Vergewaltigung und MordWarum Assads Folterknechte in Koblenz vor Gericht stehen
- Zum ersten Mal wird in Deutschland den Handlangern des syrischen Diktators der Prozess gemacht. Vorgeworfen werden ihnen zigfache Morde, Vergewaltigung und Folter, unfassbare Verbrechen.
- Anwar Ruslan, der unter anderem in Koblenz vor Gericht steht, kam als Asylsuchender nach Deutschland.
- Seine Verteidigungsschrift erinnert auf makabre Art und Weise an die des Industriellen Oskar Schindler, der im Zweiten Weltkrieg 1200 jüdische KZ-Häftlinge vor dem Tod in Vernichtungslagern der Nazis bewahrte.
Koblenz – Die Schmerzen nahmen kein Ende. Während der Verhöre schlugen die Häscher auf Feras F. ein, Knüppel sausten auf seine Füße – wieder und immer wieder. Mitunter hängten sie den syrischen Filmemacher an die Decke, um ihn auszupeitschen, vergewaltigten ihn mit einem Stock. Wenn die Peiniger von ihm abließen, landete er in einer Zelle mit 200 anderen. Es war stickig und eng, kein Platz, sich zu setzen. Durch die Gänge hallten Tag und Nacht Schmerzensschreie. Wer im Gefängnis der syrischen Geheimdienstabteilung 251 im Viertel Al-Khatib in Damaskus landete, fürchtete täglich um sein Leben.
Es ist der Beginn der großen Protestwelle 2011/2012 gegen den Diktator Bashar Al Assad. Zu Tausenden verschleppen Inlandsdienste und Militär sowie Polizisten Demonstranten und Dissidenten in die Folterkammern. Dort will man den Gefangenen Namen der Oppositionsbewegung abpressen. Viele Menschen sterben an den Folgen der Torturen.
Die Staatsfolter des Assad-Regimes wird seit dem 23. April vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhandelt. Weltweit zum ersten Mal müssen sich ehemalige Handlanger des syrischen Geheimdienstes in einem Prozess verantworten. Als Flüchtlinge nach Deutschland eingereist, zunächst als Asylbewerber anerkannt, entstand der Verdacht, dass die beiden Angeklagten am organisierten Terror gegen die Zivilbevölkerung beteiligt gewesen sein sollen.
Vorwurf: 58-facher Mord
Anwar Ruslan, 57, ehemals Geheimdienstoberst der Abteilung 251, wirft die Bundesanwaltschaft Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Jahren 2011 und 2012 vor. Die Ankläger legen dem Ex-Leiter der Sektion „Ermittlungen“ 58-fachen Mord zur Last, zudem sollen unter seiner Ägide im Gefängnis 4000 Inhaftierte gefoltert worden sein. Sein Mitangeklagter soll in der Hochphase der Protestwelle in Damaskus mit Greiftrupps unterwegs gewesen sein und mindestens 30 Demonstranten an das Foltergefängnis geliefert haben. Er sagte während der Ermittlungen umfassend aus: Demnach wurden allein im Mai und Juni 2011 zehn Leichen aus dem Gefängnis abtransportiert.
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Inzwischen haben die ersten Opfer vor Gericht ihr damaliges Schicksal geschildert, darunter auch Feras F. Der Mittdreißiger schildert die Torturen in dem Gefängnis der Abteilung 251. Er habe Menschen gesehen, bei denen er nicht wusste ob sie noch lebten oder schon tot waren. Auch ein Kind habe er gesehen. Die Schreie, die er hörte, vermag Feras F. vor Gericht nicht in Worte fassen. „Aber eines Tages werde ich versuchen, das mit meinen Filmen zu beschreiben“, lässt der Regisseur über seinen Dolmetscher wissen.
Das Verfahren dokumentiert das skrupellose Vorgehen der Führungsclique um den Assad-Clan, die sich mit militärischer Hilfe Russlands, dem Iran und der Unterdrückung der Oppositionsbewegung an der Macht hält. Trotz aller Repressalien entwickelten sich die Aufstände wie ein Flächenbrand hin zum Bürgerkrieg, der bis heute das Land im Griff hält.
