Für Sahra Wagenknecht und ihr Polit-Start-up scheint alles nach Plan zu laufen. Doch an der Basis kehren die ersten ihr bereits den Rücken.
Links, rechts, ungelöstSchleift das Bündnis Sahra Wagenknecht die Brandmauer nach rechts außen?
Die Zicklein erkennen Carsten Berg sofort, als er den Stall betritt. Sie stürmen auf ihn zu, lassen sich bereitwillig am Köpfchen kraulen. Vorne im urigen Dreiseithof in Bertsdorf bei Zittau im deutsch-tschechisch-polnischen Dreiländereck verkauft Carsten Bergs Frau Agnes Mocha Ziegenkäse und Vollkornbrot, so wie auch jeden Mittwoch auf dem Zittauer Wochenmarkt.
Auch Carsten Berg steht in diesen Tagen viel auf Marktplätzen, ohne Käse, dafür aber mit Klemmbrett und Flyern in der Hand: Der 54-jährige Biobauer und Agrarwissenschaftler sammelt Unterschriften für seine Direktkandidatur für den sächsischen Landtag. Zum ersten Mal in seinem Leben engagiert sich Berg in einer Partei.
In gewisser Weise schließt sich für ihn ein Kreis: 1990, bei seiner ersten Bundestagswahl, hat er für Oskar Lafontaine gestimmt, damals Kanzlerkandidat der SPD. 34 Jahre und drei Parteiwechsel später baut Lafontaine nun die Partei auf, die nach seiner Frau Sahra Wagenknecht benannt ist. Und Berg ist dabei.
BSW: Carsten Berg kämpft im AfD-Kernland für Stimmen
Die Bauernproteste Anfang des Jahres waren sein letzter Auslöser. Die Probleme, die sich über Jahre aufgestaut hatten, dazu die AfD, die scheinbar unaufhaltsam wächst – für Berg war klar: Es muss etwas Neues her. „Immer mehr Menschen hier haben das Gefühl, nicht gesehen und nicht gehört zu werden“, sagt er in der Wohnküche im alten Bauernhaus. Bei jeder Tür muss sich der schlaksige Mann bücken.
Seit 20 Jahren leben Agnes Mucha und Carsten Berg hier – und sie bekommen mit, wie sich die Stimmung hier, im AfD-Kernland, von Jahr zu Jahr mehr verdüstert. „Die gesellschaftlichen Kontroversen werden in den Krisen seit 2015 immer zugespitzter“, sagt Berg. „Es ist eine Repräsentationslücke entstanden, die wir mit dem BSW füllen wollen.“
Gerade hat er zwei überzeugten AfD-Wählern auf dem Marktplatz Unterschriften fürs BSW abgeluchst. Sie müssten ihn ja nicht wählen, hat er gesagt. Aber es sei doch wichtig, „dass es auch andere demokratische Angebote jenseits der etablierten Parteien gibt“.
BSW-Mitglied ist Berg noch nicht. Im Januar hat er seinen Mitgliedsantrag eingereicht, bisher kam noch keine Rückmeldung aus Berlin. Die Partei wächst weiter langsam, das ist von der Gründerin so gewollt.
„Wir versuchen alles, um diejenigen fernzuhalten, die normalerweise junge Parteien chaotisieren“, sagt Sahra Wagenknecht dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „und zugleich diejenigen nach und nach in die Partei zu holen, die ehrlich, solide und konstruktiv arbeiten. Das ist nicht einfach, man muss Menschen kennenlernen, das ist ein längerer Prozess und nicht immer ist der erste Eindruck der richtige.“
Nach Europawahl: Die Erwartungen an das BSW steigen
Berg spricht trotzdem schon von „wir“, wenn er das BSW meint. „Wir sind stolz auf uns“, sagt er. „Das hat noch keiner geschafft, in so kurzer Zeit eine Partei aus dem Boden zu stampfen und erfolgreich zu Wahlen anzutreten.“ Wenn es etwas Gemeinsames gebe unter den BSW-Neulingen im Landkreis, zwischen Ex-Linken und Ex-Parteilosen, sei es die „pazifistische Grundauffassung“, glaubt Berg. „Ich finde Kriege einfach schrecklich. Und es gibt keine Friedenspartei mehr in Deutschland.“
Das allein aber wird nicht reichen, die Erwartungen steigen. Kann die junge Partei bei den Landtagswahlen ihren Erfolg wiederholen und zweistellig werden? Und wenn ja: Wie ginge man dann in Koalitionsverhandlungen mit Michael Kretschmers CDU – und lässt sich nicht über den Tisch ziehen?
