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„Queersein zum Verbrechen geworden“Moskauer Polizei stürmt Schwulenclubs nach Putins LGBTQI-Verbot

Lesezeit 4 Minuten
Menschen zeigen die Regenbogenfahne bei einer Pride-Parade im August 2017 in St. Petersburg. Russland hat die „LGBTQi-Bewegung“ am Donnerstag als „extremistisch“ verboten. Am Wochenende folgten Razzien in Schwulenbars in Moskau.

Menschen zeigen die Regenbogenfahne bei einer Pride-Parade im August 2017 in St. Petersburg. Russland hat die „LGBTQI-Bewegung“ am Donnerstag als „extremistisch“ verboten. Am Wochenende folgten Razzien in Schwulenbars in Moskau.

Auf das Verbot folgen sofort Konsequenzen in Russland. Der Kölner Queer-Beauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann ist entsetzt.

Die russische Polizei hat in der Hauptstadt Moskau nach einem neuen „Extremismus“-Erlass laut Medien Nachtclubs für Homosexuelle und Schwulenbars mit Razzien überzogen. In der Nacht zum Samstag drangen die Uniformierten unter dem Vorwand, Drogen zu suchen, in die großen Moskauer Clubs ein, wie Medien und soziale Netzwerke berichteten. Es habe auch Festnahmen gegeben. Zudem sei eine nur für Männer zugängliche Sauna durchsucht worden, berichteten am Samstag verschiedene russische Medien. Von der Polizei gab es zunächst keine Stellungnahme.

Videos zeigten Polizisten unter anderem vor einem bei Homosexuellen beliebten Nachtklub, in dem gerade eine riesige Tanzparty stattfand. „Mitten in der Party hat die Musik aufgehört“, berichtete ein Augenzeuge dem „Ostoroshno Nowosti“. Die Polizei habe anschließend Fotos von den Ausweispapieren der Gäste gemacht.

Wladimir Putin im Kampf gegen die westliche Freiheit

Der Oberste Gerichtshof in Russland hatte zuvor am Donnerstag die „internationale LGBT-Bewegung“ als „extremistische Organisation“ eingestuft und ihre „Aktivitäten auf russischem Territorium“ untersagt. Das Urteil sei demnach „notwendig“, um das „Verbot von LGBT-Propaganda, -Werbung, -Interesse und der Beteiligung an der LGBT-Bewegung“ in Russland durchzusetzen, hieß es weiter.

LGBT ist eine aus dem englischen Sprachraum übernommene Abkürzung für „Lesbian, Gay, Bi and Transgender“ (lesbisch, schwul, bisexuell und transgender). Es gibt etliche andere Varianten dieses Akronyms. Häufig werden weitere Buchstaben hinzugefügt, etwa Q wie „queer“ oder I für „intergeschlechtlich“. Unter den Begriffen versammeln sich weltweit diverse Interessengruppen, eine zentrale „LGBT-Organisation“, die verboten werden könnte, existiert unterdessen nicht.

Queer-Beauftragter der Bundesregierung entsetzt über Verbot

Der Kölner Grünen-Politiker Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, zeigte sich entsetzt über den Schritt. „Einmal mehr wird deutlich: Nationalistische und autoritäre Politik geht immer Hand in Hand mit der Unterdrückung und Repression von Vielfalt“, schrieb Lehmann im sozialen Netzwerk X. „Solidarität mit LGBTIQ* in Russland!“, fügte er an.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilte die Gerichtsentscheidung. „Dies wird unzählige Menschen betreffen und die Folgen könnten katastrophal sein. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass dies zur Verfolgung von LGBTI-Aktivisten führen wird“, erklärte Osteuropa-Direktorin Marie Struthers noch vor den Razzien, die ihr nun Recht geben sollten.

Entsetzen über „LGBT-Verbot“ in Russland: „Wird zur Verfolgung von Aktivisten führen“

Die russische Opposition hatte ebenfalls scharfe Kritik an der Gerichtsentscheidung geübt. „Die Anerkennung von LGBT als extremistische Bewegung ist der Beginn von Putins Wahlkampf“, erklärte Iwan Schdanow, Vertrauter des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexei Nawalny. „Darüber hinaus ist dies sein explizites Programm für die neue Amtszeit: ein Schritt zur vollständigen Iranisierung und Isolierung Russlands.“ In Russland wird 2024 gewählt.