Als der Arabische Frühling Anfang 2011 auch in Syrien zunehmend Anhänger fand, antwortete der Diktator mit Gewalt. Um die Aufstände niederzuschlagen, richtete die Staatsführung im März 2011 eine sogenannte Zentrale Stelle für Krisenmanagement ein. Von dort erhielten die Sicherheitsbehörden am 20. April den Befehl den angeblichen „Verschwörern“ mit Gewalt zu begegnen. Die Lage eskalierte, neun Tage später töteten syrische Einheiten etwa bei Protesten in Daraa, einer Stadt in Syriens Südwesten, 200 Menschen. Tränengas, Schlagstöcke, Schüsse, Hausdurchsuchungen, Razzien, Festnahmen – Tausende politischer Gefangener starben oder landeten in den Gefängnissen Assads.
Die Abteilung 251 des Angeklagten Ruslan unterstand dem Allgemeinen Geheimdienst. Zuständig für die Sicherheit in der Hauptstadt-Region Damaskus führte die Sektion eine Flut von Festnahmen durch.
Die brutalen Ermittlungsmethoden sollen laut Bundesanwaltschaft 30 bis 40 Helfer des Oberst Ruslan ausgeführt haben. Neben Elektroschocks und Eisenstangen griffen die Peiniger zu noch weiteren Mitteln: „Falaqa“ war das Synonym für Stockschläge auf die Fußsohlen. Bei „Shabeh“ wurden die Opfer so aufgehängt, dass ihre Füße nur noch ganz knapp den Boden berührten. Durch den psychischen Stress sollte sich die Wirkung der Prügel erhöhen. Beim „Dulab“ wurde der Inhaftierte in das Loch eines Autoreifens gezwängt und mit Tritten und Hieben gequält. Im Jargon der Sicherheitskräfte verharmloste man die Methoden und sprach von „strengen Vernehmungen“.
Etliche Überlebende schafften letztlich die Flucht nach Westeuropa. 24 von ihnen werden als Kronzeugen der Anklage im Prozess in Koblenz auftreten. Während der Ermittlungen schilderten sie die unmenschlichen Haftbedingungen im Foltergefängnis: Ungenießbare Lebensmittel, kaum Wasser, keine medizinische Behandlung der gequälten Menschen. Einen angeschossenen Inhaftierten ließen Wärter wochenlang liegen, bis er starb. Unsägliche Gräuel scheinen an der Tagesordnung gewesen zu sein. Da war der Haftraum Nummer 50, den ein ehemaliger internierter Zeuge „die Zelle der Toten“ nannte, weil dort so viele Insassen zugrunde gingen. Teilweise hätten die Wärter die Leichen erst nach einigen Tagen herausgeholt.
Gefoltert mit Schlafentzug
Einige Opfer erinnerten sich in ihren Vernehmungen durch das Bundeskriminalamt an Begegnungen mit Oberst Ruslan in seinem Büro der Einheit 251. So soll der Angeklagte, den seine Untergebenen seinerzeit ehrfurchtsvoll „Ya Zidi“ (Mein Herr) nannten, in einem Fall einem Vernehmungsbeamten befohlen haben, dem Gefangenen keinen Schlaf zu gönnen und ihn solange zu behandeln, bis er „gar“ sei.
Gegen Zahlung von Schmiergeld soll der Oberst der Syrerin Nouran A. 2011 eine Audienz gewährt haben. Verzweifelt habe die Frau darum gebeten, ihre inhaftierte Schwester freizulassen. Ruslan ließ nach ihren Angaben die Gefangene kommen. Das Gesicht geschwollen, der Hidschab blutverschmiert, habe die Schwester ein erbarmungswürdiges Bild geboten. Anstatt sie aber zu entlassen, soll der Oberst sie wieder zurück in ihre Zelle geschickt haben.
Angeklagter verteidigt sich
Eine weitere Gefangene will Zeugin geworden sein, wie Ruslan während ihrer Vernehmung den Abtransport eines verstorbenen Häftlings abgezeichnet haben soll. Im Anschluss habe er gesagt: „Bei solch chaotischen Zuständen sterben sowohl die Guten als auch die Bösen.“
Im Prozess vor dem OLG Koblenz verfolgt Anwar Ruslan schweigend das Geschehen. Am fünften Verhandlungstag, dem 18. Mai, ließ der gelernte Jurist dann seine Anwälte eine 40-seitige Verteidigungsschrift zu den Vorwürfen vortragen. „Ich habe nie menschenverachtend gehandelt, ich habe die Taten nicht begangen“, gibt er zu Protokoll. Auch will der einstige Oberst die Folterungen weder angeordnet noch gefördert haben. Vielmehr gibt er an, dafür gesorgt zu haben, dass viele Oppositionelle wieder entlassen worden seien. Zwischen März und Juni 2011 will der Angeklagte den Inhaftierten, geholfen haben, „wo immer ich konnte“. Bald, so seine Ausführungen, hätten seine Vorgesetzten ihn als Verräter angesehen. Zumal er sunnitischer Muslim sei und nicht wie die Führungsschicht des Assad-Regime Alawit.
Angesichts massiver Zweifel an seiner Loyalität, habe man ihm die Befugnisse über die Abteilung entzogen. Er habe die Vernehmungsprotokolle so zusammengefasst, dass alle unbewaffneten Demonstranten wieder freigelassen worden seien. Vehement widerspricht der Angeschuldigte den Aussagen von Belastungszeugen. In dem Gefängnis der Abteilung 251 habe es keine Räume gegeben, um zehn Leichen unterzubringen. Insgeheim will Ruslan nach eigenen Angaben schon früh mit der syrischen Opposition sympathisiert haben. Assads Staatsterror habe ihn letztlich desertieren lassen.
Zum Beweis seiner Aussagen nennt er die Namen von zwei Dutzend Entlastungszeugen, die ihm teils ihre Rettung verdankten und inzwischen überall in der Welt lebten.
Seine Verteidigungsschrift erinnert auf makabre Art und Weise an die des Industriellen Oskar Schindler, der im Zweiten Weltkrieg 1200 jüdische KZ-Häftlinge vor dem Tod in Vernichtungslagern der Nazis bewahrte. Während Schindler sich zum Schein mit SS-Kommandanten anfreundete, um Menschenleben zu retten, bestehen an Ruslans hehren Absichten erhebliche Zweifel. So etwa an der Schilderung, wie er dazwischen gegangen sein will, als inhaftierte Frauen geschlagen wurden.
Asyl in Deutschland gesucht
Ende 2012 setzte sich der syrische Geheimdienstler mit seiner Familie nach Jordanien ab. Zwei Jahre später siedelte er nach Berlin über und wurde als Asylberechtigter anerkannt. Lange Jahre ahnten die Behörden nichts von seiner früheren Tätigkeit. 2015 fühlte sich Ruslan durch den syrischen Geheimdienst verfolgt und schaltete die Polizei ein.
Das Verfahren verlief im Sande und wurde zu den Akten gelegt. Im Oktober 2017 dann wurde er als Zeuge zur syrischen Regime-Folter befragt und bekannte freimütig, dass er sechs Jahre zuvor sowohl an friedlichen wie auch an gewaltsamen Verhören beteiligt gewesen sei: Es seien „100 Vernehmungen täglich“ gewesen. Deshalb habe man „nicht immer höflich bleiben können“.
Bei Personen bewaffneter Trupps seien „strenge Vernehmungen durchgeführt“ worden. Mehrfach seien tote Menschen in sein Büro gebracht worden – mit deutlich sichtbaren Folterspuren. Dies habe man mittels Fotos intern dokumentiert. Es sollte aber noch eineinhalb Jahre dauern, ehe der Oberst der Abteilung 251 im Februar 2019 nach Hinweisen von Zeugen verhaftet wurde.
Der Prozess ist bis August angesetzt, angesichts einer neuen Zeugenliste der Verteidigung dürfte sich das Verfahren allerdings länger hinziehen.