„Es wäre schön, wenn die Landtagswahl erst nächstes Jahr wäre“, seufzt der Neupolitiker Berg da. Er selbst wird auf Listenplatz 24 vermutlich nicht in den Landtag einziehen, aber er macht sich natürlich seine Gedanken. „Bevor wir uns für Koalitionsverhandlungen und eine Regierungsbildung entscheiden, müssen wir selbstkritisch prüfen, ob wir dem gewachsen sind.“
Wagenknecht formuliert es so: „Wir haben bei den ostdeutschen Wahlen, wenn wir stark werden, eine reale Chance, das Leben der Menschen zu verbessern.“ Eine Koalition um jeden Preis aber werde es nicht geben. Doch die Parteichefin denkt in diesen Tagen alles von 2025 her, von der Bundestagswahl, bei der sie zum ersten Mal selbst kandidieren wird.
Rund 8 Millionen Euro an Spenden standen dem BSW zur Verfügung
Schadet oder nutzt eine Regierungsbeteiligung in Sachsen oder Thüringen dem BSW? Das ist ihre Frage. Können und wollen wir das? Das ist die Frage der Landesverbände. Das muss im Herbst nicht deckungsgleich sein.
„Sahra Wagenknecht ist für uns kein Guru, wir sind auch nicht ihr Fanclub“, sagt Berg in seiner Wohnküche. Aber natürlich weiß auch er: „Es ist ein Pfund, mit so einer bekannten Person in den Wahlkampf ziehen zu können.“ 140.000 Plakate hatte das BSW im Europawahlkampf aufgehängt, die meisten zeigten die Chefin. 18 Auftritte absolvierte Wagenknecht, im August und September werden es in Sachsen, Thüringen und Brandenburg weit über 20 werden.
Wagenknecht wirkt gelöst, wenn man in diesen Tagen mit ihr spricht. Alles scheint nach Plan zu laufen, auch finanziell. Von den 8 Millionen Euro Spendeneinnahmen wurden 3,5 Millionen für die Europa- und Kommunalwahlkämpfe ausgegeben. Mit 2,75 Millionen Euro aus der staatlichen Parteienfinanzierung rechnet Schatzmeister Ralph Suikat. Um den Betrag ausschöpfen zu können, braucht das BSW mehr regelmäßige Förderer, darum soll jetzt verstärkt geworben werden. Das Polit-Start-up BSW, als das es seine Führungskader sehen, kann also weiter skalieren.
Landtagswahl in Brandenburg: Wachsende Hoffnungen beim BSW
In Brandenburg lag die Wagenknecht-Truppe bei der Europawahl knapp vor der SPD, die hier seit 1990 regiert. Gerade hat Robert Crumbach der Parteispitze die Liste für die Landtagswahl in Brandenburg präsentiert. Am kommenden Wochenende soll sie auf dem Parteitag beschlossen werden.
In den verbliebenen zwei Wochen bis zu den Sommerferien im Land werden die 60 Mitglieder und 1000 Unterstützer ausschwärmen, um die Unterschriften für die Wahlanmeldung zu sammeln. Alles ist auf Kante genäht, die Hoffnungen aber wachsen mit jedem Tag.
Der Jurist und Arbeitsrichter Crumbach, 61 Jahre alt, war zuvor 40 Jahre in der SPD. Beim Treffen in der Kantine des Potsdamer Landtags trifft er auf das märkische SPD-Urgestein Günter Baaske. Der Ex-Sozialminister kandidiert mit 66 Jahren nicht mehr für den Landtag. Crumbach springt auf, umarmt Baaske kurz, es sieht ein bisschen aus wie ein Wachwechsel.
Ebenso wie Carsten Berg in seinem Bauernhof spricht Crumbach ruhig und überlegt, nichts Schrilles kommt über seine Lippen. Keine Talkshowsätze, wie sie die Chefin äußert, von der „dümmsten Regierung aller Zeiten“ oder der Forderung, Kinder müssten „Rechnen statt Gendern“ in der Schule lernen.
Crumbach stellt lieber rhetorische Fragen: „Ist es Populismus, wenn ich darauf hinweise, dass die Regierung nicht ordentlich arbeitet? Dass es Sachen gibt, die schieflaufen?“ Offensichtlich, so sieht er es, fehlt es an der Kompetenz, Probleme zu lösen. „Sonst wäre der Unmut nicht so stark, sonst würden andere und auch wir nicht so gut dastehen.“
Trotz erster Erfolge: erste Mitglieder verlassen Partei von Sahra Wagenknecht
Doch auch nach den ersten Erfolgen, auch bei den immer weiter steigenden Umfragewerten, beginnt es an mehreren Stellen in der jungen Partei bereits zu bröckeln.
