AboAbonnieren

„Hart aber fair“Sächsischer Bürgermeister fordert AfD-Koalition – da werden Gäste deutlich

Lesezeit 6 Minuten
Zur Frage, ob man mit der AfD koalieren solle, da hatten vertraten die „Hart aber fair“-Gäste unterschiedliche Standpunkte, von links: Mirko Geißler, Herbert Reul, Antje Hermenau und Moderator Louis Klamroth. (Bild: ARD)

Zur Frage, ob man mit der AfD koalieren solle, da hatten vertraten die „Hart aber fair“-Gäste unterschiedliche Standpunkte, von links: Mirko Geißler, Herbert Reul, Antje Hermenau und Moderator Louis Klamroth. (Bild: ARD)

Dass Politik in der „Vertrauenskrise“ steckt, darüber waren sich die Gäste von ARD-Talker Louis Klamroth einig, über den Weg hinaus weniger.

Louis Klamroth hatte sich am Wochenende mal wieder unters Volk gemischt: Er hatte das größte „Dorffest“ der Region, das Festival „Wasted in Jarmen“ in Vorpommern, besucht, das die Punkband Feine Sahne Fischfilet 2016 erstmals organisiert hatte. Als „ein Festival für und nicht dagegen“, betonte Mit-Initiator und Lead-Sänger Jan Gorkow - besser bekannt unter seinem Spitznahmen Monchi. Ihn hatte Klamroth nach dem Festival direkt ins „Hart aber fair“-Studio eingeladen. Dort ging es am Montagabend im Ersten um das Thema: „Die große Vertrauenskrise: Versteht die Politik die Bürger noch?“

Das Dorffest sei eine Initiative „für unsere Heimat“, fand Monchi klare Worte. Die jüngsten AfD-Erfolge in Thüringen und Sachsen könnten sich bei den dortigen Kommunalwahlen wiederholen. „Wenn man will, kann man sagen: Wir machen ein demokratisches Festival“, erklärte der 1987 geborene Sänger. Es gehe nämlich auch darum, ein Angebot für Jugendliche zu schaffen. Schließlich wären nicht alle 15- bis 17-Jährigen, die rechte oder rechtsextremistische Parolen aussprechen oder die AfD befürworten, „Überzeugungsfaschos“.

„Hart aber fair“: Herbert Reul (CDU) beängstigt „fundamentale Anti-Stimmung“

Politikberaterin Antje Hermenau verglich das BSW mit einer jamaikanischen Briefkastenfirma. (Bild: ARD)

Politikberaterin Antje Hermenau verglich das BSW mit einer jamaikanischen Briefkastenfirma. (Bild: ARD)

Die Stimmanteile unter den 18 bis 24-Jährigen für die AfD lagen bei den Landtagswahlen in Thüringen bei 38 Prozent. „Junge Menschen leben in einer Gesellschaft, in der es ständig um Spaltung geht“, verwies die iranisch-deutsche Journalistin Gilda Sahebi auf omnipräsente Gegenpole wie fleißig - faul, Gewinner - Verlierer. Dieses Bild würden jungen Menschen glauben. Zudem sei die AfD auf TikTok erfolgreicher als die Grünen oder die SPD, weil sie authentisch sei: „Die AfD lügt und manipuliert offen und ist absolut authentisch in ihrem Hass.“

Alles zum Thema Hart aber fair

„Das ist verkürzt“, konnte Antje Hermenau (Politikberaterin und Autorin) dieser Darstellung wenig abgewinnen. Bis auf die über 60-Jährigen, die sich aus Tradition loyal gegenüber Parteien wie der CDU verhielten, sei die AfD über alle Altersgruppen hinweg gewählt worden. Es sei ein „Denkfehler“, dass „irrgeleitete Jugendliche die Wahl bestimmt“ hätten. Wohin man sie, also die „Irrgeleiteten“ denn zurückholen wolle, wollte sie wissen und antwortete selbst: „Wenn das Angebot der großen Parteien so schlecht ist, kann man keinen zurückholen.“

Den Schuh wollte sich Petra Köppingm SPD-Sozialministerin in Sachsen, nur bedingt anziehen. Man dürfe nicht aufgeben, sondern müsse die „Generation, die stark AfD wählt, wieder erreichen“, plädierte sie für ein parteiübergreifendes Vorgehen.

