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Moskau droht mit AntwortExplosion im Grenzgebiet – Ukraine attackiert in Russland erstmals mit US-Raketen

Lesezeit 4 Minuten
Ein Screenshot zeigt angeblich eine Explosion in einem Munitionsdepot in Brjansk. Berichten zufolge, soll die Ukraine erstmals US-Raketen gegen ein Ziel in Russland eingesetzt haben.

Ein Screenshot zeigt angeblich eine Explosion in einem Munitionsdepot in Brjansk. Berichten zufolge, soll die Ukraine erstmals US-Raketen gegen ein Ziel in Russland eingesetzt haben.

Ein Depot in Brjansk steht nach einem Angriff in Flammen. Laut Moskau kamen erstmals US-Raketen in Russland zum Einsatz.

Die Streitkräfte der Ukraine haben kurz nach der Freigabe von US-Präsident Joe Biden offenbar erstmals Raketen amerikanischer Bauart mit größerer Reichweite gegen ein Ziel in Russland eingesetzt, das berichteten zunächst ukrainische Medien. Am Mittag folgte schließlich die Bestätigung aus Moskau.

„Heute Nacht um 3.25 Uhr hat der Feind eine Anlage in der Region Brjansk mit sechs ballistischen Raketen angegriffen. Bestätigten Daten zufolge wurden in den USA hergestellte operativ-taktische Raketen vom Typ ATACMS eingesetzt“, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Fünf der sechs Raketen seien abgeschossen worden, behauptete Moskau weiter.

Ukraine bestätigt Angriff in Brjansk – Moskau droht mit Antwort

Russlands Außenminister Sergej Lawrow drohte kurz darauf mit einer „entsprechenden Antwort“. Der Einsatz von ATACMS-Raketen sei ein Signal dafür, „dass sie im Westen eine Eskalation wollen“, hieß es weiter von Lawrow laut der russischen Nachrichtenagentur Tass. Ein Einsatz der Raketen ohne amerikanische Beteiligung sei nicht möglich, führte der Außenminister demnach aus.

Ein russisches Munitionsdepot nahe der Stadt Karatschew in der Grenzregion Brjansk sei in der Nacht mit ATACMS-Raketen getroffen worden, hieß es zuvor bereits in ukrainischen Medienberichten. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Der Generalstab der ukrainischen Armee bestätigte zwar den Angriff, äußerte sich jedoch nicht zu den dabei eingesetzten Waffen.

Selenskyj: „Raketen werden für sich selbst sprechen“

Kurz nach Bekanntwerden der Freigabe aus Washington für Angriffe auf Ziele in Russland hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt, derartige Angriffe „kündigt man nicht an“. Die Raketen würden „für sich selbst sprechen“, erklärte Selenskyj. Nur wenige Zeit später könnte die Ukraine den Berichten zufolge nun erstmals Gebrauch von ihren neuen Möglichkeiten gemacht haben.

Mindestens zwölf sekundäre Explosionen seien nach dem Angriff in Karatschew verzeichnet worden, teilte der Generalstab in Kiew mit. Munitionslager der russischen Armee seien weiterhin ein primäres Ziel für die Streitkräfte der Ukraine, hieß es weiter.

„Heute sind die braunen Linien des Kremls durchbrochen worden. Und nun wird die ganze Welt zusehen, ob Putin es wagt, etwas zu unternehmen“, zitierte die Zeitung „New Voice“ unterdessen den ukrainischen Journalisten Juri Butusov, der zuvor von dem erstmaligen Einsatz von ATACMS gegen ein Ziel in Russland berichtet hatte.

„Die Spur sieht aus, als wäre es eine Rakete gewesen“

Russische Telegram-Kanäle veröffentlichten Videos, die Explosionen in Karatschew zeigen sollen. Unabhängig überprüft werden können die Aufnahmen derzeit nicht. „Oh Scheiße, was zur Hölle“, ist als Kommentar in einem der Videos zuhören. „Die Spur sieht aus, als wäre es eine Rakete gewesen“, hört man eine Stimme auf Russisch außerdem sagen.

„Bewohner der Stadt berichteten die ganze Nacht über in Chats und auf öffentlichen Seiten über Explosionen, Detonationen und einen Angriff auf eine ‚Militärbasis‘ in Karatschew“, berichtete ein reichweitenstarker Kanal am Dienstagmorgen. Ein anderer populärer Kanal mutmaßte, dass eine Kombination aus Drohnen und „westlichen Raketen“ zum Einsatz gekommen sein könnte.

Munition aus Nordkorea in Depot gelagert?

In dem Depot seien Artilleriemunition und Geschosse für Mehrfachraketenwerfer aus nordkoreanischer Produktion gelagert worden, erklärte Andrij Kovalenko, Leiter des ukrainischen Zentrums für Bekämpfung von Desinformation, unterdessen gegenüber der „Kyiv Post“.

Eine ATACMS-Rakete startet bei einer Übung der US-Armee. Die Ukraine darf die Geschosse nun offenbar gegen Ziele in Russland einsetzen. (Archivbild)

Eine ATACMS-Rakete startet bei einer Übung der US-Armee. Die Ukraine darf die Geschosse nun offenbar gegen Ziele in Russland einsetzen. (Archivbild)

Am Sonntagabend hatte es erstmals Berichte über die Freigabe für den Einsatz von ATACMS-Raketen aus Washington gegeben. Mehrere US-Medien berichteten, dass US-Präsident Joe Biden die Erlaubnis dafür nach monatelangem Zögern erteilt habe.

ATACMS-Angriffe: Nächste „rote Linie“ des Kremls fällt

Unklar bleibt, ob es sich um eine grundsätzliche Freigabe handelt oder ob diese auf Ziele, die im Zusammenhang mit einer von Russland geplanten Gegenoffensive in der Grenzregion Kursk stehen, beschränkt ist. Den Berichten zufolge soll die Entsendung tausender nordkoreanischer Soldaten nach Russland den US-Präsidenten zu dem Schritt bewogen haben.

Moskau warnte in einer ersten Reaktion vor „neuen Spannungen“, die aus diesem Schritt resultieren werden. Der Kreml hatte den Einsatz von westlichen Raketen gegen Ziele in Russland zuvor als „rote Linie“ bezeichnet. Das hat Moskau im Kriegsverlauf allerdings immer wieder getan, um weitere westliche Waffenlieferungen zu verhindern. Das Überschreiten der angeblichen „roten Linien“ blieb bisher weitestgehend folgenlos.

Wladimir Putin lockert Atomdoktrin

Auch jetzt scheint Moskau zunächst nicht weiter eskalieren zu wollen. Kremlchef Wladimir Putin lockerte am Dienstag zwar die russische Atomdoktrin, der Schritt war allerdings schon länger erwartet worden. Der Einsatz von Atomwaffen ist nun bereits vor einer existenziellen Bedrohung des Landes möglich. Weitere Maßnahmen ergriff Moskau bisher nicht.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat derweil mit Zustimmung auf die Entscheidung in Washington reagiert. Es gehe jetzt darum, „dass die Ukrainer nicht warten müssen, dass die Rakete über die Grenze fliegt, sondern dass man die militärischen Abschussbasen zerstören kann“, sagte die Grünen-Politikerin. Dies sei im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts jedes Landes. Der Kremlchef wolle „nicht verhandeln, sondern die Ukraine unterwerfen“, erklärte Baerbock.