Nach der Freigabe für Angriffe mit US-Raketen in Russland kommen schrille Töne aus Moskau. Auch Atomdrohungen gehören dazu.
Putin erlässt neue Atomdoktrin„Das würde Weltkrieg bedeuten“ – Moskau droht und hofft auf Donald Trump
Es hat niemand mitgezählt, aber die Anzahl von Atom-Drohungen aus dem Munde des ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew dürfte mittlerweile den zweistelligen Bereich erreicht haben. Auch nach der Freigabe von US-Präsident Joe Biden für Angriffe mit US-Raketen auf Ziele in Russland lieferte Medwedew, jetzt Vizechef des russischen Sicherheitsrates und Chef der Regierungspartei, mal wieder ab und drohte mit dem „dritten Weltkrieg“.
Zuvor hatte Kremlchef Wladimir Putin eine neue Atomdoktrin in Kraft gesetzt. Der Schritt war bereits lange geplant, Moskau präsentierte ihn jedoch nun als Reaktion auf die Entscheidung in Washington. Während Putin selbst sich in diesen Tagen wortkarg gibt, übernahm Medwedew die Erläuterung der Maßnahme.
Putins Atomdoktrin: „Das würde den dritten Weltkrieg bedeuten“
„Russlands neue Nukleardoktrin bedeutet, dass Nato-Raketen, die auf unser Land abgefeuert werden, als Angriff des Blocks auf Russland gewertet werden könnten“, schrieb der Putin-Vertraute bei der Plattform X. „Russland könnte mit Massenvernichtungswaffen Vergeltung gegen Kiew und wichtige Nato-Einrichtungen üben, wo auch immer sie sich befinden“, drohte Medwedew erneut mit Atomschlägen und fügte an: „Das würde den dritten Weltkrieg bedeuten.“
Auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow äußerte sich zu der Freigabe für Angriffe mit ATACMS-Raketen auf Ziele in Russland. „Wir werden dies als eine neue Phase des westlichen Krieges gegen Russland betrachten und entsprechend reagieren“, teilte Lawrow am Rande des G20-Gipfels in Brasilien mit.
Sergej Lawrow rät dazu, Russlands Atomdoktrin zu lesen
Die Entscheidung sei ein „Zeichen“, dass die Ukraine und der Westen eine „Eskalation“ anstrebten, behauptete der Moskauer Chefdiplomat. Auch Lawrow drohte indirekt mit Atomschlägen: Die westlichen Verbündeten der Ukraine sollten die russische Atomdoktrin „vollständig“ lesen, erklärte der Außenminister.
Bereits in der Vergangenheit hat Moskau auf wichtige Entscheidungen hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine ähnlich reagiert. Bereits in der Frühphase des Kriegs gab es die ersten Drohungen mit Atomschlägen.
Russland droht immer wieder mit Atomschlägen
Die angedrohten Reaktionen blieben bisher jedoch stets aus – auch bei der Lieferungen von Leopard-2-Kampfpanzern oder westlichen Kampfjets an die Ukraine hatte Moskau zuvor die Säbel rasseln lassen. Mittlerweile sind beide Waffensysteme in der Ukraine im Einsatz.
Mit den fortwährenden Atom-Drohungen bezwecke Moskau nicht nur, auf die westlichen Bevölkerungen einzuwirken und Angst zu verbreiten, hatte der Politologe Thomas Jäger bereits 2023 im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt. Auch politisch stecke ein Kalkül dahinter, so der Professor für internationale Politik an der Universität Köln. Russland nutze seine Atomwaffen zur „politischen Drohung“, mit der Hoffnung, dass im Westen „eine Form von Selbstabschreckung“ stattfinde, die eine weitere Unterstützung für die Ukraine verhindern solle, führte Jäger aus.
Staats-TV: Putins Propagandisten hoffen auf Trump
Anzeichen dafür, dass Russland trotz neuer Atomdoktrin und den Drohungen von Lawrow und Medwedew auch diesmal den harten Worten nur wenig Taten folgen lassen wird, liefern derweil die Moskauer Propagandisten in den Talkshows der Staatssender.
