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Putins Plan für Deutschland„Moskau will Scholz mit Leuten ersetzen, die sich kontrollieren lassen“

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Wladimir Putin bei einer Zeremonie anlässlich des russischen Nationalfeiertags am Mittwoch (12. Juni). „Die Wahlergebnisse kommen Putin mit Sicherheit gelegen“, sagt der Historiker Matthäus Wehowski.

Wladimir Putin bei einer Zeremonie anlässlich des russischen Nationalfeiertags am Mittwoch (12. Juni). „Die Wahlergebnisse kommen Putin mit Sicherheit gelegen“, sagt der Historiker Matthäus Wehowski.

Nach den Wahlerfolgen von AfD und Wagenknecht träumt man in Russland bereits von einer Rückkehr der DDR. Ein Geheimnis sei Putins Plan für Deutschland nicht, sagt der Historiker Matthäus Wehowski.

Die Ergebnisse der Europawahl waren noch keine 48 Stunden alt, als man sich beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der Alternative für Deutschland (AfD) schon zum Eklat bereit machte. Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag eine Rede im Bundestag hielt, fehlten die Politiker der Parteien demonstrativ. Selenskyj habe den Krieg „eskaliert“, behauptete Wagenknecht – und wiederholte die steile These dann tags darauf bei „Maischberger“.

Bei der AfD ging man derweil noch weiter – und dockte einfach ohne große Verschleierungsversuche an den aktuellen Propaganda-Märchen aus Russland an. Selenskyjs Amtszeit sei „abgelaufen“, erklärten die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla. Der ukrainische Staatschef sei nur noch ein „Kriegs- und Bettelpräsident“, hieß es weiter. Sehr ähnlich hatte sich zuvor Kremlchef Wladimir Putin über Selenskyj geäußert – Moskau bestellt’s und AfD und BSW liefern also?

„Die Wahlergebnisse kommen Putin mit Sicherheit gelegen“

„Putin ist kein marionettenhafter Strippenzieher, der Parteien in Deutschland unmittelbar kontrolliert“, erklärt der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski im Gespräch mit dieser Zeitung. „So weit geht das – soweit wir wissen – nicht. Aber die Wahlergebnisse kommen Putin mit Sicherheit gelegen.“

Es komme nicht von ungefähr, wenn Putin sich – wie kurz vor der Europawahl geschehen – ausführlich zur AfD äußere. „Und auch Sahra Wagenknecht wird in russischen Medien ziemlich häufig zitiert, also in die Propaganda mit eingebunden“, sagt Wehowski. „Wenn Putin sagt, Russland habe ja noch Freunde in Deutschland, dann meint er genau diese politischen Bewegungen, die Demokratie, liberale Ordnung, Westbindung und Co. abschaffen wollen.“

Moskaus Medien feiern Erfolg von Wagenknecht-Partei und BSW

Tatsächlich feierten russische Medien ausgiebig die Erfolge von AfD und BSW bei der Europawahl. Bei RIA Nowosti attestierte man derweil, Deutschland stehe nun kurz vor der Spaltung. Schon ein Blick auf die Karte zeige, „dass Deutschland durch die Europawahlen erneut die Umrisse zweier deutscher Staaten erhält – die der DDR und der Bundesrepublik“, träumte der Chef der von Moskau eingesetzten „Krimregierung“, Georgi Muradow, gegenüber der Staatsagentur von einer Rückkehr der DDR. In einer Kolumne der Zeitung „KP“ orakelte der Autor: „Und das ist erst der Anfang.“

Doch ist das auch so? Bereits im März hatte Wehowski im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor Putins Plan für Deutschland gewarnt: „Das Ziel ist, die Bundesregierung zu erledigen“, erklärte der Historiker vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung damals. Ist Putin diesem Ziel nun also nähergekommen – und wird Russland seine Manipulationsversuche durch Propaganda-Märchen und „Fake News“ vor den anstehenden Landtagswahlen in Deutschland weiter forcieren?

Russische Einflussversuche: „Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das vorerst weiterlaufen“

„Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das vorerst weiterlaufen“, prognostiziert Wehowski nun. Der unter unklaren Umständen gestorbene ehemalige Söldner-Anführer Jewgeni Prigoschin habe zuvor eine „berühmte Troll-Fabrik“ in St. Petersburg betrieben. „Ob die durch Geheimdienste wie den FSB übernommen wurde, ist unklar. Aber die russischen Desinformations- und Troll-Kampagnen in den sozialen Netzwerken laufen weiter.“

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagt, Russland mische sich nicht ein. Gleichzeitig mischte sich der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin in die Innenpolitik Deutschland und Frankreichs ein. „Die haben da kein Schamgefühl“, sagt der Historiker Matthäus Wehowski.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagt, Russland mische sich nicht ein. Gleichzeitig mischte sich der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin in die Innenpolitik Deutschland und Frankreichs ein. „Die haben da kein Schamgefühl“, sagt der Historiker Matthäus Wehowski.

Und auch Putins Ziel, den deutschen Bundeskanzler weiter zu schwächen, bleibe im Kreml ganz sicher bestehen, erklärt der Historiker. Dieses Ziel werde in Russland „sehr offen“ kommuniziert, so Wehowski. „Noch in dieser Woche hat die russische Duma in einer Erklärung das deutsche Volk und das deutsche Parlament aufgefordert, Olaf Scholz abzusetzen“, es sei also nicht so, „als würde Russland das irgendwie versteckt machen.“

Widersprüche in Moskaus Propaganda: „Die haben da kein Schamgefühl“

Die unzähligen Widersprüche in der Kommunikation des Kremls seien dabei für Putin in Russland kein Problem. Während Kremlsprecher Dmitri Peskow versicherte, Moskau mische sich grundsätzlich nicht in innere Angelegenheiten anderer Staaten ein, tat der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin nahezu zeitgleich exakt das. „Das ist denen völlig gleich. Die haben da auch keine Skrupel oder kein Schamgefühl“, kommentiert Wehowski derartige Volten der russischen Propaganda.

Ähnlich verhalte sich das auch, wenn Putin einerseits offensichtlich rechtsradikale Parteien wie die AfD in Deutschland unterstütze, seine Landsleute aber gleichzeitig zum „antifaschistischen Kampf“ gegen ein von Moskau herbei fantasiertes „Nazi-Regime“ in Kiew zum Kampf aufruft.

Putin hat ein Faible für einen Faschisten – und ruft gleichzeitig zum „antifaschistischen“ Kampf

Die Begriffe Faschismus und Nationalsozialismus seien in Russland „kurz gesprochen sozusagen gleichgesetzt mit allen Feinden Russlands“, erklärt Wehowski. „Daher ist es für Putin auch überhaupt kein Widerspruch, dass er sich auf einen faschistischen Vordenker wie Ivan Iljin beruft.“

Innenpolitische Kritik an Putins Faible für den faschistischen Denker werde in Russland zudem schnell abgewürgt, erklärt Wehowski. So habe kürzlich ein Duma-Abgeordneter aus der Fraktion der Kommunisten kritisiert, dass der von Putin verehrte Iljin ein Faschist gewesen sei. „Der wurde dann relativ schnell zum Schweigen gebracht.“

Wer sich Russland widersetzt, wird zum „Wiedergänger Hitlers“ erklärt

„Das ist in Russland also kein Widerspruch, dass man ganz gezielt auch rechtsextreme, neofaschistische Organisationen in Europa unterstützt“, führt Wehowski aus. Wenn Moskau die Regierung in Kiew als „Nazi-Regime“ bezeichne, gehe es dabei ohnehin nicht um die NS-Ideologie an sich. „Die wird in Russland durch Leute wie Iljin und die moderne Version von ihm, Alexander Dugin, ja offen gefördert.“ Im Grunde erkläre Moskau vielmehr schlichtweg jeden, der sich der „Bedeutungsmacht und der Durchsetzungskraft Russlands widersetzt“ zu einem „Wiedergänger Adolf Hitlers“.

So wird der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine zum „antifaschistischen Feldzug“ umgedeutet – und gleichzeitig werden die tatsächlichen Rechtsradikalen und Faschisten im Westen von Moskau aus gefördert. Das werde auch in Zukunft, also vor den Landtagswahlen der Fall sein, vermutet Wehowski.

Demokratische Regierungschefs in Europa wie Olaf Scholz oder Emmanuel Macron wolle der Kreml nach wie vor „loswerden“, erklärt der Historiker. Die Erfolge für die als prorussisch geltenden Parteien, die russische Narrative im Westen verstärken, sollen bei diesem Plan offenbar helfen. Moskaus Ziel sei es, die demokratischen Regierungschefs „im besten Fall durch Leute wie Viktor Orbán zu ersetzen, die sich relativ leicht durch Geld korrumpieren und kontrollieren lassen.“