Die Mythen über Wolodymyr Selenskyj und die Verhandlungen von Istanbul wurden auch von Wagenknecht und AfD oft verbreitet.
Wagenknecht und AfD erzählen siePutins dreiste Lügen zu Istanbul und Selenskyj fallen in sich zusammen
Gleich zwei von AfD und Sahra Wagenknecht gerne angeführte „Argumente“ gegen eine weitere Unterstützung der Ukraine brechen derzeit in sich zusammen. Entgegen der jüngsten Behauptungen von AfD-Chefin Alice Weidel und BSW-Chefin Sahra Wagenknecht betrachtet eine große Mehrheit der Ukrainer Staatsoberhaupt Wolodymyr Selenskyj ungeachtet der zu Kriegszeiten verlängerten Amtszeit weiter als legitimen Präsidenten.
Nach einer am Montag veröffentlichten Umfrage des Internationalen Soziologischen Instituts in Kiew waren 70 Prozent von insgesamt 2011 befragten Ukrainern der Ansicht, dass Selenskyj bis Kriegsende im Amt bleiben sollte. Lediglich 22 Prozent sprachen sich dagegen aus. Damit widersprachen die Ukrainer der von Moskau vertretenen Ansicht, dass Selenskyjs Amtszeit längst abgelaufen und er nicht mehr rechtmäßiger Präsident der Ukraine sei.
Entgegen Behauptung von AfD und Wagenknecht: Selenskyj genießt großen Rückhalt in der Ukraine
In der Vorwoche hatten insbesondere die AfD, aber auch BSW-Chefin Wagenknecht, an dieser russischen Propaganda-Behauptung angeknüpft. „Selenskyjs Amtszeit ist abgelaufen“, der Ukrainer sei nur noch „als Kriegs- und Bettelpräsident im Amt“, schrieb etwa die AfD-Parteispitze in einer Stellungnahme, um ihren Boykott einer Rede des ukrainischen Präsidenten im Bundestag am vergangenen Dienstag zu begründen. Wagenknecht, deren Partei dem Auftritt Selenskyjs ebenfalls ferngeblieben war, hatte derweil erklärt: „Ich glaube nicht, dass Selenskyj für die gesamte Ukraine spricht.“
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Auch zu einer weiteren ewigen Behauptung des Kremls, die ebenfalls von Wagenknecht und AfD übernommen und seitdem immer wieder geäußert wurde, gibt es unterdessen neue Erkenntnisse. Entgegen der Behauptungen aus Russland, scheinen die frühen Verhandlungen in Istanbul kurz nach Kriegsbeginn nicht auf Druck des Westens gescheitert zu sein, wie Wagenknecht mehrmals behauptet hatte. Das zeigt nun eine Recherche der „New York Times“.
Verhinderte der Westen einen Deal in Istanbul? Die ewige Propaganda-Geschichte zerfällt
Ukraine-Kritiker im Westen führten bisher stets einen Besuch des ehemaligen britischen Premierministers Boris Johnson in Kiew als Grund für das Scheitern der damaligen Gespräche an, Belege dafür gab es jedoch nie. Kremlchef Putin hatte die Behauptung aufgestellt. Ein ukrainischer Unterhändler hatte zudem erklärt, nach Johnsons Besuch in Kiew sei klar geworden, dass die Gespräche abgebrochen werden sollten.
Die US-Zeitung hat nun jedoch die damaligen Originalentwürfe unter die Lupe genommen und mit vielen Beteiligten gesprochen. Demnach mischte sich Kremlchef Wladimir Putin immer wieder persönlich in die Gespräche ein – und sorgte damit bereits früh für Zweifel an einem ernsthaften Friedenswillen auf russischer Seite.
Auf ukrainischer Seite habe zwischenzeitlich Uneinigkeit bestanden: Einer der Unterhändler Kiews sei sich sicher gewesen, dass die Verhandlungen bloß ein Bluff von Putin waren, um Zeit zu gewinnen. Zwei andere hielten die russische Absicht für durchaus ernstgemeint.
Wladimir Putin ließ absurde Klausel einbauen – und brachte Gespräche so zum Scheitern
Dennoch schien eine Lösung zumindest zwischenzeitlich damals möglich – bis Russland schließlich entscheidende Änderungen an dem Vertragsentwurf vornahm, den die „New York Times“ nun veröffentlicht hat. So forderte Moskau schließlich, Russisch müsse Landessprache in der Ukraine sein, wollte die ukrainische Armee auf minimale Größe zusammenschrumpfen und wollte, dass Kiew seine Truppen aus den besetzten Gebieten zurückzieht.
Das „größte Problem“, so beschreiben es die Journalisten der „New York Times“, sei jedoch eine Klausel gewesen, die Russland nachträglich in den damaligen Vertragsentwurf eingebaut habe. „Zum Entsetzen der Ukrainer gab es eine entscheidende Abweichung von dem, was die ukrainischen Unterhändler in Istanbul besprochen hatten“, heißt es in der US-Zeitung.
Wladimir Putins Version von Ukraine-Kritikern im Westen übernommen
Russland hatte demnach zwischenzeitlich ein Veto-Recht in den Vertragsentwurf eingebaut, das besagte, dass alle Garantiestaaten vor militärischen Hilfsmaßnahmen im Falle eines Angriffs auf die Ukraine zustimmen müssten – inklusive Russland selbst.
Ein weiteres Problem: Die als Sicherheitsgaranten vorgesehenen Staaten Großbritannien, China, USA und Frankreich hatten ihre Zustimmung zu einer solchen vertraglichen Verpflichtung zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gegeben. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Kiew entsprechende Zusagen hätte bekommen können.
Angesichts dieser Änderungen habe die Ukraine fortan „kein Interesse mehr daran“ gehabt, die Gespräche mit Russland fortzusetzen. Die absurde Moskauer Forderung, dass die Ukraine nur Unterstützung bei einem Angriff erhalten darf, wenn Russland zustimmt, wurde somit zum Dealbreaker. Von Johnsons angeblichem Einfluss auf die Entscheidung ist bei der „New York Times“ keine Rede.
Boris Johnson widerspricht Wladimir Putin: „Unsinn“
Wladimir Putin und seine Propaganda-Gehilfen dürfte auch das jedoch nicht davon abhalten, weiter seine Istanbul-Version zu verbreiten. Immer wieder spricht der Kremlchef von den damaligen Vertragsentwürfen – und trifft damit bei den Ukraine-Kritikern in Europa wie AfD und BSW immer wieder auf offene Ohren. Noch im Februar behauptete Putin, Johnson habe Selenskyj von der Zustimmung zu dem Entwurf „abgebracht“.
Der ehemalige britische Premierminister bezeichnete die Behauptung unterdessen als „Unsinn“. Weder Friedensvorschläge noch ein Friedensabkommen seien damals möglich gewesen, hatte Johnson bereits vor einiger Zeit britischen Zeitungen erklärt. „Russland ist einzig und allein mit dem Ziel in die Ukraine einmarschiert, Gebiete zu erobern, Bürger zu töten und eine demokratische Regierung zu stürzen.“
„Russland kann und wird nur mit Gewalt gestoppt werden“
Putins jüngstes „Angebot“, das einer Kapitulationsaufforderung an die Ukraine gleiche, werde somit zum Eigentor für den Kremlchef, befand der ehemalige ukrainische Wirtschaftsminister Tymofij Mylowanow angesichts der neuen Erkenntnisse. Mit seinem als „Friedensvorschlag“ getarnten Ultimatum an die Ukraine habe Putin nur bewiesen, dass seine Rhetorik nicht mehr verfange, den Eindruck geschwächt, dass Russland an Frieden interessiert sei, und daran erinnert, „warum die Verhandlungen im Jahr 2022 scheiterten“.
„Dieses Mal verlangte Russland, dass die Ukraine mehr Territorium aufgibt, bevor irgendwelche Gespräche beginnen können.“ Das zeige erneut, dass Moskau nicht dadurch gestoppt werden könne, dass man sich seinen Forderungen fügt. „Russland kann und wird nur mit Gewalt gestoppt werden“, prophezeite Mylowanow.
Gefälschte Promi-Bilder: Moskau startet massive Fake-News-Welle
Dass man es in Russland mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt, wurde derweil am Wochenende erneut in den sozialen Netzwerken deutlich. Tausendfach verbreiteten obskure Accounts etwa bei X gefälschte Bilder von Prominenten wie Fußballstar Lionel Messi, Schauspieler Matthias Schweighöfer oder Sänger Elton John. Auf den Bildern waren erfundene Zitate abgebildet, in denen sich die Prominenten angeblich gegen die weitere Unterstützung der Ukraine aussprachen.
Nach einer Recherche des russischen Investigativmediums „Agentstvo“ veröffentlichten russische Bots am Wochenende in nur wenigen Stunden rund 120.000 Beiträge mit gefälschten Zitaten von Prominenten. Zuvor hatte der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew in der Vorwoche angekündigt, Europa mit Fake-News überziehen zu wollen.