Der Meinung war auch NRW-Innenminister Herbert Reul, den das Wahlergebnis bei den Jungen extrem beunruhigt. „Bei alten Männern, die von gestern träumen, erledigt sich das irgendwann von selbst“, fügte der 72-jährige CDU-Politiker hinzu. Lachen und Applaus waren die Folge.

Beides verging gleich wieder: „Die schlimmste Zahl ist aber, dass 60 Prozent mit dem Staat nichts mehr anfangen könnten“, hielt Reul die „fundamentale Anti-Stimmung“ für beängstigend und hoffte angesichts der Ergebnisse der Landtagswahlen, „dass alle den Schuss gehört hätten“. Wie sehr sich das Publikum das wünschte, zeigte der anschließende Applaus.

„Hart aber fair“: Politik „wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen“ - Journalistin erntet tosenden Applaus

„Die Politiker nehmen sich nicht die Zeit nachzudenken“, kannte Journalistin Gilda Sahebi einen Grund für die Unzufriedenheit der Menschen mit den Parteien. Im Westen und Osten. Gerade in der Krise wolle man doch einen Freund, der ruhig ist und sich die Zeit nimmt, Themen zu besprechen. In der Politik passiere das Gegenteil. Die Politiker würden nicht nachdenken und entscheiden, sondern „wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen“ Maßnahmen treffen, meinte sie und nannte den nach dem Terrorangriff in Solingen schnell einberufenen Migrationsgipfel als Beispiel. „So kann es nicht funktionieren - und so funktioniert es seit Jahren“, lautete ihre Kritik, die auf tosenden Applaus stieß.

Louis Klamroth (Mitte) diskutierte mit seinen Gästen zum Thema: „Die große Vertrauenskrise: Versteht die Politik die Bürger noch?“ (Bild: ARD)

Louis Klamroth (Mitte) diskutierte mit seinen Gästen zum Thema: „Die große Vertrauenskrise: Versteht die Politik die Bürger noch?“ (Bild: ARD)

Vielleicht wäre jetzt eine gute Gelegenheit nachzudenken, wollte Reul die Krise als Chance wahrgenommen wissen. Denn: „Wenn Politik nicht den Anspruch hat, Probleme zu lösen, können wir abtreten.“ Was das im Hinblick auf das Migrationsthema bedeute, wollte Sahebi von ihm wissen. Für 48 Prozent der Deutschen wäre das Umfragen zufolge das wichtigste Problem. Es brauche eine Lösung an den europäischen Außengrenzen, meinte der CDU-Politiker und verwies auf eine Vereinbarung zwischen Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Türkei.

Zufriedenstellen konnte er die Journalistin mit diesen Lösungsansätzen allerdings nicht: „Aktuell sprechen wir von 2,5 bis 3 Millionen Geflüchteten“, brachte sie Zahlen ins Spiel, „wenn sich 84 Millionen Menschen durch drei Millionen Menschen überfordert fühlen, stimmt mit dem Land etwas nicht.“ Ihrer Ansicht lenke das Thema Migration nur von tieferliegenden strukturellen Themen ab.

Die Bundesregierung wäre bei den Landtagswahlen nicht „abgewatscht worden für das Migrationsthema“, stimmte Mirko Geißler (parteiunabhängiger Bürgermeister von Grünhain-Beierfeld in Sachsen) zu. Es sei ein wichtiges Thema, aber auch „die mit der Brechstange durchgesetzte“ Umweltpolitik, und dass „Betriebe den Bach runtergehen“, seien Probleme der Menschen.

