Taurus-Leak und schrille Propaganda – auch über eine Kölner Brücke – kommen nicht ohne Grund, sagt Russland-Experte Matthäus Wehowski.
Putins Plan für Deutschland„Das Ziel ist, die Bundesregierung zu erledigen“
Vor einer Woche hat Russland das abgehörte Gespräch vierer deutscher Luftwaffenoffiziere veröffentlicht – und Wladimir Putin dürfte zufrieden mit dem Ergebnis seines Schachzugs sein. Taurus-Marschflugkörper werden nicht geliefert, Deutschland ist mit sich selbst beschäftigt, der Kanzler steht international in der Kritik – und niemand spricht noch über Alexej Nawalny oder die Not der Ukrainerinnen und Ukrainer.
Das Luftwaffen-Leak war dabei nur der Auftakt zu einer russischen Propagandaoffensive, die darin mündete, dass in russischen TV-Studios über Angriffe auf deutsche Brücken, darunter die Kölner Hohenzollernbrücke, fantasiert wurde. Putins Sprachrohre laufen auf Hochtouren.
Putins Propagandamaschine: Mit Scholz‘ Taurus-Entscheidung fing alles es an
Der Startschuss für das mitunter absurd-komische Schauspiel war die Entscheidung des Bundeskanzlers gegen die Lieferung von Taurus-Raketen. Deutschland dürfe nicht Kriegspartei werden, erklärte der Kanzler, und ließ durchblicken, dass für den Einsatz von Taurus deutsche Soldaten entsandt werden müssten.
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Kritik bekam Scholz dafür nicht nur aus Deutschland. Für den Kreml war das ein Glücksfall. „Putin beobachtet den Diskurs in Deutschland ganz genau“, erklärt der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Taurus-Debatte sei „ein gefundenes Fressen“ gewesen.
„Putin beobachtet den Diskurs in Deutschland ganz genau“
Das Zögern des Kanzlers und die Uneinigkeit innerhalb der Ampel hätten der russischen Propagandaoffensive die Tür geöffnet, erklärt der Historiker vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. „Das abgehörte Gespräch war perfekt, um Ängste zu wecken.“
Neu sei diese Methode nicht, sagt Wehowski. Rund um die Lieferung von Streumunition durch die USA und Uranmunition durch Großbritannien habe Moskau ähnlich agiert – und auch damals schreckte man in Russland nicht vor völlig absurden Erzählungen zurück. Ob erfundene nuklear verseuchte Wolken oder angeblich genetische veränderte Mücken, die als Biowaffe zum Einsatz kommen sollten: Moskau scheint kaum eine Geschichte zu schrill zu sein.
Russland setzt wie Trump auf das Prinzip „Flood the Zone with Shit“
„Derartig abseitige Behauptungen stören die Russen nicht“, sagt Wehowski. In Russland setze man auf das Prinzip „Flood the Zone with Shit“, das auch bei Unterstützern von Ex-US-Präsident Donald Trump immer wieder zum Einsatz kommt. „Es wird einfach die Informationssphäre mit Quatsch zugemüllt – und was hängen bleibt, bleibt hängen.“
Solche Propaganda abzuwehren, fällt offenen und liberalen Gesellschaften schwer. Meinung und Parteien lassen sich hierzulande glücklicherweise eben nicht wie in Russland einfach verbieten. Russland wisse genau um diesen „Schwachpunkt“ der Demokratie, erklärt Wehowski. Helfen könne dagegen im Grunde nur die Aufklärung der Bevölkerung, sagt der Historiker. Aber auch dabei müsse man damit rechnen, dass die russische Propaganda bei einem „bestimmten Teil verfängt“.
Wladimir Putin hat bei AfD und BSW seine deutschen Propaganda-Helfer
Dass der Kreml bei der Verbreitung seiner Propaganda auch innerhalb der deutschen Politik fleißige Unterstützung bekommt, wurde jüngst erneut überdeutlich. In Windeseile übernahmen vor allem die „Alternative für Deutschland“ und das Bündnis Sahra Wagenknecht nach dem Leak jene Deutungen, die aus Moskau zu hören waren.
Björn Höcke sprach von „Vorbereitungen auf einen Angriffskrieg“ bei der Bundeswehr, ein Parteikollege schoss derweil gegen Verteidigungsminister Boris Pistorius – wohlgemerkt in der russischen Zeitung „Iswestija“. Auch die Wagenknecht-Partei übernahm das Narrativ der drohenden deutschen Kriegsbeteiligung. Die Linken-Politiker Dietmar Bartsch und Gregor Gysi meldeten sich ebenfalls mit schrillen Tönen zu Wort – und auch sie verbreiteten russische Märchen.
