Die AfD habe sich das „große Lob“ von Wladimir Putin „wacker erarbeitet“, findet Kanzler Olaf Scholz. Doch was steckt hinter den warmen Worten? Im Interview spricht der Kölner Politologe Thomas Jäger über Moskaus Motive – und Putins dreiste Lügen.
Schelte für Deutschland, Lob für AfD„Das ist völlig absurd, was Putin da sagt“
Warum äußert sich Wladimir Putin kurz vor der Europawahl so ausführlich über die AfD?
Thomas Jäger: Putin hat seine Worte zur AfD in die allgemeine Aussage eingebettet: Wer mit uns zusammenarbeiten will, wer anständige Beziehungen mit Russland haben will, mit dem arbeiten wir auch zusammen. Im Spezifischen hat er dann die AfD genannt und übrigens dabei gesagt, das seien keine Neonazis.
Aber welche Ziele verfolgt der Kremlchef damit?
Da gibt es zwei Aspekte. Der eine ist: Selbstverständlich weiß Putin, dass es in den europäischen Gesellschaften unterschiedlich große Gruppen gibt, die der Ukraine sehr kritisch und Russland sehr sympathisch gegenüberstehen. Es ist also ein Köder, der hier für diese Parteien ausgeworfen wird, damit die dann sagen: Wenn wir die Position einnehmen, kriegen wir Unterstützung aus Russland, in welcher Form auch immer, damit können wir rechnen.
Wladimir Putin und die AfD: „Er muss sie reinwaschen“
Und der andere Aspekt?
Der Zweite ist, dass Putin selbstverständlich sieht, dass insbesondere links- und rechtsextreme Gruppierungen dieses Angebot annehmen. Und die muss er irgendwie reinwaschen, sodass man nicht auf die Idee kommt, die Entwicklung in Russland mit irgendwelchen Aspekten dieser Parteien in Verbindung zu bringen. Das sind aus meiner Sicht die zwei Aspekte, die da drinstehen.
Ist es nicht etwas grotesk, wenn Putin sagt, in Deutschland würde alles unterdrückt, was von der öffentlichen Meinung abweicht, während in Russland Oppositionelle im Gefängnis sitzen oder sterben?
Natürlich, das ist völlig absurd, was er da sagt. Aber das stört die Kreml-Kommunikation überhaupt nicht. Es ist auch offensichtlich absurd, dass er bis zwei Tage vor dem Angriff im Februar 2022 gesagt hat, es gebe keine Absicht, die Ukraine anzugreifen. Vor der Anerkennung der „Volksrepubliken“ hat Putin ebenfalls gesagt, es gebe keine Absicht, die zu integrieren. Er hat damals sogar seinen Auslandsgeheimdienstchef als Trottel dastehen lassen, nachdem der gesagt hatte, Russland könnte diese Gebiete annektieren. Darum gehe es ja gar nicht, hieß es da von Putin. Also das ist alles Lüge.
Absurde Behauptungen aus Moskau: „Das stört die Kreml-Kommunikation überhaupt nicht“
Nun hat Putin bestritten, dass Russland einen Konflikt mit Nato-Staaten anstreben würde – und dabei dieselben Worte benutzt, die er auch verwendet hatte, um vor Kriegsbeginn zu bestreiten, dass Russland einen Angriff auf die Ukraine plane.
Richtig. Außerdem hat Putin auch behauptet, dass es keine nuklearen Drohungen von Russland geben würde. Gleichzeitig droht Moskau damit die ganze Zeit. Aber das ist ein Muster, was Putin in Russland nicht schadet – und bei den Russland-Anhängern im Westen auch nicht.
Wladimir Putin: Troll oder Stratege?
Muss man Putin nun nur als Troll betrachten, der vor der Europawahl Unruhe stiften will, oder verfolgt der Kremlchef die Strategie, Parteien wie AfD oder BSW tatsächlich an die Macht zu spülen?
Die beiden Aspekte schließen sich nicht aus. Schauen Sie sich Donald Trump an – trolliger geht es nicht mehr. Gleichzeitig verfolgt er dennoch eine Strategie. Das ist bei Putin auch so. So schafft man Unruhe, bringt Aspekte in die Diskussion ein, die jeder Vernünftige für Unsinn hält, die sich dann aber trotzdem festsetzen – und dann gibt es Leute, die daran glauben. So verfestigt sich eine Echokammer in den europäischen Staaten, die von Russland bedient wird. Hier hat er dann Parteien, die russische Narrative in Deutschland verbreiten. Das ist offensichtlich.
Wirkt es dann nicht sogar wie bestellt und geliefert, wenn AfD-Chefin Alice Weidel kurz nach Putins Worten ausruft, die Ukraine könne den Krieg gegen Russland nicht gewinnen?
Es wirkt wie bestellt und geliefert. Es sieht wie bestellt und geliefert aus. Es riecht wie bestellt und geliefert. Also … ja.
Thomas Jäger, 1960 in Hanau geboren, ist Politikwissenschaftler an der Universität zu Köln. Im Jahr 1999 wurde Jäger in Köln zum Professor für „Internationale Politik und Außenpolitik“ berufen. Auf X (vormals Twitter) findet man seine Beiträge unter: @jaegerthomas2