Ein neuer Bericht zur Nord-Stream-Sprengung sorgt für einigen Wirbel. Auch Sahra Wagenknecht mischt sofort mit – und bekommt Kontra.
Auch Berlin war angeblich informiertSelenskyj soll von Nord-Stream-Plan gewusst haben – Wagenknecht poltert gegen Kiew
Die ukrainische Führung hat einen Bericht der US-Zeitung „Wall Street Journal“ über eine Billigung der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee durch die höchste Regierungsebene in Kiew als „Unsinn“ zurückgewiesen. „Eine Verwicklung der Ukraine in die Nord-Stream-Explosionen ist absoluter Unsinn“, sagte Präsidentenberater Michailo Podoljak am Donnerstag. Am Tag zuvor war bekannt geworden, dass die deutsche Justiz im Zusammenhang mit den Ereignissen vom September 2022 inzwischen einen verdächtigen Ukrainer per Haftbefehl sucht.
„Diese Aktionen waren für die Ukraine von keinerlei praktischem Interesse“, sagte Podoljak in Kiew und wiederholte die bereits mehrfach von der ukrainischen Führung vorgetragene Position, dass die Ukraine mit den Sprengungen der Gas-Pipelines zwischen Russland und Deutschland nichts zu tun habe.
Nord Stream: Bericht des „Wall Street Journal“ sorgt für Wirbel
Das „Wall Street Journal“ (WSJ) hatte am Mittwoch unter Berufung auf ukrainische Militärkreise berichtet, die Sprengungen seien auf höchster ukrainischer Regierungsebene gebilligt worden – anfangs auch von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Laut „WSJ“ seien auch deutsche Beamte frühzeitig über die geplante Zerstörung der Pipeline vorab informiert gewesen.
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Die Aktion sei schließlich unter der Führung des damaligen ukrainischen Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj ausgeführt worden, berichtete die US-Zeitung. Unter Berufung auf „einen Offizier, der daran beteiligt war, und drei, die davon wussten“, hieß es weiter, Selenskyj habe den Plan „ursprünglich gebilligt“. Nach einer Intervention des US-Auslandsgeheimdienstes CIA habe er dann den Stopp angeordnet, was Saluschnyj aber ignoriert habe.
Ukraine weist Vorwürfe zurück
Selenskyjs Berater Podoljak sagte dazu am Donnerstag, eine Verwicklung der Ukraine in die Sabotage-Aktion hätte ein Ende der Unterstützung der europäischen Partner zur Folge haben können. Es sei vielmehr „klar“, dass Moskau Motive für die Zerstörung der Gaspipelines gehabt habe. „Russland war der Überzeugung, dass es notwendig sei, die Ukraine zu diskreditieren“, sagte Podoljak.
Das „Wall Street Journal“ berichtete entgegen den Ausführungen Podoljaks, die Idee für die Sabotage sei bei einem Treffen hochrangiger ukrainischer Offiziere und Unternehmer im Mai 2022 aufgekommen, drei Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Laut „WSJ“ waren insgesamt sechs Menschen direkt an der Planung der rund 300.000 US-Dollar teuren und privat finanzierten Aktion beteiligt.
WSJ: Ex-Armeechef hat Operation gegen Selenskyjs Willen durchgeführt
Als sich dann im September 2022 die Explosionen an den Gaspipelines ereigneten, habe Selenskyj von seinem damaligen Armeechef eine Erklärung verlangt, zitierte das „WSJ“ drei mit den Gesprächen vertraute Offiziere. Saluschnyj antwortete dem Staatschef demnach, dass es zu spät und ein Austausch mit dem Anschlagsteam nicht mehr möglich gewesen sei, um den Einsatz nicht zu gefährden.
Auf eine Nachfrage des „WSJ“ erklärte der inzwischen zum ukrainischen Botschafter in Großbritannien ernannte Saluschnyj, er habe von einer solchen Operation nichts gewusst. Jede gegenteilige Behauptung sei eine „Provokation“.
Nord-Stream-Sprengung: Verschiedene Theorien im Umlauf
Zu den Hintergründen der Explosionen an den Pipelines gab es in der Vergangenheit immer wieder unterschiedliche Versionen. So hatte US-Journalist Seymour Hersh berichtet, die USA seien für die Attacke auf Nord Stream verantwortlich gewesen. Auch eine russische „False Flag“-Aktion wird für möglich gehalten.
In Deutschland sorgte der jüngste Bericht des „WSJ“ unterdessen für mitunter scharfe Reaktionen. „Wenn die Ukraine in den Anschlag auf Nord Stream verwickelt war, muss die Ampel Konsequenzen ziehen und die Waffenlieferungen sofort einstellen“, schrieb Sahra Wagenknecht am Donnerstag bei X. Wagenknecht hat bereits in der Vergangenheit unbestätigte Berichte zu Nord Stream für Kritik an der Bundesregierung genutzt.
Sahra Wagenknecht glaubt erst Hersh – und nun dem Wall Street Journal?
So hatte sie im Februar 2023 über die Angaben des US-Journalisten Hersh geschrieben: „Während die Bundesregierung die transatlantische Freundschaft beschwört und den USA kritiklos folgt, sorgt die US-Regierung für die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines, wie Pulitzer-Preisträger Hersh minutiös recherchiert hat.“ Nun scheint Wagenknecht eher dem „WSJ“-Bericht Glauben schenken zu wollen.
Für ihre Wortmeldung bekam die Parteigründerin sofort Kritik. Der CDU-Politiker Dennis Radtke wandte sich bei X an Wagenknecht. Es schreie zum Himmel, „dass Putin in der Ukraine einen Völkermord begeht und sie unbeirrt seine Platte abspielen und pausenlos nach neuen Gründen suchen, die Ukraine unter den Bus zu werfen“. Mit dem Kampf für die Freiheit „kann eine Stalinistin nichts anfangen“, fügte Radtke an.
Gegenwind für Sahra Wagenknecht aus der CDU und von Experten
Auch der Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte Carlo Masala kommentierte den Bericht – und Wagenknechts Wortmeldung. „Das Lustige“ sei, dass Wagenknecht „felsenfest“ davon überzeugt gewesen sei, dass die USA hinter dem Angriff stecken, „als Hersh mit seiner Quelle ankam“, schrieb Masala bei X. Das sei nun offenbar egal: „Hauptsache Waffenlieferungen einstellen“, kritisierte der Experte von der Bundeswehr-Universität.
Am Mittwoch war zuvor bekannt geworden, dass der Generalbundesanwalt in Karlsruhe im Zusammenhang mit der Nord-Stream-Sabotage im Juni einen ersten Haftbefehl beantragt hat. Dieser richtet sich gegen einen Ukrainer, der an den mutmaßlichen Anschlägen beteiligt gewesen sein soll. Der zuletzt in Polen ansässige Mann hatte sich jedoch nach Angaben der polnischen Justiz vor einer Festnahme Anfang Juli in die Ukraine absetzen können.
Nord-Stream-Pipelines zum Zeitpunkt der Sprengung nicht mehr in Betrieb
Deutschland profitierte jahrelang vom Import billigen Erdgases aus Russland. Die beiden Nord-Stream-Pipelines waren ungeachtet der massiven Kritik der Ukraine, aus Washington und von osteuropäischen EU-Partnern für den Transport des russischen Gases durch die Ostsee nach Deutschland gebaut worden.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurde der Gasimport nach und nach gestoppt. Zum Zeitpunkt der Explosionen, sieben Monate nach Beginn des Ukraine-Krieges, waren sie nicht mehr in Betrieb, enthielten aber Gas. Deutschland ist einer der wichtigsten Unterstützer und Waffenlieferanten der Ukraine. (mit afp)