Putin über Deutschland: „Geduldig sein und daran arbeiten“
Anders kann man die Propaganda aus Moskau nicht nennen. Die deutschen Offiziere planten weder einen Angriff auf Russland, noch den Kriegseintritt Deutschlands in der Ukraine. Und auch deutsche Soldaten wollte nie irgendwer in die Ukraine entsenden. Brisanz bekam der Mitschnitt im Grunde nur, weil Moskau ihm erfolgreich Brisanz verlieh – und dabei hierzulande Unterstützung bekam und weiterhin bekommt.
Was Putin mit Deutschland vorhat, ist derweil kein Geheimnis. Noch am Mittwoch erklärte der Kremlchef „früher oder später“ würden in Deutschland wieder Politiker „auftauchen“, die an der „Strategie des Schulterschlusses mit Russland“ festhalten. In ganz Europa werde es „grundlegende Veränderungen“ geben, orakelte Putin. „Ich bin sicher, dass das auch in Deutschland so sein wird“, zitierte die Staatsagentur Tass den Kremlchef: „Man muss geduldig sein und daran arbeiten.“
Hybrider Krieg: „Das Ziel ist, die Bundesregierung zu erledigen“
Russland und seiner Propagandamaschinerie sei es nicht nur um Taurus gegangen. „Das Ziel ist auch, die Bundesregierung in ihrer jetzigen Form zu erledigen“, erklärt Wehowski. Der Kreml wolle eine „antiliberale, möglichst leicht korrumpierbare Regierung“ an die Macht bringen und dort halten. Vorbilder fänden sich dafür mit Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei. Um „diese Art von Regierung“ gehe es Putin, dem es dabei „völlig egal“ sei, ob das „besonders rechte oder besonders linke“ Regierungen seien, sagt der Russland-Experte. „Hauptsache antiwestlich, antiliberal und leicht bestechlich.“
Hilflos sei Deutschland trotz der jüngsten Propaganda-Erfolge Russlands aber nicht. Eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit den schrillen Volten der russischen Außenpolitik sei hilfreich, erklärt Wehowski. Zum anderen brauche es zur Abwehr derartiger Angriffe aber auch mehr Realismus im Kanzleramt.
„Russland sieht sich in einem hybriden Krieg gegen Deutschland“
Dass Deutschland sich in einem „hybriden Krieg“ befinde, sei bei der Bundesregierung „noch nicht ganz angekommen“, kritisiert Wehowski. Der habe auch nicht erst 2022 begonnen, sondern schon deutlich früher. „Selbst wenn Scholz immer wieder behauptet, Deutschland sei nicht im Krieg – für Russland sieht das ganz anders aus“, sagt der Historiker.
Dennoch dürfe man sich in Berlin von der schrillen Propaganda nun „nicht verrückt machen lassen“ und „auf keinen Fall personelle Konsequenzen“ etwa bei der Luftwaffe ziehen, empfiehlt Wehowski. „Das wäre fatal“, Russlands Strategie sei es schließlich, Deutschland zu schwächen.
Olaf Scholz braucht eine „bessere Kommunikationsstrategie“
Olaf Scholz, der mit seiner Taurus-Erklärung nicht nur Gegenwind ausgelöst, sondern auch Moskau die passende Propaganda-Vorlage geliefert hat, brauche eine „bessere Kommunikationsstrategie“ und müsse sich mit den Alliierten absprechen, sagt Wehowski. Dissonanzen zwischen Frankreich, Großbritannien und Deutschland würden ansonsten auch in Zukunft in Russland sofort wahrgenommen – und ebenso schnell für eigene Zwecke ausgenutzt.
„Russland geht in diesem hybriden Krieg wirklich offensiv gegen Deutschland vor“, sagt Wehowski. In Paris scheint man in letzter Zeit zu einer ähnlichen Erkenntnis gekommen zu sein. Es dürfe keine „roten Linien“ mehr bei der Abwehr von Russlands Angriff auf Europa geben, betonte Macron am Donnerstag noch einmal.
Taurus, den Auslöser für die aktuelle Uneinigkeit des Westens, wollen neusten Umfragen zufolge noch weniger Deutsche an die Ukraine liefern als vor Moskaus Propagandaoffensive. Wladimir Putin dürfte damit zufrieden sein.