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„Hart aber fair“ über Wahlen„Ändert sich nichts, steht die AfD in fünf Jahren bei 50 Prozent“

Lesezeit 6 Minuten
Louis Klamroth (Mitte) sprach mit seinen Gästen zum Thema „Triumph für AfD und BSW: Wie verändern diese Wahlen das Land?“. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Louis Klamroth (Mitte) sprach mit seinen Gästen zum Thema „Triumph für AfD und BSW: Wie verändern diese Wahlen das Land?“. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Zäsur, Zeitenwende oder Warnschuss: Wer regiert künftig in Sachsen und Thüringen? Darum ging es am Montag bei „Hart aber fair“.

Nachdem die AfD am Sonntag stärkste Kraft bei einer Landtagswahl geworden, sucht die als rechtsextrem eingestufte Partei Regierungsverantwortung: „Es wird schwierig ohne uns“, betonte Beatrix von Storch, stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, in der Talkshow „Hart aber fair“ am Montag. „Eine klare Mehrheit in Sachsen und Thüringen hat eine große Koalition von AfD und CDU gefordert, doch diese scheitert an den Brandmauern der CDU“, sagte von Storch. „Jetzt soll sie erst mal damit klarkommen.“

Klarkommen muss auch die Wirtschaft mit dieser für sie schlechten Nachricht: „Was der Osten politisch braucht, um Wachstum zu generieren, ist nicht das, was die AfD fordert“, erklärte Ökonomin Veronika Grimm zum Thema „Triumph für AfD und BSW: Wie verändern diese Wahlen das Land?“ So wären in den neuen Chipfabriken im Osten Fachkräfte gefragt.

Doch „die kommen nicht, wenn sie Angst um ihr Wohl haben“, sprach sie von gerechtfertigten Sorgen der Unternehmen. Dazu zähle die kritische Haltung der AfD gegenüber der EU, die einen „Einbruch der deutschen Wirtschaft herbeiführen“ könnte.

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„Hart aber fair“: Beatrix von Storch findet die Ampel schlechter als den Brexit

Als Mitglied des unabhängigen Sachverständigenrats für Wirtschaft saß Grimm im ersten Block der Sendung Beatrix von Storch gegenüber. Und die AfD-Politikerin vertrat naturgemäß eine andere Position als die - laut von Storch „mutmaßlich CDU-nahe“ - „Wirtschaftsweise“: Wirtschaftliche Herausforderungen wie der Fachkräftemangel wären „hausgemachte Probleme, und die AfD als Ursache heranzuziehen, nimmt keiner ab“, lehnte sie Klamroth's Unterstellung, „Fachkräfte zu vergraulen“, ab.

„Es wird schwierig ohne uns“, sagte Beatrix von Storch von der AfD im Gespräch mit Loius Klamroth. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

„Es wird schwierig ohne uns“, sagte Beatrix von Storch von der AfD im Gespräch mit Loius Klamroth. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

„Hochqualifizierte, die wir brauchen, kommen nicht und die, die wir bekommen, brauchen wir nicht“, kritisierte sie Initiativen der Bundesregierung in Nigeria und vermeintlich „inhaltslose Floskeln“ sowie Kampagnen wie „Made in Germany. Made by Vielfalt.“ Auch Grimms Kritik am geforderten EU-Austritt der AfD lehnte sie ab. Die Politik der Ampel sei schlechter als der Brexit, sprach sie von einer Zerstörung der deutschen Energiewirtschaft und Industrie.

„Das stimmt nicht“, widersprach Grimm. Der Brexit sei eine „massive Fehlentscheidung“ gewesen. Für Deutschland, das viel stärker in die EU eingebunden sei, wäre eine ähnliche Abkapselung von der EU eine „Katastrophe“.