„Hart aber fair“: „Demokratie ist manchmal schwer auszuhalten“

Louis Klamroth präsentiert „Hart aber fair“ 2024 in neuem Look und neuem Konzept. (Bild:  WDR/Julia Sellmann)

Louis Klamroth präsentiert „Hart aber fair“ 2024 in neuem Look und neuem Konzept. (Bild: WDR/Julia Sellmann)

Ebenso ernst genommen werden müsste nach Meinung des Bürgermeisters auch das „eindeutige“ Wahlergebnis in Sachsen und Thüringen: „Demokratie ist manchmal schwer auszuhalten“, bezog er sich auf seiner Erfahrung in Norwegen, wo eine Rechtspartei in der Regierung saß. „Nehmt die AfD in die Verantwortung!“, forderte er in der Talk-Show, „die stehen jetzt als Zuschauer auf den Rängen und da sitzen die besten Schiedsrichter. Holt sie auf die Spielfläche!“ Dort sollten sie zeigen, was sie können. Wenn das nicht passiere, wären es vergeudete fünf Jahre und bei der nächsten Wahl würden sie 40 bis 50 Prozent erreichen.

„Es lässt sich leicht sagen, die sollen machen, wenn Sie nicht zur betroffenen Hassgruppe gehören“, widersprach Sahebi und verwies darauf, dass Donald Trump ein Gegenbeispiel dieser „Entzauberungs-Theorie“ wäre. „Die entzaubern nicht, dann kommen dieselben Mechanismen oder andere kommen hoch“, warnte sie.

Man werde „keine Minute darüber nachdenken, das ist der Punkt. Das Risiko ist mir zu groß“, lehnte Reul diese Möglichkeit genauso kategorisch ab wie SPD-Politikerin Köpping, die sich mit anderen Landespolitikern um die Regierungsbildung kümmern muss: Mit einer gesichert rechtsextremen Partei wie der AfD könne man nicht zusammenarbeiten.

Politikberaterin: „Das BSW gibt es nicht, es ist Fake. Es ist ein Postkasten in Jamaika“

„Aber mit dem BSW kann man? Ich bin entsetzt!“, kam der empörte Zwischenruf von Antje Hermenau. Die Antwort Köppings, das man das noch nicht wisse, ignorierte sie: „Das BSW gibt es nicht, sie ist Fake. Es ist ein Postkasten in Jamaika“, holte sie aus, „da geht keiner ans Telefon.“ „Das ist bei mir manchmal auch so“, scherzte Klamroth. „Lassen Sie das mit dem Unterbrechen“, maßregelte ihn sein Gast und bezeichnete die Gespräche mit dem BSW als „Übersprungshandlung, weil man sich nicht traut, sich mit der AfD zusammenzusetzen und auszudiskutieren“.

Wie 40 andere Mitglieder der Partei, die sich bereits öffentlich dazu geäußert hatten, würde auch CDU-Politiker Keul mit dem Bündnis von Sahra Wagenknecht „niemals zusammenarbeiten“. Einen Ratschlag an die Kollegen in Sachsen und Thüringen wollte er aber vermeiden, denn „sie müssen eine Regierung hinkriegen. Das ist nicht leicht.“

„Diese Argumentation ist der Grund, dass die AfD in nicht allzu ferner Zukunft regieren wird“, unkte Sahebi, „die einen sagen, sie ist nicht so schlimm. Die anderen wollen sie argumentativ schlagen. Das geht nicht.“ Man müsse die Werte klarmachen, für die man stehe

Monchi: „Dieses Weltuntergangsszenario geht mir auf den Sack!“

„Dieses Weltuntergangsszenario geht mir auf den Sack!“, konnte Monchi mit diesem „Gejammere“ genauso wenig anfangen wie mit dem „peinlichen Politikgebashe“ (“Der Rechtsruck war schon vor der Ampel-Koalition da. Man sollte nicht so tun, dass die wegen Robert Habeck so stark geworden sind.“). Sich zu erzählen, wie schlimm alles ist, mache alles nur noch schlimmer. Man müsse auch die „geilen Geschichten erzählen“, lenkte er den Blick auf positive Initiativen. Das Dorffest in Jarmern wäre nur eine davon. (tsch)