Das Urteil bestätigt unterdessen den freiheitsfeindlichen Kurs des Kremls, der von Präsident Wladimir Putin und der russisch-orthodoxen Kirche spätestens seit der Jahrtausendwende eingeschlagen wurde. Noch in dieser Woche forderte der Kremlchef eine Rückbesinnung auf „traditionelle Werte“ in Russland. Bei russischen Propagandisten wird Europa aufgrund seiner liberalen Gesetze zudem gerne als „Gayropa“ verhöhnt.

Moskau will „traditionelle Werte“ statt „westliche Pseudowissenschaften“

Während oft davon ausgegangen wird, dass Russland mit seinem Krieg gegen die Ukraine lediglich die Nato-Mitgliedschaft des Nachbarlands verhindern wolle, haben russische Politiker immer wieder unterstrichen, dass man sich in Moskau im „Krieg“ gegen den „westlichen Sittenverfall“ wähnt. Vor diesem müsse Russland geschützt werden, so die Botschaften. Die „Geschlechterwissenschaften“ des Westens seien bloß „Pseudowissenschaften“, hatte Kremlchef Putin noch in einer Rede am Dienstagabend erklärt.

Kremlchef Wladimir Putin im Gespräch mit Patriarch Kirill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Beide sehen in gesellschaftlichen Freiheiten offenbar eine Gefahr. (Archivbild))

Kremlchef Wladimir Putin im Gespräch mit Patriarch Kirill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Beide sehen in gesellschaftlichen Freiheiten offenbar eine Gefahr. (Archivbild)

Bereits 2022 hatte Russland die „positive Darstellung“ von LGBT-Inhalten unter Strafe gestellt. Im Juli verbot der Kreml dann auch „Geschlechtsumwandlungen“, also chirurgische Eingriffe und Hormontherapien bei Menschen, die eine andere geschlechtliche Identität als ihre biologische haben. Jahre zuvor hatten Putins Gerichte bereits „Schwulen-Propaganda gegenüber Minderjährigen“ verboten.

Kreml fordert mehr Kinder von Frauen und beklagt „Sittenverfall“ im Westen

Putin hat den Kampf gegen Homo- und Bisexuelle sowie Transgender in Russland seit Jahren vorangetrieben. Gleichzeitig fordert der Kremlchef die Rückkehr zur „kinderreichen Familie“, diese sollte wieder „zur Norm und Lebensweise“ in Russland werden, so der Wunsch des Kremlchefs. „Sieben oder acht Kinder“ sollten diese traditionellen Familien dann bekommen, erklärte Putin kürzlich.

Zuvor waren in Russland bereits politische Forderungen danach laut geworden, dass Frauen sich wieder mehr darauf konzentrieren sollten, bereits in jungen Jahren Kinder zu bekommen, statt eine berufliche Karriere zu verfolgen.

Putins Kampf gegen „Gayropa“ und LGBT: „Eigentümliche Volten“ des russischen Faschismus

Experten sehen in derartigen Verboten gesellschaftlicher Freiheiten und dem misogynen Frauenbild des Kremls Merkmale eines russischen Faschismus. Zusammen mit der Behauptung von „Nazis in der Ukraine“ bilde „Gayropa“, also der progressive Westen mit seinen liberalen und bunten Facetten, eine besondere „Melange an Feindbildern“ des Kremls, hatte der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger dieser Zeitung zuvor bereits erklärt. Auch der Kampf gegen die LGBT-Bewegung gehöre zu den „eigentümlichen Volten“ des russischen Faschismus, so Jäger.

„Queer zu sein ist in Russland faktisch zu einem Verbrechen geworden, weshalb die russische Polizei Moskauer Schwulenbars durchsucht“, schrieb der Russland-Experte Ian Garner am Samstag auf X. „Erwarten Sie mehr Inhaftierungen, mehr Gewalt und mehr ungestrafte Morde“, fügte er an.