So gab es dort zwar auch die üblichen Drohungen zu hören. Etwa, dass Russland im Gegenzug für Angriffe mit US-Raketen westliche Satelliten zerstören könnte oder dass „russische Truppen in Paris, Berlin und Portugal“ sicher dafür sorgen würden, dass „alle Sanktionen“ gegen Russland aufgehoben werden. Einige der Kreml-treuen Moderatoren und Experten empfahlen jedoch, statt einer jetzigen Eskalation lieber auf den Amtsantritt des designierten US-Präsidenten Donald Trump zu warten.
Warten auf Trump: „Lasst uns das zwei Monate ertragen“
So erklärte Olga Skabejewa, Moderatorin der Sendung „60 Minuten“, dass Trump sogar bereits vor seiner Rückkehr ins Weiße Haus Angriffe auf russische Ziele mit US-Raketen verbieten könne. Wie Trump das bewerkstelligen soll, erklärte die Moderatorin laut einem Bericht der US-Journalistin Julia Davis allerdings nicht. Der Kritik von Donald Trump Jr. und Elon Musk am grünen Licht für die Ukraine widmete Skabejewa dann jedoch noch einige Sendezeit.
Ähnlich hielt man es auch bei der Show „Der Treffpunkt“ mit Moderator Ivan Trushkin. „Lasst uns das zwei Monate lang ertragen“, empfahl der politische Analyst Alexander Sytin dort, „und dann schauen wir mal, was passieren wird.“
Putins Staatsagenturen versuchen zu beruhigen – und drohen
Bei den staatlichen Nachrichtenagenturen in Russland zeigt sich ebenfalls ein ähnliches Bild. „Unsere Luftverteidigung wird uns sehr gut schützen“, hieß es etwa in einer Kolumne bei RIA Novosti. Menschen und Infrastruktur seien „auf alle Eventualitäten vorbereitet“, versicherte der Autor und behauptete ohne Grundlage, die Ukraine wolle mit den US-Raketen russische Zivilisten angreifen. Sorgen müssten die Russen sich deshalb aber nicht machen, so der Tenor: „Wir haben volles Vertrauen in unser Militär“, gab die Staatspresse die Richtung vor.
Ganz ohne Drohungen kam aber auch RIA nicht aus. Wie man nun sehen könne, habe Putins Änderung der Atomdoktrin den Westen im September offenbar „nicht erreicht“, hieß es in der Kolumne. „Jetzt können sie die Doktrin in aller Ruhe lesen und mit ihren Militärs diskutieren“, lautete schließlich das Fazit. „Vielleicht werden sie den Politikern, die den Verstand verloren haben, erklären, was auf sie zukommt.“
Westen unbeeindruckt von „verkommener russischer Regierung“
Beeindruckt scheint man im Westen davon jedoch immer noch nicht zu sein. Man sei von Putins neuer Atomdoktrin „nicht überrascht“, teilte das Weiße Haus mit. „Da wir keine Änderungen in Russlands nuklearer Haltung beobachten, sehen wir auch keinen Grund, unsere eigene als Reaktion auf die heutigen Aussagen Russlands anzupassen.“ Die Maßnahmen in Moskau seien lediglich Teil der „unverantwortlichen Rhetorik“, die man nun bereits seit zwei Jahren kenne.
Ähnlich reagierte auch Frankreichs Außenminister Jean-Noel Barrot und attestierte Moskau ebenfalls heiße Luft. Putins Entscheidung sei bloß „Rhetorik“, hieß es aus Paris. „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“ Großbritannien betonte derweil die weitere Unterstützung der Ukraine. Moskau Verhalten sei lediglich das jüngste Beispiel für die „Verantwortungslosigkeit der verkommenen russischen Regierung“, erklärte ein Sprecher von Premierminister Keir Starmer.