„Wird sich nichts ändern, wird die AfD in fünf Jahren 40 oder 50 Prozent stehen“

Das Wort „Katastrophe“ nahm im zweiten Block der Talkshow zwar keiner der Gäste in den Mund. Auf der Zunge könnte es dem einen oder der anderen aber gelegen haben: Schließlich diskutierten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Thorsten Frei (Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der CDU), BSW-Generalsekretär Christian Leye, Markus Feldenkirchen (Hauptstadtjournalist „Der Spiegel“), Podcaster und Schriftsteller Hendrik Bolz sowie Jana Hensel von „Die Zeit“ über Koalitionsmöglichkeiten und die Bedeutung der Wahlen für die Ampelregierung.

Die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen wären nur ein „weiterer Schritt in einer besorgniserregenden Entwicklung“, analysierte Letztere. Wie sie wollte auch Podcaster Bolz nicht von einer Zäsur sprechen (“Der Begriff nutzt sich ab“), gab allerdings zu bedenken, dass bereits vor fünf Jahren die AfD nur knapp als stärkste Kraft in Thüringen verhindert worden wäre. „Wird sich nichts ändern, wird die AfD in fünf Jahren 40 oder 50 Prozent stehen“, hoffte er, dass der Warnschuss diesmal „auf großer Bühne begriffen wurde.“

Hat Karl Lauterbach neuerdings legale Substanzen geraucht? „Spiegel“-Journalist Markus Feldenkirchen (rechts, mit Louis Klamroth) hatte die Lacher auf seiner Seite. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Hat Karl Lauterbach neuerdings legale Substanzen geraucht? „Spiegel“-Journalist Markus Feldenkirchen (rechts, mit Louis Klamroth) hatte die Lacher auf seiner Seite. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Die Chance dafür läge bei „nullkommanull“, verortete Markus Feldenkirchen (Hauptstadtjournalist „Der Spiegel“) bei den Bundesparteien nur „Schönreden und Rechtfertigen“.

„Als das Geld weg war, war auch die Einheit weg“

Beides fand auch in der Sendung statt: Jeder zweite CDU-Wähler hätte die Partei in Sachsen nur gewählt, um zu viel Einfluss der AfD zu verhindern, zitierte Klamroth Studien. Als ein „Armutszeugnis“ für die CDU betrachtete das Thorsten Frei nicht: Bei der Wahl hätten vor allem bundespolitische Themen wie Migration im Vordergrund gestanden, wollte der CDU-Politiker kein „Blame-Game“ gegenüber der Ampel betreiben, tat es später aber doch.

„Wir haben einen erheblichen Anteil daran“, versuchte Gesundheitsminister Lauterbach erst gar nicht, eine Mitschuld an diesem „schwierigen und bestürzenden Ergebnis, das mir für beide Länder leid tut“, kleinzureden. Für dieses Eingeständnis erntete er Applaus.

Was hat Lauterbach „von seinen legalen Pflanzen auf dem Balkon wieder geraucht“?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (links) musste wegen seines Lobes für Olaf Scholz Häme einstecken, verteidigte den Bundeskanzler aber auch im Gespräch mit Louis Klamroth. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (links) musste wegen seines Lobes für Olaf Scholz Häme einstecken, verteidigte den Bundeskanzler aber auch im Gespräch mit Louis Klamroth. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Die AfD wäre bereits unter der CDU gewachsen. „Während Ihrer Regierungszeit ist die AfD um 10 Prozent gestiegen“, brachte Hensel Zahlen ins Spiel. Dass Lauterbach unlängst Olaf Scholz in einem Interview (dennoch) als „besten Bundeskanzler“ gelobt hatte, stieß nicht nur bei der „Zeit“-Autorin auf Verwunderung. Er habe gedacht: „Was hat er von seinen jetzt legalen Pflanzen auf dem Balkon wieder geraucht?“, brachte Feldenkirchen die Lacher auf seiner Seite.

