Experten sehen ein „faschistisches System“ durch Putins Worte charakterisiert und sprechen von einem Aufruf zum „totalen Krieg“.
Kölner Politologe sieht FaschismusPutin liefert verstörende Worte – und in Moskau träumt man vom Atompilz
Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit verstörenden Aussagen für Aufsehen gesorgt. Alle Bürger in Russland müssten sich über die „historische Phase“, in der sich das Land befinde, bewusst sein, erklärte Putin bei einer Sitzung in Moskau. „Jeder muss wie an vorderster Front arbeiten, jeder muss sich mobilisiert fühlen, und nur so werden wir die Ziele erreichen, die wir uns gesetzt haben“, fügte der Kremlchef nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur „Tass“ an. Unter den gegenwärtigen Bedingungen gehe es „nicht anders“, so Putin.
Die Aussagen des Kremlchefs folgen auf Drohungen, die Putin kurz zuvor in Richtung der westlichen Unterstützer der Ukraine und insbesondere des Baltikums ausgesprochen hatte. Damit hatte der Kremlchef auf Entscheidungen westlicher Länder reagiert, der Ukraine Angriffe auf Ziele in Russland mit westlichen Waffensystemen künftig zu erlauben.
Wladimir Putin verschärft den Ton nach „grünem Licht“ für Kiew
Zuletzt hatte auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron „grünes Licht“ für derartige Angriffe gegeben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verwies derweil aufs Völkerrecht. Demnach dürfen angegriffene Länder sich auch mit Schlägen gegen Ziele auf dem Gebiet des Gegners zur Wehr setzen.
Putin meldet sich nach der Debatte nun bereits das zweite Mal zu Wort – während die Drohungen am Dienstag nach außen gerichtet gewesen sein dürfen, scheint der Kremlchef nun seine Landsleute adressiert zu haben. „Der russische Präsident Wladimir Putin setzt seine Bemühungen fort, die russische Bevölkerung auf einen langwierigen Krieg vorzubereiten“, schrieben die Analysten des amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (ISW) zu den jüngsten Aussagen des Kremlchefs.
US-Analysten: Putin will Gesellschaft auf „langwierigen Konflikt“ vorbereiten
Die Analysten sehen Putins Worte im Kontext der kürzlichen Ernennung von Andrei Beloussow als Verteidigungsminister. Der Kremlchef habe mit Beloussow bereits versucht, die russische Wirtschaft auf einen „langwierigen Konflikt mit der Ukraine“ und „möglicherweise auf eine künftige Konfrontation mit der Nato“ auszurichten, so die US-Analysten.
Nun versuche Putin mit seinen Worten vermutlich auch die russische Gesellschaft auf eine stärkere Mobilisierung vorzubereiten, heißt es im aktuellen Lagebericht des ISW. Eine ähnliche, aber bedeutend knapper formulierte Einschätzung gab auch der Politikwissenschaftler Samuel Ramani im sozialen Netzwerk X ab. „Putin ruft zum totalen Krieg auf“, schrieb der Experte der Universität Oxford dort.
Kölner Politologe Thomas Jäger sieht „faschistisches System“ in Russland
Mitunter wurden Putins jüngste Wortmeldungen von Politikexperten jedoch auch als Zeichen der Verunsicherung im Kreml angesichts des Nicht-Erreichens der militärischen Ziele im Krieg gegen die Ukraine und der zuletzt wieder steigenden westlichen Unterstützung für Kiew gedeutet.
„Wenn Putin sagt, dass alle Russen arbeiten müssten, als seien sie an der Front, die Mobilmachung für das ganze Land nötig sei, um die Ziele zu erreichen, dann charakterisiert dies das faschistische System in Russland ebenso wie es dokumentiert, dass der Krieg nicht wie geplant verläuft“, schrieb der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger bei X.
Moskau legt nach: „Dies alles wird natürlich seine Folgen haben“
In Moskau verschärfte man unterdessen auch am Donnerstag erneut den Tonfall. Der Kreml warnte erneut mit Nachdruck vor einer Erlaubnis des Westens für den Einsatz seiner Waffen in der Ukraine für Angriffe auf Russland.
„Dies alles wird natürlich unweigerlich seine Folgen haben“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Und es wird letztlich den Interessen jener Länder sehr schaden, die den Weg der Eskalation der Spannungen eingeschlagen haben.“ Die Staaten der Nato, allen voran der USA, wählten mit „kriegerischen Äußerungen“ absichtlich einen Eskalationskurs. Die Atommacht droht immer wieder, ihre Interessen unter Einsatz aller Mittel zu verteidigen.
Propagandisten in Moskau träumen vom Atomschlag gegen den Westen
Kremlpropagandisten in Staatsmedien sprechen sich derweil immer wieder für einen nuklearen Schlag gegen die Ukraine oder auch gegen den Westen aus. In einem Beitrag für die Zeitschrift „Profil“ rief nun auch der Politologe Dmitri Suslow den Kreml angesichts des möglichen Einsatzes von Nato-Waffen gegen Russland dazu auf, zumindest eine „demonstrative atomare Explosion“ außerhalb des Kriegsgebiets herbeizuführen, um seine Abschreckungspolitik zu unterstreichen.
Ein Atompilz, der weltweit im Fernsehen gezeigt werde, könne die Angst vor einem Atomkrieg wiederbeleben, meinte Suslow. Zuletzt schlug der Propagandist Wladimir Solowjow vor, etwa Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine nahe der russischen Grenze, in nukleare Asche zu verwandeln. Kremlchef Wladimir Putin selbst hatte in dem Konflikt immer wieder auf die „Unbesiegbarkeit“ der russischen Atomwaffen verwiesen.
Derartige Drohungen hat es seit Kriegsbeginn aus Moskau allerdings nahezu bei jeder neuen Waffenlieferung des Westens an die Ukraine gegeben. Bisher blieben alle Atomdrohungen ohne tatsächliche Folgen. Viele westliche Experten halten sie daher für reine Abschreckungspropaganda. Für den Fall eines russischen Atomschlags sollen die USA Berichten zufolge Moskau bereits vor einer entsprechenden Reaktion gewarnt haben.