- Millionen Akten musste die DDR-Staatssicherheit zurücklassen.
- Aus den widerrechtlich angelegten Papieren soll für die Demokratie gelernt werden, so ist es oft betont worden.
- Nun steht die Sorge im Raum, dass sich das ändert.
- Und was wird aus der Stasi-Unterlagen-Behörde?
Berlin – In knapp sechs Wochen feiert Deutschland den 30. Jahrestag des Falls der Mauer und die friedliche Revolution vom Herbst 1989. Doch eine der Errungenschaften von einst steht nach Meinung einstiger DDR-Bürgerrechtler auf dem Spiel: die von ihnen einst selbst erkämpfte Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen.
Der Bundestag beschloss am Donnerstag mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen von Union und SPD sowie der oppositionellen FDP, dass die gerettete Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in das Bundesarchiv überführt und dort verwaltet wird. Das komme einem Ende der Bundesbehörde gleich, befürchten Kritiker. „Geschichte lässt sich nicht abwickeln“, warnten einstige Oppositionelle seit Wochen in einer Erklärung.
Doch der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, der die erregte Debatte im Parlament auf der Besuchertribüne verfolgte, zeigte sich nach den Beschlüssen erleichtert: Das sei ein Meilenstein zur Sicherung der Stasi-Unterlagen, erklärte der einstige Oppositionelle mit der anderen Sicht. Die Akten seien Teil des Gedächtnisses der Nation.
Stasi-Akten: Zugang zu Unterlagen bleibt möglich
Es sei jetzt ein guter Zeitpunkt, einen zeitgemäßen Zugang zu den Akten zu finden und sie auch der nächsten Generationen zur Verfügung zu stellen, so Jahn. Der Zugang zu den Unterlagen bleibe unverändert möglich. Nun könne die Digitalisierung der Papiere finanziell abgesichert werden. Erst zwei Prozent seien digital erfasst. Das Archiv mit den Stasi-Papieren solle im Bundesarchiv eigenständig sein und das Fundament der Aufarbeitung bleiben.
Der frühere DDR-Oppositionelle hat das Konzept zusammen mit dem Leiter des Bundesarchivs, Michael Hollmann, erarbeitet. Auch er war zu der Abstimmung gekommen. Seine Aussage schon zuvor: „Wir können auf keinen Mitarbeiter verzichten.“ Die Digitalisierung sei personalintensiv. Derzeit hat die Bundesbehörde knapp 1400 Mitarbeiter.Künftig soll es je Ost-Land nur noch einen Archivstandort geben. Dafür sollen neue Gebäude hochgezogen werden, veraltete Archive geschlossen werden. Technik, Ressourcen und Kompetenzen sollen gebündelt werden, der Sanierungsstau sei riesig. Viele der säurehaltigen Papiere würden zerfallen, sagte Thomas Hacker von der FDP.
Jahn schafft nun praktisch selbst seinen Posten ab, einen Bundesbeauftragten für die Akten wird es künftig nicht mehr geben. „Ich habe eine Amtszeit bis Juni 2021, danach mache ich eine Weltreise“, hatte der 66-Jährige bereits vor Monaten erklärt.
Historiker: Überführung wirkt wie Schlussstrich unter Aufarbeitung
Ob und wie es künftig einen Opferbeauftragten als Ansprechpartner für Betroffene geben soll, war bislang offen. Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft forderte, die Opfer müssten bei der Umsetzung des Konzepts eingebunden werden.
Der Historiker Sascha-Ilko Kowalczuk, Mitarbeiter in der Stasi-Unterlagen-Behörde und derzeit im Forschungsurlaub, zeigte sich enttäuscht. Er sagte dem „Spiegel“, die geplante Überführung wirke wie ein Schlussstrich unter die Aufarbeitung.Jahn hatte immer wieder stolz auf den einmaligen Charakter der Sonderbehörde mit rechtsstaatlicher Nutzung der Dokumente aus einem Unrechtsstaat verwiesen. Das sei weltweit ein Vorbild.
Doch wie genau künftig Auskünfte aus den Papieren erteilt werden, wie sie für die weitere Aufarbeitung genutzt werden - all das muss noch ausgearbeitet werden. Der Zugang zu den Akten solle noch schneller und besser werden, zeigte sich Elisabeth Motschmann von der CDU optimistisch. Die Kosten des Umbaus sind bislang nicht konkret.Der Bundestag stimmte am Donnerstag zugleich für weitere Stasi-Überprüfungen bis 2030 für herausgehobene Ämter. Die Linke votierte dagegen.
Mehr als drei Millionen Anträge auf Akteneinsicht
Kurzfristig hatte die AfD eine Aktuelle Stunde zu den Stasi-Akten unter dem Motto „Kein Einstieg in den Ausstieg“ beantragt. Es kam zu heftigen Wortwechseln. Redner von SPD, Union, FDP, Linken und Grünen warfen der AfD vor, das Erbe der DDR-Bürgerrechtler für sich instrumentalisieren zu wollen.
„Wir haben die Mahnwachen aufgestellt und dafür gesorgt, dass es die Akten noch gibt“, betonte die ostdeutsche SPD-Abgeordnete Katrin Budde. Die Linke monierte, die DDR solle nicht auf die Stasi reduziert, sondern als Teil der gesamtdeutschen Geschichte gesehen werden.
Bei der Einrichtung der Behörde war nicht damit gerechnet worden, dass das Interesse an den Stasi-Akten über so lange Zeit anhält. 45.000 Anträge auf persönliche Akteneinsicht wurden allein 2018 gestellt, seit dem Bestehen der Behörde waren es mehr als drei Millionen. Als erste konnten 1992 DDR-Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley in der neu gegründeten Stasi-Unterlagen-Behörde in solchen Papieren lesen. (dpa)