Eine Qualifikation würde Scholz abgehen, wurde der Journalist sofort ernst: „Zwei bis drei Parteien, die ein Welt- und Menschenbild haben, das nicht gut zusammenpasst, zusammenzuhalten, ist erkennbar nicht gelungen“, urteilte Feldenkirchen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe bezeichnete er als Wendepunkt: „Als das Geld weg war, war auch die Einheit weg.“

„Die Menschen wollen Erfolge sehen“, nutzte Frei die Gelegenheit, die Migrations- und Wirtschaftspolitik der Ampel zu kritisieren. „Lauterbach stöhnt neben mir“, gab Klamroth dem Gesundheitsminister eine Möglichkeit, darauf zu reagieren: „Wir machen viel und es so hinzustellen, als schaffen wir nichts, ist nicht richtig“, verwies dieser auf das Überwinden der Inflation und der Abhängigkeit vom russischen Gas.

Louis Klamroth horcht auf: „Sie hoffen, dass Leute die Partei verlassen?“

„Was wir zwischen Frei und Lauterbach sehen, kommt nicht gut an“, unterbrach Christian Leye (BSW-Generalsekretär) den Schlagabtausch. Es gehe nicht darum, ob die frühere oder aktuelle Regierung schuld wäre. „21 Prozent der Bevölkerung ist von Armut bedroht, während die Spitze der Gesellschaft eine Partie feiert, zu der sie nicht eingeladen ist“, sprach er von den Problemen der Menschen. „Die Reallöhne liegen auf dem Niveau von 2016. Acht verlorene Jahren spüren die Leute.“ Und statt Lösungen zu bieten, fände ein Ehestreit auf offener Bühne statt.

„Sie haben bald das Vergnügen oder die Bürde der Regierungsverantwortung, um sich um die Themen zu kümmern“, kam Klamroth auf Koalitionsmöglichkeiten zu sprechen. Durch die CDU-Entscheidung, weder mit der Linkspartei noch mit der AfD zusammenzuarbeiten, handelte es sich um eine „extrem schwierige Regierungsbildung“, gab Hensel zu bedenken.

„Wie machen Sie es dann in Thüringen?“, wollte Klamroth wissen. „Heute steht es 44 zu 44, doch wer sagt, dass es so bleibt?“, wollte sich Frei nicht festlegen. „Sie hoffen, dass Leute die Partei verlassen?“, wurde der Moderator neugierig, Ob es Überläufer gäbe, würde auch Leye interessieren: „Nach meinem Wissen ist nichts im Fluss“, meinte er. „Es werden Gespräche geführt“, antwortete Frei. „Jetzt muss ich nochmals nachfragen: Versuchen Sie Gespräche mit linken Abgeordneten zu führen, dass sie rüberwandern zum BSW?“, ließ Klamroth nicht locker. „Wir führen sie nicht“, stieg Leye gerne auf das Geplänkel ein.

Thorsten Frei (CDU): „Wir werden unsere Außen- und Sicherheitspolitik nicht auf dem Altar opfern“

Mit einem „Nein“ von Frei fand dieses ein jähes Ende. Während er eine Koalition mit den Linken weiterhin ausschloss, wäre auch eine Zusammenarbeit mit dem BSW keine „Wunschkonstellation“. Vor allem käme nicht infrage, „sich vom BSW aus dem Off unsere Sicherheitspolitik diktieren zu lassen“, versprach er, „unsere Außen- und Sicherheitspolitik nicht zu verändern und nicht auf dem Altar zu opfern.“

Eine ebenso klare Ausage kam von BSW-Politiker Leye: „Für uns ist das ein zentraler Punkt“, betonte der, „zwei Drittel lehnen eine Stationierung von Mittelstreckenraketen ab, im Osten wahrscheinlich noch mehr. Vielleicht ist es eine gute Idee, den Wählerwillen ernst zu nehmen.“

Wie angesichts dieser Diskrepanzen eine Koalition in Thüringen aussehen könnte, war nur eine der vielen Fragen, auf die auch Louis Klamroth an diesem Montag keine Antwort finden konnte. (tsch)