- Mit dem Kauf von Twitter stellt Elon Musk dem europäischen Recht zur Sicherung der Meinungsfreiheit eine zentrale Bewährungsprobe.
Am 27. Oktober hat Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter übernommen und wohl sogleich Führungspersonal entlassen. Der US-Multimilliardär erreicht nun 237 Millionen Menschen. Am selben Tag wurde im Amtsblatt der Europäischen Union das „Gesetz über digitale Dienste“ veröffentlicht. Dabei geht es um den Schutz von Grundrechten im Internet, die Bekämpfung illegaler Inhalte und die Schaffung von Rechtssicherheit. Konkret soll der „Digital Services Act“ (DSA), der im Februar 2024 wirksam wird, die Demokratie in Europa vor Menschen wie Elon Musk schützen.
Aber wie gefährlich kann ein einzelner Mensch für die Demokratie in Europa und gar der Welt gefährlich werden? Elon Musk beherrscht maßgebliche Unternehmen etwa im Bereich des datengetriebenen Fahrens (Tesla). Er ist auf dem Energiesektor ebenso aktiv wie in der Raumfahrt, und er betreibt Satelliten. Musk begreift E-Autos nicht nur als strombetriebene Fortbewegungsmittel, sondern zugleich als vernetzte elektronische Kommunikationsgeräte.
Das ist visionär, denn das vernetzte und künftig autonome Fahrzeug ist der Personal-Organizer der Zukunft. Das Armaturenbrett kann sich zum verlängerten Arm für das Smartphone entwickeln. Musks„Starlink“-Satelliten sind wesentliche Bestandteile der dazugehörigen Infrastruktur. Er kann künftig seine datengetriebenen Autos unmittelbar mit seinem datengetriebenen Kommunikationsdienst verbinden. Die Umgestaltung von Twitter zu einer Multifunktions-App wie die Asien beliebte „WeChat“ hat er bereits angekündigt.
Musk erwirbt mit Twitter ein weltumspannendes, datengetriebenes Medienimperium. Anders als andere Milliardäre wie Jeff Bazos, der Amazon-Gründer und Eigentümer der „Washington-Post“, will Musk direkten Einfluss auf die Inhalte seines Mediums nehmen. Nach den klassischen Kategorien des Presserechts tritt er damit zugleich als Verleger und Chefredakteur auf und wirft damit alle internen Mechanismen zur Eingrenzung medialer Macht über den Haufen.
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Weil soziale Netzwerke die Meinungen der Menschen, die sie nutzen, über die Programmierung von Algorithmen maßgeblich beeinflussen können, herrscht Musik darüber hinaus über ein mächtiges Instrument der modernen Kommunikation. Über die Auswertung der Nutzerdaten kann man nicht nur effizient persönlich für Konsumgüter werben, sondern auch für politische Inhalte.
Das Demokratieproblem besteht im Kern darin, dass hier eine Person mit einem gewaltigen Ego und Durchsetzungsvermögen Macht in vielen staatsrelevanten Bereichen auf sich vereint. Dabei ist es Glücksache, ob Musk sich im Sinne der Demokratie verhält oder nicht. Er besitzt die Deutungshoheit über das, was man im Netz sagen darf. Er hat nicht nur die Macht, Donald Trump wieder bei Twitter willkommen zu heißen. Er hat auch die Mittel, jeden von seinem Dienst auszuschließen, der ihm missfällt. Ob er Twitter radikalisiert oder zu einem demokratischeren Ort nach seiner Lesart macht, das entscheidet allein er.
„Der Vogel ist befreit“
Da sich ein radikales Umfeld nicht für Werbung eignet, muss die Angst vor mehr Hass und Fakenews nicht übertrieben groß sein. Dass Musk mit seinem Verhalten das eigene Geschäft schädigen wird, scheint wenig plausibel zu sein.
Er kann aber nach Gusto auch Inhalte unterbinden, die nicht in sein Weltbild passen. „Cancel Culture“ ist undemokratisch. Den Nutzungsbedingungen von Twitter, dem sogenannten Hausrecht, kommt für die Wahrung der Meinungsfreiheit im Netz eine wichtige Funktion zu. Hier wird die Grenze zwischen (noch) erlaubten, bisweilen aber extremen Meinungsäußerungen und rechtswidrigen Äußerungen gezogen, noch bevor ein Gericht sie ausloten kann. Insbesondere in den sozialen Netzwerken ist das virtuelle Hausrecht also de facto ein privates Regime für die weltweite Kommunikation der Nutzenden.
Der Vogel sei befreit, hat Elon Musk mit Anspielung auf das Twitter-Logo per Kurznachricht verkündet. „In Europa fliegt der Vogel nach unseren europäischen Regeln“, konterte EU-Industriekommissar Thierry Breton Musks „Befreiungstweet“. Aber wie lautet nun die Antwort der EU auf Musks jüngsten Deal und die damit verbundenen Risiken?
Um Anbieter wie Twitter auf den Bahnen der Demokratie zu halten oder sie dorthin zu lenken, verpflichtet der DSA Anbieter auf die Einhaltung rechtlicher Standards. Sie müssen die Grundrechte der Nutzenden beachten, und sie müssen ihre Maßnahmen transparent machen. Werden potenziell rechtswidrige Inhalte gemeldet, müssen Sachgründe für Lösch- oder Sperrentscheidungen genannt und gegenüber den Nutzenden spezifisch begründet werden.
Internes Beschwerdemanagement
Für Dienste wie Twitter muss ein System für das interne Beschwerdemanagement geschaffen, systemische Risiken müssen über enge Vorgaben minimiert werden. Verstöße können mit Geldbußen bis zu 6 Prozent des Jahresumsatzes geahndet werden.
Dem EU-Recht zur Sicherung der Meinungsfreiheit im Internet hat Musk just am Tag der DSA-Ankündigung eine entscheidende Bewährungsprobe beschwert. Hoffentlich behält Thierry Breton Recht, falls Musk sich dazu entschließen sollte, aus seinem blauen Piepmatz einen Raubvogel zu machen und ihn auf die demokratischen Freiheiten loszulassen.
Rolf Schwartmann leitet die Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln. Der Jura-Professor ist auch Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit.