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Ukraine-VorschlagAffront für Kanzler – Wie Scholz in Brasilien versucht, Contenance zu wahren

Lesezeit 3 Minuten
Olaf Scholz bei der Pressekonferenz mit Luiz Inacio Lula da Silva

Olaf Scholz bei der Pressekonferenz mit Luiz Inacio Lula da Silva

Lula da Silva schlägt eine Friedensinitiative für die Ukraine vor. Zunächst sollen die Kriegsgründe erforscht werden. Kanzler Scholz ist um Haltung bemüht.

Der Sturm, der in Brasilien über Olaf Scholz hinweg braust, beginnt herzlich. Über eine Stunde hat sich der Bundeskanzler mit dem neuen Staatspräsidenten Lula da Silva beraten, einem Freund und guten Bekannten, wie sie in der Regierung sagen.

Bei der Pressekonferenz im Anschluss spricht Scholz über Klimapolitik und lobt den Elan Lulas. „Ich freue mich, dass Brasilien zurück auf der Weltbühne ist“, sagt er. „Ihr habt gefehlt, lieber Lula.“ Der Brasilianer tritt auf den Kanzler zu und umarmt ihn, er klopft ihm zweimal auf die Schulter. Es ist ein Bild der Harmonie.

Dann legt Lula los. Er befindet, dass sich die Europäerinnen und Europäer beim EU-Mercosur-Freihandelsabkommen schon noch bewegen müssten, vor allem die Franzosen und Französinnen. Es ist eine erste Brise, noch sachte. Lula sagt, er sei optimistisch. Und fügt dann noch einen Fußballscherz an: „Deutschland darf Brasilien nicht mehr sieben zu eins im Fußball besiegen“, verlangt er mit Blick auf die Niederlage im Halbfinale der Weltmeisterschaft 2014 im eigenen Land. Scholz lacht befreit.

Lula drängt auf Verhandlungen zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine – und will gemeinsam mit China vermitteln

Und die Frage wirkt nicht problematisch: Eine brasilianische Journalistin fragt nach einem Beitritt Brasiliens zur OECD. Lula bekundet kurz Interesse. Dann lenkt er auf ein anderes Thema: Die Ukraine. „Ich weiß nicht, wann der Krieg aufhören wird, wenn wir weiter so untätig bleiben“, sagt er. „Wir müssen suchen, wer in der Welt in der Lage ist, Russland und der Ukraine zu helfen, einen Frieden auszuhandeln.“ An Deutschland denkt Lula dabei offenkundig nicht.

Die Konfliktparteien seien nicht bereit, zurückzuweichen. Die bislang in die Ukraine-Hilfe involvierten Staaten hätten offenbar „keine Ideen mehr“. Deswegen müssten jetzt andere ran. „Brasilien, Indien und Indonesien können einen Beitrag leisten“, sagt er. „Und die Chinesen müssen jetzt auch einmal mithelfen, Frieden zu finden.“ Einen Klimaclub hat Scholz initiiert, Lula übernimmt zumindest den Namen: „Wir können einen friedenspolitischen Club einrichten.“ Ob das liebevoll oder spöttisch gemeint ist, bleibt offen.

Brasiliens Präsident hat eine eigene Deutung für die Ursache des Kriegs in der Ukraine

Gerade hat Scholz noch erklärt, dass Russlands Vorgehen imperialistisch sei und gemeinsam gefundene Regeln wie die Achtung vor Grenzen breche.

Lula widerspricht: Man müsse erst mal klären, was eigentlich zu dem Krieg geführt habe, findet er. Er habe das nämlich immer noch nicht genau verstanden. Vergangenen Mai hat Lula dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij eine Mitschuld an dem Krieg gegeben. Auf Nachfrage relativiert Lula diese Einschätzung. „Die Russen haben einen klassischen Fehler begangen und sind in das Hoheitsgebiet eines anderen Landes eingedrungen.“ Es ist das einzige Mal, dass Scholz nickt, wenn auch nur ganz leicht.

Denn auch dem Wunsch Deutschlands, Panzermunition an die Ukraine abzugeben, erteilt Lula eine Absage: „Kein Interesse“, sagt Lula. „Wir sind dem Frieden verpflichtet.“ Brasilien habe seinen letzten Krieg im 19. Jahrhundert geführt, gegen Paraguay, und wolle nicht einmal indirekt an einem weiteren teilnehmen. Scholz begründet Waffenlieferungen mit dem Wunsch nach Frieden für die Ukraine.

Differenzen zwischen Lula und Scholz bleiben

Was auch immer die beiden miteinander beredet haben, ihre Differenzen zur Ukraine konnten sie offenbar nicht ausräumen. Aber Lula lässt Scholz kaum Raum, schon vom Auftritt her: Der Brasilianer füllt den Raum mit seiner Stimme und mit seinem Wortschwall.

Scholz blickt neben ihm stoisch geradeaus. „Es gibt eine klare gemeinsame Haltung, dass wir den russischen Angriff verurteilen“, sagt er. Und dass es keinen Frieden geben könne über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg. Es wirkt, als würde er hinter Lula hinterherfegen. Er ruft seinen Berater zu sich, als wolle er sich versichern, den richtigen Ton getroffen zu haben. Oft passiert das nicht in Pressekonferenzen.

Lula bleibt bei seiner Linie: Scholz‘ Hinweis, Voraussetzung für Frieden sei, dass Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückziehe, wiederholt er nicht. Er hakt Scholz unter, den guten alten Bekannten.