieb der russische Ökonom Konstantin Sonin zu einer Aufnahme von Putin und Kim, die im Dachfenster einer Mercedes-Limousine stehend durch Pjöngjang fuhren. Putin sei „in seiner Blase“ offenbar nicht bewusst, welchen Eindruck er hinterlasse, wenn er das „absurd erbärmliche Regime“ in Nordkorea „um militärische Hilfe gegen die Ukraine anfleht“, fügte Sonin an.
Putins neue Nähe zu Kim könnte sich aber nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern bereits jetzt als nachteilig erweisen. Nachdem Moskau das Abkommen mit Nordkorea unterzeichnet hatte, kündigte die Regierung in Südkorea an, ihr bisheriges Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine überdenken zu wollen, und bestellte am Freitag den russischen Botschafter ein.
Putin reagierte sofort auf die Überlegungen in Seoul. Russlands Antwort werde Südkorea „nicht gefallen“, warnte der Kremlchef kurz nach seiner Abreise aus Pjöngjang und spielte bei der gleichen Pressekonferenz schließlich auch sein einziges Ass im Ärmel.
Kremlchef sorgt für neue Überlegungen in Südkorea
Russland werde Änderungen an seiner Nukleardoktrin in Betracht ziehen, erklärte der Kremlchef und gab die Schuld daran mal wieder dem Westen. Damit nicht genug: Putin erzählte auch etwas vom „tausendjährigen Russland“, das in seiner Existenz bedroht sei, wenn es den Krieg in der Ukraine verliere.
„Warum sollten wir Angst haben? Ist es nicht besser, bis zum Ende zu gehen?“, führte der Kremlchef trotzdem aus. „Putin hat sogar Hitlers Rhetorik vom ‚Tausendjährigen Reich‘ übernommen“, kommentierte der Osteuropa-Experte Anders Åslund bei X die Worte des Kremlchefs.
Die vom Westen angestrebte „strategische Niederlage“ bedeute jedoch lediglich, „dass Russland die Ukraine nicht erobern kann“, betonte Politikwissenschaftlerin Maria Popova die Absurdität von Putins Aussage. Der Kremlchef glaube aber ohnehin „nichts“ von dem, was er gesagt habe, sondern wolle damit lediglich seinen „Eskalationsmanagern Angst machen“, führte Popova aus.
Wladimir Putins „Freunde in Deutschland“
Tatsächlich finden Russlands besonders absurde Drohungen und Warnungen immer wieder ihren Weg in westliche Echokammern. „Wenn Putin sagt, Russland habe ja noch Freunde in Deutschland, dann meint er genau diese politischen Bewegungen“, erklärte der Historiker Matthäus Wehowski kürzlich mit Blick auf die AfD und das BSW im Gespräch mit dieser Zeitung.
Es sind auch genau jene Parteien, die Wolodymyr Selenskyj kürzlich nicht einmal zuhören wollten. Der ukrainische Staatschef sei bloß noch ein „Kriegs- und Bettelpräsident“, hieß es damals aus der AfD. Sahra Wagenknecht befand derweil, es sei Selenskyj, der auf eine „offene Eskalation des Krieges“ setze und die Nato darin verwickeln wolle.
„Treue Gefolgsleute Putins“
Es kam zum Eklat – und zu empörten Reaktionen. In der SPD war sogar von „treuen Gefolgsleuten“ Putins die Rede. Zu Putins Besuch in Pjöngjang gab es von BSW und AfD bisher derweil keinen Kommentar. Auch dass die Freigabe für Kiew, westliche Waffen gegen Stellungen in Russland einzusetzen, den täglichen Raketenterror in Charkiw erfolgreich unterbunden hat (ohne einen Atomkrieg damit auszulösen), hört man aus dieser Ecke nicht.
Ebenso wenig wird bei den „Eskalationsmanagern“ erwähnt, dass Moskau plant, die ohnehin bereits geschichtsklitternden russischen Schulbücher zu überarbeiten: Zukünftig soll die Regierung in Kiew dort in Verbindung zu den Verbrechen Nazi-Deutschlands gesetzt werden. „Russland im freien Fall in Richtung Wahnsinn“, kommentierte Historiker Wehowski diese Pläne.
„Russland im freien Fall in Richtung Wahnsinn“
Verhandlungen scheinen so kaum vorstellbar. Moskau hält an Maximalzielen, Eskalationskurs und Atomkriegsdrohungen fest, noch zumindest. Putins Probleme kann das aber nicht verdecken. Während Selenskyj mit Dutzenden Staatschefs posiert, zeigt sich Russlands neue Stellung bereits in einer TV-Sequenz aus Pjöngjang.
Dort ist die russische Delegation zu sehen, die sich in einem Konferenzraum einrichtet, ehe die Minister Andrej Beloussow, Sergej Lawrow und Co. von einem resoluten nordkoreanischen Beamten unterbrochen und wieder hinaus beordert werden. „Unser Anführer wird zuerst hereinkommen“, erklärte der Nordkoreaner. Bei Kim muss Russland sich nun also hinten anstellen – fast wie ein „Bettelpräsident“.