Während Carsten Berg noch auf die Entscheidung über seinen Mitgliedsantrag wartet, sind andere schon wieder ausgetreten. Im Landkreis Gotha wollen zwei frisch gewählte BSW-Kreisräte nun lieber für Hans-Georg Maaßens Werteunion zur Landtagswahl antreten. Das BSW sei „nicht das, was ich gedacht habe“, sagte einer von ihnen.
Im Saarland schmiss der Landesvorsitzende Randolf Jobst hin. Dabei war es Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine persönlich, der ihn in die Partei lockte. Ein gestandener Bäcker sollte als Symbol dafür dienen, wie breit die neue Partei aufgestellt ist.
Als gestandener Bäcker sollte Jobst beim BSW Karriere machen
In seinem Café Jobst in Merzig, dem Wohnort von Lafontaine und Wagenknecht an der Grenze zu Frankreich, empfingen die beiden über Jahre hinweg Journalisten. Doch dabei blieb es nicht. Jobst erzählt von langen Gesprächen bei Lafontaine zu Hause: „Wir haben uns darüber ausgetauscht, was es in der heutigen Zeit bräuchte. Und hatten eine große Übereinstimmung bei unseren Meinungen.“
Bei den privaten Treffen habe Lafontaine ihm regelmäßig imponiert. So gab ihm der ehemalige Finanzminister tiefe Einblicke in seine politische Karriere: „Ich war sehr stolz, was er mir alles erzählt und gezeigt hat.“
Auf Wunsch von Lafontaine habe er ein Amt übernommen, obwohl das nie sein Plan gewesen sei: „Ich wollte die Geschäftsführung machen. Aber man bat mich, den Vorsitz im Saarland zu übernehmen. Also tat ich das.“ Es folgte die Gründungsversammlung und nach Aussagen von Jobst ein „super Anfang – zumindest die ersten zwei Monate“. Schon bald kam es zu internen Reibereien, erzählt Jobst. Für die habe vor allem seine Co-Vorsitzende Astrid Schramm gesorgt: „Sie hat permanent der parteiinternen Linie widersprochen, aber niemand hat etwas gesagt.“
Wie auch Lafontaine war Schramm zuvor Mitglied bei der SPD und der Linken. Von 2009 bis 2022 saß sie im saarländischen Landtag. Im selben Zeitraum war Oscar Lafontaine Fraktionsvorsitz der Linken im Saarland.
Astrid Schramm äußerte sich kurz nach der Europawahl zur AfD: Eine kommunale Zusammenarbeit sei nicht ausgeschlossen – wenn es inhaltliche Schnittmengen gäbe. Kurz darauf versuchte die Saarländerin, ihre Aussage wieder einzufangen, lehnte aber eine inhaltliche Zusammenarbeit von AfD und BSW nicht ab. Nur eine Koalition würde es mit der AfD nicht geben. Im Saarland wird voraussichtlich Anfang 2027 ein neuer Landtag gewählt.
Für Jobst war das der letzte Anlass für seinen Austritt. „Für mich war und ist klar, dass man mit einer rechten Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, nicht zusammenarbeiten kann.“
BSW: Keine klare Abgrenzung zur AfD
Er habe sich ein offizielles Statement gewünscht, dass man nicht mit der AfD zusammenarbeitet. Wagenknecht sagt dem RND dazu: „Man sollte einen Antrag danach bewerten, ob das Geforderte richtig oder falsch ist, und nicht danach, wer ihn eingebracht hat. Sonst liefert man der AfD nur Vorlagen, um alle anderen vorzuführen. Damit hat man sie in den zurückliegenden Jahren immer stärker gemacht. Und wir werden ganz sicher keinen Antrag deswegen nicht stellen, weil die AfD vielleicht zustimmen könnte.“
Zum Rücktritt von Jobst sagt sie nur knapp: „Es gab da offenbar Spannungen im Landesvorstand. Ich war nicht dabei, deshalb will ich das gar nicht bewerten.“
Randolf Jobst glaubt inzwischen, nur benutzt worden zu sein: „Rückblickend habe ich das Gefühl, dass man mich nur gebraucht hat, um auch andere Gesichter als ehemalige Linke präsentieren zu können – normale Menschen aus der Mitte. Im Nachhinein ist man immer schlauer.“