Der ukrainische Präsident präsentiert dem Kanzler seinen geheimen „Siegesplan“. Er hält es für möglich, dass der Krieg 2025 endet. Aber das Wie ist unklar.
Selenskyj bei ScholzMüssen Putin „zum Frieden zwingen“ – weitere Waffenlieferung an die Ukraine
Das Kanzleramt ist weiträumig abgesperrt, die Polizei sichert das Gelände, S-Bahnen fahren eingeschränkt, Hubschrauber fliegen über dem Regierungsviertel, es gilt Sicherheitsstufe 1. Das ukrainische Staatsoberhaupt Wolodymyr Selenskyj ist in Berlin. Sein Land wird von Russland zerstört, Munition geht aus, es fehlt an Luftverteidigung, an Waffen, an Soldaten. Aber der Präsident spricht von einem „Siegesplan“, mit dem er ein Ende des Angriffskriegs von Kremlchef Wladimir Putin im nächsten Jahr erreichen will. Nur: Das Wie bleibt noch geheim.
Der Bundeskanzler holt Selenskyj am Freitag vom Helikopter ab. Olaf Scholz im Anzug, der Gast aus dem Kriegsgebiet wie gewohnt in Pullover und olivgrüner Hose. Selenskyj kündigt an, dass er Scholz seinen Plan erklären werde. Bisher ist dieser Verschlusssache. Zuerst hatte Selenskyj mit US-Präsident Joe Biden darüber gesprochen, vor Berlin machte er in London, Paris und Rom Station.
Selenskyj erklärt Scholz in Berlin seinen „Siegesplan“ über Russland
Und immer wieder bittet er um die Erlaubnis, vom Westen gelieferte Raketen gegen Militärstandorte auf russischem Staatsgebiet abfeuern zu dürfen. Bisher hat er dafür keine Zusage der USA oder von Großbritannien und Frankreich, die ihm solch weitreichende Waffen geliefert haben. Scholz hatte jüngst die Bitte scharf zurückgewiesen - allerdings ist Deutschland in diesem Fall gar nicht gefragt. Denn der Kanzler hat aus Sorge, die Nato könne in den Krieg hineingezogen werden, Kiew die dazu fähigen Taurus-Marschflugkörper nicht überlassen. Selenskyj steht neben Scholz und betont: „Wir haben immer alles dafür getan, dass dieser Krieg sich nicht ausweitet.“
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Der Kanzler kündigt weitere Militärhilfe an: „Bis zum Jahresende werden wir außerdem mit Unterstützung unser Partner Belgien und Dänemark und Norwegen ein weiteres militärisches Unterstützungspaket im Wert von rund 1,4 Milliarden an die Ukraine liefern.“ Darin enthalten seien weitere Luftverteidigungssysteme, Panzer, Drohnen, Radare, Artilleriemunition. Den deutschen Anteil hatte der Verteidigungs- und der Haushaltsausschuss des Bundestags in der vorletzten Woche beschlossen.
Selenskyj dankt Deutschland, er dankt seinem „Freund Olaf“, für die Hilfe. Und verbindet diesen Dank mit der Bemerkung, „dass es sehr wichtig ist, dass die Hilfe im nächsten Jahr auch fortbesteht - auf diesem Niveau“. Die Ampel-Regierung hat im Haushalt 2025 die Ukraine-Hilfe um gut drei Milliarden Euro niedriger angesetzt, als im laufenden Jahr aufgebracht wurden. Der Präsident sagt, der dritte Kriegswinter stehe nun bevor. Er mahnt: „Der Krieg zerstört unser Land.“
Deutschland und Partner liefern weiteres Waffenpaket in Milliardenhöhe
Er erklärt, sein „Siegesplan“ beinhalte eine Strategie, wie Russland „zu Frieden gezwungen“ werden solle und „wie wir garantieren können, dass diese Aggression sich nicht wiederholt“. Demnach geht es auch um den gewünschten Nato-Beitritt der Ukraine - aus Kiews Sicht der einzig wahre Sicherheitsgarantie für die Ukraine, nach einem Ende des Krieges nicht wieder von Russland angegriffen zu werden. Selenksyj sagt, es sei offensichtlich, dass Russland keine Diplomatie wolle.
Scholz spricht von Russlands „erbarmungslosem Angriffskrieg“ seit fast 1.000 Tagen. „Unser Herzen sind bei dir und deinem Volk“, versichert er dem Präsidenten. Der Kanzler hat eine „klare Botschaft“ an Putin: „Ein Spiel auf Zeit wird nicht funktionieren. Wir werden in unserer Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen.“
Druck auf Deutschland für mehr Verteidigungsausgaben wächst
Für die Friedensbemühungen gibt es wichtige Daten: Die US-Präsidentschaftswahl am 5. November - sollte Donald Trump gewinnen, wird die Unterstützung der USA für die Ukraine voraussichtlich stark eingeschränkt. Zwei Wochen später treffen sich die G20-Staaten zu einem Gipfel in Brasilien. Russland ist eingeladen. Dort könnte erstmals in größerer Rund gesprochen werden. Scholz bemüht sich unterdessen um Verhandlungspartner wie Indien, wo die zweite Friedenskonferenz stattfinden könnte, wie es heißt. Sowie um die Türkei. Dorthin fliegt er Ende nächster Woche.
Unterdessen wächst der Druck auf Deutschland, mehr für seine Verteidigung sowie die Verteidigung der Nato-Staaten zu tun. So sagte der deutsche Nato-General Christian Badia der „Süddeutschen Zeitung“, es reiche nicht, wenn Deutschland zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung dafür bereitstelle. „Es muss Richtung drei Prozent gehen.“
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber (FDP), bestätigte das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Freitag nach einer Sitzung des Gremiums: „Es ist absehbar, dass die Anforderungen der Nato an alle 32 Mitgliedstaaten steigen - und damit auch an Deutschland. Es wird also nicht mehr reichen, zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Es müssen eher drei Prozent werden.“ (rnd)